Kein Job, keine Zukunft?
Wer nach der Lehre keine Stelle hat, kann keine Berufserfahrung sammeln – und findet oft deshalb wiederum keinen Job. Mentoring-Projekte für junge Leute können den Teufelskreis durchbrechen.
Ausbildung: privates Handelsschuldiplom
Meine Stärken: Sprachen (Deutsch und Englisch: Muttersprachen, Französisch: gut).
Meine Schwächen: Mathematik. Und ich bin etwas unkonventionell.
Mein Jobwunsch: Etwas in der Medienbranche oder als Personal Assistant.
Sarah Bachmann hat eigentlich alles richtig gemacht. Die Sekundarschule abgeschlossen («Notenschnitt 4,5»), eine Lehrstelle gesucht («Über 250 Bewerbungen geschrieben, aber nur Absagen bekommen»), stattdessen dann die Handelsschule besucht mit dem Ziel, danach die LAP (Lehrabschlussprüfung) im kaufmännischen Bereich zu machen. So weit, so gut. Nach der Handelsschule im Jahr 2006 fand sie keinen Praktikumsplatz, den sie jedoch für die LAP benötigt hätte («Für 19 Schüler gabs nur fünf Praktika»). Deshalb begann ihre Karriere als «Temporärlerin». «Ich suchte eine Festanstellung, aber immer bekam ich die Stellen nicht, weil ich keine Erfahrung hatte.» Ihre Stimme beginnt zu zittern, sie kämpft mit den Tränen. «Ich bin nicht faul, im Gegenteil, ich will arbeiten und selbständig sein.» Auf keinen Fall wolle sie dem Staat auf der Pelle liegen.
Nach einigen Temporärjobs bei verschiedenen Dienstleistungsfirmen und einer kurzen Zeit beim RAV hat sie sich beim Mentoring-Projekt Job Caddie gemeldet. «Ich habe Werbung dafür im Tram gesehen und dachte, ich probier das mal.» Ihre Mentorin, eine pensionierte Lehrerin, trifft sie etwa zweimal pro Monat. Da könne sie viel profitieren. «Ich möchte in die Medienbranche, das weiss ich jetzt. Dafür muss ich aber die LAP nachholen, die brauchts fürs Medienausbildungszentrum MAZ.» Sie könne sich aber auch vorstellen, für eine interessante Person als Personal Assistant zu arbeiten.
Im Nachhinein gesehen, sei die Wahl ihrer privaten Handelsschule falsch gewesen, da ihr Diplom nichts Offizielles sei und nirgends anerkannt werde. Sie rate allen, sich gut über Erst- und Weiterbildungen an Schulen zu informieren. Die Wirtschaftskrise und ihre Zukunftsängste versucht sie so gut wie möglich auszublenden – was aber nicht immer gelingt. «Jeder braucht doch Perspektiven. Ich möchte endlich arbeiten und mir das nötige Rüstzeug für meinen weiteren Weg holen.»
«Es ist gemein, wenn man jungen Leuten keine Chance gibt»: Sarah Bachmann ist 23, voller Tatendrang, doch die Arbeitswelt will sie nicht. Ihre Gefühlslage schwankt zwischen Bitterkeit und Wut.
Das beklemmende Gefühl, nicht gebraucht zu werden, teilt Sarah Bachmann mit einer schnell wachsenden Gruppe junger Erwachsener. 17'700 Frauen und Männer zwischen 20 und 24 Jahren – 5,2 Prozent dieses Segments – waren Ende April als arbeitslos gemeldet, das sind 52 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Dazu kommt: Studien haben gezeigt, dass sich nur etwa jeder zweite Stellenlose in diesem Alter bei den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) anmeldet – die andere Hälfte taucht in der Statistik gar nicht erst auf. Und als wäre das nicht genug, wird sich im Sommer die Lage weiter zuspitzen, wenn Tausende von Lehrabgängern aufs Parkett drängen, um eine feste Stelle zu suchen.
