«Wir sollten offener an Fragen herangehen»
Der Solothurner Philosoph und Schriftsteller Walter Bloch sieht hinter scheinbaren Zufällen die Wirkung kaum beachteter Gesetze.
Veröffentlicht am 20. Mai 2020 - 15:41 Uhr
Beobachter: Wenn zwei Ereignisse eintreffen, die keine direkte gemeinsame Ursache haben, aber nicht als zufällig erscheinen, sprach der Schweizer Psychiater C. G. Jung von Synchronizitäten. Was versteht man genau darunter?
Walter Bloch: Gemeint ist eine erstaunliche, in vielen Fällen ausserordentlich sinnvolle Verknüpfung zwischen zwei Ereignissen, die auf den ersten Blick wie ein Zufall wirken, deren tiefere Bedeutung für uns aber die Frage aufwirft, ob das tatsächlich Zufall genannt werden darf. Oder ob sich dahinter ein höherer Sinn verbirgt, ein Zusammenhang, der sich unserem Verständnis entzieht.
Können Sie uns für Synchronereignisse ein Beispiel geben?
Der Begriff Synchronizität ist meines Erachtens etwas unglücklich, weil die Ereignisse nicht immer genau gleichzeitig passieren müssen – obwohl auch das vorkommen kann. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Einem Freund von mir gefiel eine Frau, und er wollte ihr ein Geschenk kaufen. Er hatte ein bestimmtes Buch im Kopf, über das die beiden nie gesprochen hatten. Er schickte ihr dieses Buch zu, hübsch verpackt. Am nächsten Tag bekam er selber ein Paket zugestellt, öffnete es und fand darin exakt das gleiche Buch. Seine Freundin hatte es zur fast gleichen Stunde in einer anderen Buchhandlung für ihn ausgesucht und aufgegeben. Dies war der Beginn einer sehr tiefen und nachhaltigen Liebesgeschichte. Solche «Zufälle» gibts recht häufig in Beziehungen, die sich später als prägend herausstellen.
Was ist Ihre Erklärung für solche Ereignisse, denen wir je nach Interpretation eine höhere Bedeutung zumessen?
Erst mal ist es wichtig, nur überprüfbare Vorfälle als Beispiele heranzuziehen. Das habe ich auch in meinem Buch versucht. Wie diese Synchronizitäten zu deuten sind, ist aber kaum zu beantworten. Wenn ich eine Aussage wagen würde, bliebe sie pure Spekulation.
Beobachtungen von Synchronizitäten gibt es auch in gesellschaftlichen Bereichen. Bei der Corona-Pandemie fragt sich mancher, ob uns die Seuche zufällig trifft oder ob sie eine Art Notwarnung des Systems ist
.
Ich halte es für denkbar, dass es solche Systemzusammenhänge gibt. Ich möchte mich aber zurückhalten mit metaphysischen Erklärungen. Es ist ja auch denkbar, dass wir aus dieser Krise einiges lernen, ohne dass etwa eine höhere Macht so etwas beabsichtigt hätte.
Sie haben sich ausführlich mit Synchronizitäten befasst. Gibt es für Sie so etwas wie den reinen Zufall?
Es gibt einzelne Vertreter in diesem Forschungsbereich, die sich auf den Standpunkt stellen, tatsächliche Zufälle gebe es gar nicht. Ich halte das für absurd. Wenn ich etwa auf der Strasse einem Mann begegne, der exakt dasselbe Hemd trägt wie ich, dann ist das ganz sicher ein Zufall. Anders wäre es, wenn diese Begegnung für ihn und für mich eine entscheidende Bedeutung hätte.
Alte Hochkulturen pflegten ein sogenannt mythologisches Weltbild, in dem der Mensch höheren Mächten ausgeliefert war und von ihnen Zeichen und Führung erwartete. Könnte es sein, dass wir Wirkmechanismen, die keinen ursächlichen Zusammenhang haben, zu Unrecht ausschliessen?
