Das war diese Woche richtig wichtig
Wurde die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher? Und wo gings rückwärts? Der Überblick des Beobachters für die Woche vom 2. Dezember 2024.
Liebe Leserinnen und Leser
Willkommen zu «Das war richtig wichtig». Hier ordnen wir immer freitags die wichtigsten Nachrichten der vergangenen Woche für Sie ein. Es sind diesmal ein paar mehr als gewohnt, denn hohe Gerichte haben diese Woche zwei Entscheide gefällt, die uns wichtig scheinen. Wir haben sie Ihnen am Schluss des Newsletters kurz aufgelistet.
Die Themen:
- Gerechtigkeits-Barometer: Wir haben vermessen, was die Schweiz beschäftigt
- Geflüchtete: Parlament will nur noch Ukrainer aus Frontgebieten aufnehmen
- Obdachlosigkeit: Basel-Stadt vergibt Wohnungen
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Das Zitat der Woche
Da wären wir also. Nach monatelangem Hin-und-her-Debattieren hat der Nationalrat am Donnerstag ein Budget fürs nächste Jahr beschlossen. Wir erinnern uns: Weil in den kommenden Jahren ein milliardengrosses Loch droht, muss der Bund sparen. Beziehungsweise: will sparen. Denn über die andere Seite der Medaille – Steuererhöhungen – wurde kaum ernsthaft geredet. Auf linker Seite ist man empört über die Prioritäten der bürgerlichen Ratsmehrheit. Während es etwa in der Entwicklungshilfe und bei der Migration massive Einschnitte geben soll, bekommen die Bauern gleich viel und die Armee sogar sogar mehr.
«Wie das so ist bei heiligen Kühen, man schaut sie ehrfurchtsvoll an, berührt sie nicht und macht einen respektvollen Bogen darum.» – Felix Wettstein, Nationalrat der Grünen
Nächste Woche ist der Ständerat dran mit Debattieren. Egal, auf welcher politischen Seite man steht: Frankreich versinkt wegen des Budgets gerade im Chaos. Und in Südkorea versuchte der Präsident sogar einen Coup, weil er sein Budget nicht durch das Parlament brachte. Da lobt man dann doch die Schweizer Verhältnisse.
Gerechtigkeits-Barometer: Wir haben vermessen, was die Schweiz beschäftigt
Darum gehts: Der Beobachter hat zusammen mit Coop Rechtsschutz erhoben, wie es um das Gerechtigkeitsempfinden der Schweizer Bevölkerung steht. Insgesamt 18 Themen standen zur Auswahl: steigende Lebenskosten, Sozialmissbrauch, unhonorierte Care-Arbeit, die Gier der Reichen oder die Armut der Kranken. Keinen Umstand finden mehr der Befragten (47 Prozent) ungerechter, als dass ausländische Straftäter zu selten ausgeschafft würden.
Warum das wichtig ist: «Gerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung, damit Gesellschaft und Demokratie funktionieren. Deshalb ist es wichtig, sie zu vermessen», sagt Chefredaktor Dominique Strebel zum sogenannten Gerechtigkeits-Barometer. Die repräsentative Erhebung zeigt, dass es auch in der Schweizer Bevölkerung ein ernst zu nehmendes Defizit des Vertrauens in die Wirtschaft und den Staat gibt. Interessanterweise beurteilen die Befragten ihre eigene Lage besser als die generelle Gerechtigkeit im Land. Das Gerechtigkeits-Barometer finden Sie hier.
Das sagt der Beobachter: Warum treibt die Ausländerkriminalität die Bevölkerung besonders stark um? Wir haben mit Fachleuten aus Politik, Justiz und Migration darüber gesprochen. «Chancenlose Asylsuchende tanzen den Behörden auf der Nase herum», sagt etwa der Maghreb-Experte Beat Stauffer. Ein grosses Problem seien die unerledigten Asylgesuche, so die Co-Präsidentin der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren, Karin Kayser-Frutschi: «Der Pendenzenberg beim Bund ist riesig.»
⇒ Jetzt lesen: Jeder Zweite fordert mehr Landesverweise
Über «Das war richtig wichtig»
Was hat die Schweiz diese Woche gerechter, transparenter, fortschrittlicher gemacht? Und wo gings eher rückwärts? Wo weiterlesen, wenn Sie es genauer wissen möchten? Wir liefern Ihnen immer freitagmittags drei bis vier wirklich wichtige Nachrichten – kompakt, verständlich und mit Haltung aufgeschrieben. Auch als E-Mail abonnierbar.