«Wir sitzen auf einer sozialen Bombe», sagt Christian Levrat angesichts der Massen junger Leute, die den Übergang ins Erwachsenenleben ohne berufliche Perspektive in Angriff nehmen müssen – obwohl die meisten eine solide Ausbildung hinter sich haben. Die drastische Aussage des SP-Präsidenten untermauert eine Tatsache: Der Berufseinstieg ist ein Krisenfall. Denn die Gruppe der 20- bis 24-Jährigen reagiert auf die Ausschläge der Konjunktur besonders sensibel; und wenn der Stellenmarkt austrocknet, wird die fehlende berufliche Praxis zur noch grösseren Hypothek.
Dabei ist die Arbeitslosigkeit in diesem Alterssegment auch in besseren Zeiten überdurchschnittlich hoch (siehe nachfolgende Grafik). Doch während sich Wirtschaft und Politik unter dem Stichwort Jugendarbeitslosigkeit mit einigem Erfolg des Lehrstellenthemas angenommen haben, wird die Problematik der mangelnden Anschlusslösungen kaum beachtet.
Quelle: Seco, Arbeitsmarktstatistik; Infografik: Beobachter/dr
Erst jetzt, da die Zahlen explodieren, schlagen Parteien und Verbände Alarm. Die Rezepte, wie die Misere zu bekämpfen sei, beschränken sich allerdings oft auf gutgemeinte Appelle an die Arbeitgeber, Junge nach der Ausbildung im Betrieb zu halten. Die CVP denkt daran, dies mit dem Anreiz zu versüssen, Jobs für Berufseinsteiger mit monatlich 1000 Franken zu subventionieren. Die SP propagiert zusätzlich Massnahmen für die Weiterbildung. Und der Kaufmännische Verband schlägt die Einrichtung von «Praxisfirmen» speziell für 20- bis 24-Jährige vor.
Schwergewichtig auf die Lösung Praktika setzt man beim Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft. Laut Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit im Seco, will der Bund bis 2010 die Zahl der Praktikumsstellen, für die die Arbeitslosenversicherung bis zu 75 Prozent des Lohns bezahlt, von 2000 auf 4000 verdoppeln. Gaillard denkt, damit dem Hauptübel zu begegnen: Was die Jungen in erster Linie bräuchten, sei Berufserfahrung, um dadurch ihre Chancen auf eine reguläre Stelle zu erhöhen.
Dem ist nicht zu widersprechen – und doch haben Praktika etwas Behelfsmässiges. Man müsse aufpassen, dass junge Erwachsene nach Abschluss eines solchen «Lehrblätzes» nicht wieder in die gleiche Unverbindlichkeit von Gelegenheitsjobs oder zielloser Weiterbildung geraten, warnt Claudia Manser. Die Sozialarbeiterin leitet in Zürich das gemeinnützige Projekt Job Caddie, das Unterstützung bietet für den Übergang zwischen Ausbildung und Berufsarbeit sowie bei Schwierigkeiten während der Lehre. Dies basierend auf dem Mentoring-Prinzip: Die Jugendlichen werden mit einem Mentor zusammengebracht, der hilft, die Klippen zum Ziel zu überwinden.
Im Golfsport, dem der Projektname entlehnt ist, wäre der Mentor ein «Caddie»: Er berät den Spieler, trägt ihm die Gerätschaften – aber er übernimmt nie selber das Spiel. «Wir sind kein Stellenvermittlungsbüro, sondern wollen bei den Jobsuchenden die Eigenverantwortlichkeit stärken», erklärt Claudia Manser. Den arbeitslosen jungen Erwachsenen mangle es in aller Regel nicht am Willen zum Berufseinstieg, im Gegenteil. Vielmehr ortet sie Defizite in der Handlungskompetenz: «Sie tun viel, aber oft völlig unkoordiniert. Manchmal wissen sie nicht einmal mehr, wo sie sich überall beworben haben.» Hier brauche es eine ordnende Hand.
Konkret läuft das so: Wer sich bei Job Caddie meldet, wird zu einem Einführungsgespräch eingeladen. Kann die Kandidatin unter Beweis stellen, dass sie motiviert ist, die Stellensuche aktiv anzugehen, wird sie an eine passende Mentorin vermittelt. Gemeinsam legen Mentorin und Mentee Ziele, Inhalte und Ablauf ihrer Förderbeziehung fest – die Palette reicht von Aufgabenhilfen bis zu Bewerbungstrainings. Nach durchschnittlich vier bis sechs Monaten wird die Zusammenarbeit beendet. Bei den ehrenamtlich tätigen und speziell für ihre Aufgabe geschulten «Caddies» handelt es sich um Führungs- und Fachkräfte, die die jungen Leute an ihrer reichen Praxiserfahrung teilhaben lassen. Und an ihrem Netzwerk: «Vitamin B» kann nie schaden.
