Seit 2014 ist das gemeinsame Sorgerecht in der Schweiz der Regelfall. Demnach braucht es die Zustimmung beider Elternteile, wenn es um für das Kind gewichtige Entscheide geht. Das gilt ausdrücklich für einen Wohnortswechsel mit dem Kind ins Ausland. 2016 hat das Bundesgericht die ersten Urteile zu diesem sogenannten «Zügelartikel» gefällt. Es liess sich dabei in erster Linie vom Kindeswohl leiten.

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Rund fünf Jahre nach der Trennung von ihrem Partner wollte eine Frau mit der inzwischen 7-jährigen Tochter nach Spanien ziehen, weil sie dort einen neuen Lebenspartner gefunden hat. Der Vater war mit diesem Wegzug allerdings nicht einverstanden. Deshalb musste die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb entscheiden – und verweigerte der Frau die Zustimmung ebenso. Diesen Entscheid bestätigte anschliessend auch das Berner Obergericht und in letzter Instanz nun das Bundesgericht.

«Kaum Bezugspunkte zu Spanien»

Interessant ist die Begründung, die das Bundesgericht in seinem Urteil 142 III 498 aufführt: «Die entscheidende Fragestellung ist, ob das Wohl des Kindes unter der neuen Situation besser gewahrt ist, (...) als wenn es sich beim zurückbleibenden Elternteil aufhält.» Die Antwort darauf ist für das Bundesgericht eindeutig: «Die Überlegungen zum Kindeswohl sprechen (…) überwiegend zugunsten eines Verbleibs der Tochter in der Schweiz.» Dabei sei ausschlaggebend, dass die wegziehende Mutter – abgesehen von der noch nicht gefestigten Beziehung – keine Bezugspunkte zu Spanien habe und auch kein Spanisch spreche. «Zudem ist ein Wechsel an einen nicht vertrauten Ort und die Einschulung in einer unbekannten Sprache nicht im Interesse des Kindes.»

Mutter muss nicht hierbleiben, Kind schon

Das Bundesgericht betont in seiner Urteilsbegründung, dass der Frau nicht verboten werde, alleine, also ohne Kind, wegzuziehen. Damit werde ihr das in der Bundesverfassung festgelegte Recht auf Niederlassungsfreiheit (BV Art. 24) gewährt. In diesem Fall sah das Bundesgericht das Kindeswohl jedoch besser gewährleistet, wenn das Kind in der Schweiz bleibt und bezieht sich dabei auf das Zivilgesetzbuch (ZGB 301).
 

Für Karin von Flüe, Expertin für Familienrecht im Beobachter-Beratungszentrum, ist dieser Entscheid nachvollziehbar: «Aus rein juristischem Blickwinkel stimmt es, dass die Niederlassungsfreiheit der Mutter nicht eingeschränkt ist. Das dürfte die Mutter aber wahrscheinlich anders empfinden. Sie muss sich nun entscheiden zwischen Kind und Wegzug ins Ausland.»

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Wenn die Mutter die Hauptbezugsperson ist...

Im zweiten Fall, zu dem das Bundesgericht 2016 einen Entscheid zu fällen hatte (Urteil 142 III 481), war die Ausgangslage dieselbe: Nach der Scheidung wollte die Mutter mit ihren beiden Kindern (4 und 5 Jahre) ebenfalls ins Ausland ziehen – zurück in ihr Herkunftsland Österreich. Der Vater wehrte sich dagegen, da er der Ansicht war, die Kinder hätten das Recht auf gemeinsame Betreuung durch beide Eltern.

Hier entschieden die Bundesrichter allerdings zugunsten der Mutter: Sie durfte mit den Kindern ins Ausland ziehen. «Im Zentrum steht stets die Frage, ob das Kindeswohl besser gewahrt ist, wenn die Kinder mit dem abwanderungswilligen Elternteil wegziehen», schreiben die Richter, «oder wenn sie beim zurückbleibenden Elternteil bleiben». Weil beim vorliegenden Fall die Mutter schon zuvor die Hauptbezugsperson der beiden Kinder war, liesse sich dieser Wegzug rechtfertigen. Ausserdem sei nur die Mutter überhaupt dazu bereit gewesen, die Kinder zur Hauptsache zu betreuen.

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