Paul Feyerabend, das Enfant terrible der Wissenschaftsphilosophie, sagte einmal: Niemand habe je untersucht, ob die Regentänze der Hopi-Indianer wirklich nichts genützt hätten. Da hat er recht. Wir lehnen manche Dinge allein deshalb ab, weil wir uns keinen Wirkmechanismus vorstellen können. Wir sollten diesbezüglich offener an interessante Fragestellungen herangehen.
In Ihrem Buch schreiben Sie, synchronistische Ereignisse fänden vor allem in entscheidenden Situationen statt. Warum ist das so?
Es deutet einiges darauf hin, dass starke Emotionen dazu führen, dass in uns Schichten freigelegt werden – eher unbewusste –, die uns im Alltagstrott verschlossen bleiben. Schon C. G. Jung war der Ansicht, dass starke Emotionen das Wirken dessen, was er Archetypen
nennt, begünstigen und uns offener für solche Ereignisse machen.
Aber besteht nicht die Gefahr, dass wir bei besonders prägenden Ereignissen einfach intensiver nach einer tieferen Bedeutung suchen – weil wir nicht an einen Zufall glauben wollen?
Das ist in Einzelfällen sicher zu prüfen. Aus der Fülle der Beispiele von verblüffenden Synchronizitäten drängt sich aber der Schluss auf, dass das Phänomen existiert und mehr dahintersteckt als blosser Zufall. Richard Tarnas [Autor von «Cosmos and Psyche», d. Red.] hat sehr viele solche Vorfälle statistisch erfasst und gezeigt, dass sie allein mit Wahrscheinlichkeiten nicht erklärt werden können.
Alte Lehren wie das «I Ging» weisen seit Jahrtausenden auf ein höheres geistiges Prinzip hin. Kann ein Buch tatsächlich Antworten bereithalten auf drängende Fragen, wenn man es zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle öffnet?
Es ist ja nicht das Buch, das hier merkwürdig agieren würde. Dieses Buch umfasst weise Sinnsprüche zu vielen verschiedenen Lebenssituationen. Die Frage ist: Ist es möglich, via Zufallsmethode, mit der man bestimmte Textstellen quasi zugeteilt erhält, einen konkreten Lerneffekt für eine bestimmte Situation zu erreichen?
Und? Funktioniert das? Gibt es – durch Synchronizität – Zeichen, die für uns sinnvolle Botschaften sind?
Erstens bin ich überzeugt davon, dass uns Synchronizitäten überall begegnen können, ohne dass wir sie suchen müssen. Zweitens halte ich es für unsinnig, das «I Ging» zu oft oder gar täglich zu befragen. Die Beispiele, die ich im Buch zitiere, zeigen aber, dass die Antworten besonders dann bedeutungsvoll sind, wenn Menschen in entscheidenden Lebensphasen vor schwierigen Fragen stehen. Das ist erstaunlich.
Gerade in dieser Frage waren Sie zu Beginn Ihrer Arbeit mit dem Thema Synchronizität sehr kritisch eingestellt. Was hat Sie überzeugt, dass es mehr als blosse Zufälle gibt?
Ich habe mich lange mit theoretischer Physik
und mit Tiefenpsychologie befasst. Je mehr man sich mit solchen Fragen auseinandersetzt, desto offensichtlicher werden Zusammenhänge, die wir allein mit Ursache-Wirkung-Mechanismen nicht erklären können.
Sie erwähnen die Quantenphysik
, die oft auch für krude
Esoterik herhalten muss. Konkret geht es dabei um die Verschränkung von Teilchen, die auch über weite Distanzen korrespondieren. Müssen wir unser Weltbild überdenken?
