Die potenziell krebserregenden PFAS-Chemikalien gelangen in die Umwelt und zersetzen sich nicht – darum die Bezeichnung Ewigkeitschemikalien. Deshalb sollen sie in der EU stark eingeschränkt und teilweise verboten werden. Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden und die Niederlande haben Anfang 2023 einen entsprechenden Vorschlag bei der Europäischen Chemikalienbehörde eingereicht.

Die Industrie wäre sehr breit betroffen. Denn sie setzt PFAS in zahlreichen industriellen Prozessen ein – aber auch in sehr vielen Produkten, von Kontaktlinsen über Feuerlöschschaum bis zu Pizzaschachteln.

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Die Industrie wehrt sich deshalb vehement gegen ein weitreichendes Verbot, oft mit fragwürdigen Argumenten, wie der Beobachter bereits im Frühjahr 2024 aufzeigte. Diese Bemühungen gegen ein PFAS-Verbot haben sich zum wahrscheinlich grössten Lobby-Ansturm entwickelt, den es in Europa je gab, wie die «Süddeusche Zeitung» mit Bezug auf eine neue Recherche schreibt. 

Verbot massiv unter Druck

In Zusammenhang mit den Chemikalien haben sich bereits vielerorts Probleme gezeigt: In Bayern durften Anwohner eines verseuchten Landstrichs rund um eine Fabrik kein Blut mehr spenden, weil es zu stark belastet war. In Belgien dürfen Eier von Hühnern aus dem Umkreis von mehr als einem Kilometer rund um eine Fabrik nicht gegessen werden, Kinder sollen nicht auf unbedecktem Boden spielen. In der Schweiz gibt es im Wallis Fischfangverbote wegen PFAS, und in St. Gallen droht ein Verkaufsverbot für belastetes Fleisch. In der Schweiz stehen in den nächsten Jahren teure Sanierungen an. 

Das geplante EU-Verbot der Industriechemikalien läuft nun offenbar ernsthaft Gefahr, unter dem Druck der Lobbyisten unterlaufen und massiv abgeschwächt zu werden. 

Habeck verbreitet Argumente der Lobby

Wie gezielt die Lobbys auf EU-Ebene vorgehen, zeigt eine Recherche und Analyse der europäischen Lobby-Watchdog-Organisation Corporate Europe Observatory. Im Rahmen des «Forever Lobbying Project» wurde sie am 14. Januar publiziert – gleichzeitig mit von «Le Monde» koordinierten internationalen Recherchen von 46 Journalistinnen und Journalisten in 16 Ländern, darunter auch SRF.

Die Berichte zeigen etwa, wie der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck der Chemie-Lobby auf den Leim geht und selber die falschen Industrie-Argumente verbreitet. Oder wie der Ozempic-Produzent Novo Nordisk in Norwegen Druck aufsetzt.

Lobby-Ausgaben um 34 Prozent erhöht

Corporate Europe Observatory deckt auf, wie die Argumente der Lobbyisten auf der höchsten Ebene der EU-Kommission angekommen sind. Ausserdem gibt es Dokumente, die zeigen, wie die Kommission PFAS-Interessenvertreter dabei berät und unterstützt, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen.

Die Lobby-Kampagne habe mit Panikmache, branchenfinanzierten Studien und unbegründeten Behauptungen zu einer regelrechten Kehrtwende in der Politik geführt. Nicht umsonst haben die PFAS-Produzenten ihre deklarierten Lobby-Ausgaben auf EU-Ebene allein im vergangenen Jahr um 34 Prozent auf rund 25 bis 28 Millionen Euro erhöht. 

Die Schweiz ist mittendrin

Und die Schweiz? Obwohl es um eine EU-Regulierung geht und nicht direkt um Schweizer Recht, steckt sie mitten im Geschehen, wie im Report von Corporate Europe Observatory sichtbar wird:

  • Treffen am WEF

    Der US-Konzern Honeywell, einer der zwölf weltweit grössten PFAS-Produzenten, nutzte das letztjährige WEF in Davos, um mit dem damaligen Vizepräsidenten der EU-Kommission Maroš Šefčovič 20 Minuten lang über PFAS zu reden und die üblichen Lobby-Argumente darzulegen. Nämlich dass es unterschiedlich gefährliche PFAS geben soll, sie unersetzlich seien und keine Energiewende möglich sei ohne PFAS. 
  • Umtriebigster Lobbyist mit Hauptsitz in der Schweiz

    Corporate Europe Observatory identifiziert die US-Firma Chemours als den aktivsten Lobbyisten in der ganzen PFAS-Lobby-Schlacht und zeigt detailliert dessen Taktiken auf. Die Firma hat ihren europäischen Hauptsitz in der Schweiz. 
  • Schweizer Konzern wird aktiv

    Der Schweizer Chemiekonzern Archroma aus Reinach BL hat letztes Jahr angefangen, die Ausgaben für EU-Lobbying zu deklarieren, und ist dem EU-Lobby-Register beigetreten. Das Unternehmen gehört zu den zwölf weltweit grössten PFAS-Produzenten
Beobachter-Recherchen zum Thema

Der Beobachter hat im Frühling 2024 bereits über die Methoden der Schweizer Chemie-Lobby in der PFAS-Lobby-Schlacht und die Einflussnahme auf Bund und Schweizer Parlament berichtet. Jetzt die Beobachter-Recherche in vier Teilen lesen:

  • Schweizer Firmen kämpfen für «ewiges Gift»: Die EU will die Industriechemikalien PFAS verbieten. Und stösst auf grossen Widerstand der Lobbys – auch von der Schweizer Industrie. → zum Artikel


  • PFAS – deshalb sind die Chemikalien ein Problem: Eine interaktive Infografik zu PFAS und warum sie so gefährlich sind. → zur Infografik
  • «Die Industrie stellt unerfüllbare Forderungen auf»: Martin Scheringer von der ETH entlarvt im Interview eines der wichtigsten Argumente der Chemie-Lobby im Kampf gegen ein weitreichendes PFAS-Verbot in der EU. → zum Interview


  • Das sind die Methoden der Chemie-Lobby: Im Kampf gegen ein weitreichendes PFAS-Verbot in der EU mischen sich auch Schweizer Firmen und Verbände ein. Das sind ihre Strategien. → zum Artikel