Hoppla, ist das jetzt ein Vertrag?
Täglich schliessen wir Verträge ab – meist ohne dass wir es überhaupt merken. Denn auch mündliche oder sogar wortlose Abmachungen können verbindlich sein.
aktualisiert am 24. Juni 2021 - 15:44 Uhr durch
Aus einer provisorischen Anfrage kann unerwartet eine Flugbuchung werden: Helene Schaffhauser* fragte ihr Reisebüro an, ob es an einem bestimmten Datum noch freie Plätze für einen Flug nach Brasilien gäbe. Dann kam die Überraschung: Ohne dass sie bewusst ja zu einer Buchung gesagt hätte, flatterte zwei Tage später die Reisebestätigung samt Rechnung ins Haus.
Ab wann wird eine Anfrage verbindlich und von Gesetzes wegen ein Vertrag? Gerade bei Reiseanfragen, die in der Regel mündlich im Reisebüro oder am Telefon stattfinden, entstehen häufig Missverständnisse. Die Angestellte fühlt sich mitten im Verkaufsgespräch, während sich der Kunde eigentlich nur über ein Angebot informieren möchte. Oder er glaubt, dass er eine mündliche Bestätigung ohnehin widerrufen kann, solange er nichts unterschrieben hat.
Das ist falsch. Ein Vertrag entsteht nicht erst mit seiner Unterzeichnung. Im Obligationenrecht (OR) heisst es in Artikel 1: «Zum Abschluss eines Vertrags ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich. Sie kann eine ausdrückliche oder stillschweigende sein.» Wenn das Gesetz nicht eine besondere Form verlangt – etwa die Schriftform bei Testament und Leasing oder die öffentliche Beurkundung beim Grundstückkauf –, genügen also schon mündliche Willenserklärungen für einen Vertragsabschluss.
Wenn die Reisebüroangestellte am Telefon eine konkrete Offerte mit Datum, Destination, Dauer und Preis macht und die Kundin ihr mitteilt, dass sie die Reise machen will, entsteht ein Vertrag, und man ist gebunden – selbst wenn die Kundin nichts unterschrieben und noch keine Anzahlung geleistet hat. Ab diesem Zeitpunkt gilt, dass sie den abgeschlossenen Vertrag einhalten muss, auch wenn sie nachträglich beispielsweise noch ein günstigeres Angebot finden sollte.
Wenn die Kundin sich nicht verbindlich festlegen will, sollte sie ausdrücklich eine schriftliche Offerte verlangen oder sich im Reisebüro auf dem ausgedruckten Papier «unverbindliche Offerte» sowie das Datum notieren. Den Ausdruck lässt sie vom Reisebüro unterschreiben. In die Offerte kann man auch eine Bedingung schreiben lassen, zum Beispiel: «Der Vertrag tritt nur in Kraft, wenn...».
Gekauft ist gekauft! Ein Rücktritts- oder Umtauschrecht gibt es nur bei wenigen Ausnahmen. Der Beobachter erläutert, welche das sind, und zeigt, worauf man beim Abschluss eines Kaufvertrags achten sollte. Zudem erhalten Mitglieder weitere Tipps, wie sie Vertragsklauseln zu ihren Gunsten ändern können.
Oft entsteht ein Vertrag sogar wortlos – dann nämlich, wenn man sich so verhält, dass der andere Vertragspartner daraus einen Vertrag ableiten kann: Wenn man zum Beispiel im Supermarkt eine Packung Guetsli aus dem Regal nimmt, damit zur Kasse geht und sie schliesslich bezahlt.
Auch wer an der Zapfsäule tankt, geht einen verbindlichen Kaufvertrag ohne Worte ein. Juristisch spricht man von einem konkludenten Verhalten. Dazu gehören auch Vertragsabschlüsse im Internet: Ein Klick genügt für einen gültigen Vertrag – und zwar ohne Rücktrittsrecht . Deshalb lohnt es sich dort, sorgfältig das Umfeld zu prüfen und die Bedingungen zu lesen.
Gemäss OR müssen sich die Vertragspartner über die wesentlichen Punkte des Vertrags einig sein (etwa Leistung und Preis). Wenn es hier keine Übereinstimmung gibt, kommt kein Vertrag zustande.
Ebenfalls wirkungslos sind Verträge, die bereits am Anfang Mängel aufweisen: etwa wenn sie einen unmöglichen, unsittlichen oder widerrechtlichen Inhalt aufweisen. Beispiele hierzu sind: der Kaufvertrag über ein zuvor verbranntes Kunstwerk (unmöglicher Inhalt), Schmiergeldabsprachen (unsittlicher Inhalt) oder die Vereinbarung eines Anwaltshonorars auf Erfolgsbasis (widerrechtlicher Inhalt).
Unverbindlich sind Verträge auch, wenn sie aufgrund einer Täuschung oder Drohung zustande gekommen sind oder auf einem wesentlichen Irrtum basieren. Zum Beispiel wenn man einen Antrag für eine Haftpflichtversicherung unterschreibt, obwohl man eigentlich seinen Hausrat versichern will. In dem Fall leidet der Vertrag an einem so grundlegenden Irrtum, dass man ihn nach Entdecken des Mangels innert eines Jahres widerrufen kann.
Schliesslich scheitert der Vertragsabschluss bei unbestellten Zusendungen, da auch hier das gegenseitige Einverständnis fehlt. Der Empfänger ist nicht verpflichtet, die unverlangte Ware zurückzusenden oder zu bezahlen. Er kann sie wegwerfen, vernichten oder kostenlos gebrauchen.
Auch Helene Schaffhauser musste schliesslich nichts bezahlen. Das Reisebüro akzeptierte ihre Annullierung der Reise , die sie eigentlich gar nie gebucht hatte.
Das Gesetz sieht eine Ausnahme vor für das Rückgängigmachen eines abgeschlossenen Vertrags. Wenn Sie ein Verkäufer unerwartet anruft und zu einem Vertragsabschluss überredet, etwa für ein neues Handyabo, können Sie den Vertrag innert 14 Tagen widerrufen; idealerweise machen Sie das schriftlich und eingeschrieben.
Grund für das Widerrufsrecht: Bei einem sogenannten Haustürgeschäft will der Gesetzgeber die Konsumenten ausdrücklich vor unüberlegten Vertragsabschlüssen schützen. Unter diese Spezialregelung fallen Verträge, die man auf öffentlichen Strassen und Plätzen, auf Werbefahrten, zu Hause oder am Arbeitsplatz abschliesst und die über einem Wert von 100 Franken liegen.
* Name geändert