Wir sollten uns lösen vom Weltbild des deterministischen Materialismus, das in weiten wissenschaftlichen Kreisen noch immer vorherrscht. Also vom Denkansatz, dass alles, was in der erfahrbaren Wirklichkeit passiert, seit Urzeiten festgelegt ist und nach klar definierbaren Gesetzen abläuft. Dass wir also keinen wirklich freien Willen hätten, sondern Produkte von rein physikalischen Prozessen seien.
Wie dürfen wir uns denn ein weiter gefasstes Weltbild vorstellen? Als kreativen Kosmos, mit dem wir in permanenter Wechselwirkung stehen?
Ich masse mir nicht an, ein neues Weltbild liefern zu können. Ich glaube aber, dass wir heute auf verschiedensten Ebenen spüren und feststellen, dass wir ein gesamtheitlicheres Weltbild brauchen. Dass die alten mechanistischen Erklärungsmodelle nicht mehr genügen und wir das Leben und die erfahrbare Welt in grösseren Zusammenhängen denken müssen.
«Interessant ist, dass die Coronakrise in einer Zeit der Saturn-Pluto-Konjunktion ausbrach.»
Walter Bloch, Schriftsteller und Philosoph
Sie brechen in Ihrem Buch auch eine Lanze für die Astrologie. Was spricht dafür, dass Planetenkonstellationen einen Einfluss auf uns haben?
Einfluss würde ich das nicht nennen. Das würde ja eine kausale Beeinflussung voraussetzen. Ich halte das für absurd, etwa deshalb, weil Pluto so klein und so weit von der Erde entfernt ist, dass keine bekannten makrophysikalischen Kräfte die enorme Bedeutung erklären können, die Pluto in der Astrologie hat.
Dennoch schreiben Sie von geschichtlichen Ereignissen, die sich in speziellen Planetenkonstellationen gezeigt haben sollen. Können Sie eines nennen?
Grosse Revolutionen etwa haben nicht zu beliebigen oder zufälligen Zeiten stattgefunden, sondern immer dann, wenn Uranus und Pluto in einem sogenannt harten Aspekt zueinander gestanden haben. Also etwa in Konjunktion auf einer Linie mit der Erde positioniert waren oder in einem rechten Winkel in Bezug auf die Erde standen. Das galt für die Französische Revolution, für die Geschehnisse von 1968, für den Arabischen Frühling und für weitere grosse Revolutionen. Auch geistige Revolutionen fielen auffällig oft zusammen mit solchen Konstellationen. Etwa Albert Einsteins Annus mirabilis, als er 1905 die Welt der Physik mit seinen Theorien revolutionierte.
Befinden wir uns astrologisch gesehen momentan auch in einer Zeit, in der sich Epochales anbahnt?
Interessant ist, dass die Coronakrise in einer Zeit der Saturn-Pluto-Konjunktion ausgebrochen ist. Während solcher Konjunktionen fanden oft Ereignisse statt, die eine neue Epoche eingeleitet haben. Ein Beispiel dafür ist der Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Oder die Jahre von 1930 bis 1933, als die Nationalsozialisten
die Macht übernahmen.
Wie ist es denn zu verstehen, dass es zwischen Planetenstellungen und historischem Geschehen einen Zusammenhang geben soll?
Die Karte einer Landschaft ist ja auch nicht die Ursache dafür, dass ich zum Beispiel ein Dorf finde. Die Karte zeigt mir aber, was alles in der Landschaft vorhanden ist. So zeigen uns die Planetenstellungen, was im Kosmos passiert. Sie sind damit ein grösseres Abbild des Ganzen, von dem wir Menschen auf der Erde Teil sind. Und dieses grössere Ganze zeigt sich dann in den erwähnten Synchronizitäten.
Walter Bloch, Schriftsteller und Philosoph, verbindet in seinem neusten Buch Erkenntnisse der modernen Wissenschaft mit alten Weisheitslehren: «Geheimnisse von Raum und Zeit», Crotona-Verlag, 400 Seiten. Bloch, 76, studierte klassische Philologie und Philosophie in Zürich und Wien. Er lebt bei Solothurn.
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