Geflüchtete: Parlament will nur noch Ukrainer aus Frontgebieten aufnehmen
Darum gehts: Nach dem Ständerat hat diese Woche auch der Nationalrat zwei Motionen zugestimmt, die den Schutzstatus S einschränken sollen. Künftig sollen nur noch Ukrainerinnen den Schutzstatus S erhalten, die in von Russland besetzten oder von mehr oder weniger intensiven Kampfhandlungen betroffenen Regionen lebten. Zudem dürfen Schutzsuchende die Schweiz nur noch für maximal 14 Tage verlassen, etwa für Heimatbesuche.
Warum das wichtig ist: Die Motionen zeigen, dass die Politik mit der aktuellen Situation rund um den Schutzstatus S unzufrieden ist. Momentan bleiben bei der Umsetzung viele Fragen offen. In der aktuellen Kriegssituation ist es beispielsweise schwierig, zu beurteilen, ob jemand aus einem von Kampfhandlungen betroffenen Gebiet stammt, da kaum eine Region von russischen Angriffen verschont bleibt. Ob die Einschränkung der richtige Weg ist, wird sich noch zeigen müssen. Das Schweizer Asylsystem könnte zusätzlich belastet werden, wenn Ukrainer ohne Schutzstatus S ein Asylgesuch stellen.
Das sagt der Beobachter: Bei solchen Diskussionen geraten oft die Menschen in Vergessenheit, die vom Entscheid betroffen sind. Der Beobachter hat bereits mehrfach über Schutzsuchende in der Schweiz berichtet und ihnen eine Stimme gegeben. Wie eine Ukrainerin die Flucht erlebte und wie es ist, im Exil zu leben, können Sie hier nachlesen:
⇒ Jetzt lesen: «Eine Oma ersetzt keine Mama»
Obdachlosigkeit: Basel-Stadt vergibt Wohnungen
Darum gehts: Nach vier erfolgreichen Jahren wird das Pilotprojekt «Housing First» der Heilsarmee und des Kantons Basel-Stadt in den Regelbetrieb überführt. Das Projekt bietet obdachlosen Menschen unbürokratischen Zugang zu einer eigenen Wohnung. Seit Projektbeginn konnten 31 Wohnungen vermittelt werden. Im kommenden Jahr soll das Angebot weiter ausgebaut werden.
Warum das wichtig ist: In der Schweiz sind schätzungsweise rund 2200 Personen von Obdachlosigkeit betroffen. Das Projekt «Housing First» könnte nun zum Vorbild werden, wie langjährige Obdachlosigkeit durchbrochen werden kann. Die Auswertung der ersten vier Jahre hat gezeigt, dass der direkte Zugang zu Wohnraum ein entscheidender Faktor ist. Betroffene finden nicht nur ein Zuhause, sondern auch die Stabilität, die es ihnen ermöglicht, langfristig ein eigenständiges Leben zu führen.
Das sagt der Beobachter: Oft gehen wir an obdachlosen Menschen vorbei, ohne sie zu beachten. Doch jede Person hat ihr eigenes Schicksal und ist nicht freiwillig in diese Situation geraten. Der Beobachter hat in diesem Artikel mit drei Betroffenen über ihr Leben auf der Strasse gesprochen:
⇒ Jetzt lesen: «Niemand wird freiwillig obdachlos»
Auch sonst war diese Woche viel los. So hat das Parlament an der Wintersession unter anderem diese Entscheide gefällt, die uns wichtig scheinen:
- Nachtzüge werden wohl nun doch gefördert. Der Nationalrat verlangt vom Bundesrat, auf die Kreditsperre für die 30 Millionen Franken im nächsten Jahr zu verzichten.
- Die 13. AHV-Rente wird wohl im Dezember 2026 erstmals fliessen. Das hat der Ständerat beschlossen. Auch der Nationalrat wird sehr wahrscheinlich bald zustimmen.
- In der Schweiz gelten für den Strom- und Gasmarkt künftig strengere Regeln. Ein neues Gesetz soll nach dem Willen des Parlaments für fairere Energiepreise sorgen.
- Der Ständerat befürwortet grundsätzlich die Einführung einer Betreuungszulage. Sie soll mindestens 100 Franken pro Monat betragen.
Und ausserdem:
- Die Atomkraftwerke Beznau werden bis 2033 abgeschaltet. Das teilte die Betreiberin diese Woche mit. Block 1 ist eines der weltweit ältesten AKW, das noch am Netz ist.
- Eltern können Kinder ab 16 Jahren nicht davon abhalten, ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Das Bundesgericht hat diese Woche entschieden, dass sie den Pass nicht zurückbehalten dürfen.
Bis nächste Woche. Wir bleiben für Sie dran.