Mentoring bei der Jobsuche ist in der Schweiz eine junge Disziplin. Am meisten Projekte gibt es im Lehrstellenbereich; für die älteren Berufseinsteiger sind die Angebote rar. Auch Job Caddie startete erst im letzten Herbst, Erfolgszahlen fehlen deshalb. Eine Erkenntnis aus der Ostschweiz macht aber Hoffnung: Im 2005 gestarteten Projekt Tandem des St. Galler Amts für Arbeit, das ebenfalls auf das Segment der 20- bis 24-Jährigen fokussiert, finden laut dem stellvertretenden Amtsleiter Walter Abderhalden «gut 60 Prozent der begleiteten Jugendlichen eine feste Anschlusslösung». Solche Resultate dürften dabei helfen, dass das Mentoring-Modell im Instrumentarium der arbeitsmarktlichen Massnahmen seinen festen Platz findet.
Was ist der Clou daran? «Die Verbindung auf der persönlichen Ebene», sagt Beatrice Ledergerber, «denn so werden mehr Verbindlichkeiten geschaffen, als wenn die Jugendlichen es mit einer anonymen Institution zu tun bekommen.» Ledergerber half mit, das vor neun Jahren gestartete Mentoring-Programm beider Basel für Lehrstellensuchende aufzubauen, und gehört somit zu den Pionierinnen in der Anwendung des Ansatzes. Die individuelle Begleitung gebe den jungen Leuten, deren Leben sich in einer Umbruchphase befindet, Sicherheit und Selbstvertrauen, sagt die Expertin. Mehr noch: «Sie glauben wieder mehr an die Gesellschaft, wenn sie sehen: Da nimmt sich jemand meiner an und baut auf mich.»
Ausbildung: abgeschlossene Lehre als Malerin
Meine Stärken: Ich arbeite sehr konzentriert, bin flexibel und stressresistent.
Meine Schwächen: Ich bin nicht sehr gesprächig im Team, da ich mich voll auf die Arbeit konzentriere.
Mein Jobwunsch: Als festangestellte Malerin arbeiten und mich zur Restauratorin weiterbilden.
Sie fällt auf: Corina Itin hat 15 Piercings, die meisten in Ohren, Nase und Lippen. Dazu kommt ein ausgefallener Kleidungsstil «zwischen Gothic und Metal». Doch das tut nichts zur Sache: Zur Arbeit erscheint die 21-Jährige im Maleroverall und ohne Piercings. «Das ist selbstverständlich. Arbeit ist Arbeit.» Und Arbeit möchte sie unbedingt wieder. Im letzten Sommer hat sie ihre dreijährige Lehre als Malerin mit der Note 4,6 abgeschlossen. Seither sucht sie eine Festanstellung.
Bisher vergeblich. «Ich habe alles versucht: sämtliche Malerbetriebe der Region durchtelefoniert, Bewerbungen geschrieben und mich bei vielen Temporärbüros gemeldet.» Eine Woche konnte sie in den letzten neun Monaten temporär arbeiten. Wenn sie sich dann mal vorstellen könne, heisse es jeweils, sie sei zu jung und habe zu wenig Erfahrung. «Wie soll denn das gehen? Junge Leute mit viel Erfahrung? Aber hallo?» Nur weil man noch nicht lange auf dem Beruf sei, bedeute das doch nicht, dass man nicht gut arbeiten könne.
Corina Itin ist allerdings keine, die einfach vor sich hin lamentiert. Sie renoviert das Haus daheim und bei Verwandten – für ein Sackgeld. «Nur rumhängen könnte ich nicht.» Ihre Mutter hat sie zum Mentoring-Projekt Job Caddie gebracht, sie hatte darüber in der Zeitung gelesen. Seit ein paar Monaten ist Corina Itin nun dabei. Ihren Mentor, einen Personalberater im Informatikbereich, trifft sie ein- bis zweimal pro Woche. Er habe ihr viele nützliche Tipps gegeben und helfe ihr auch, Alternativen zum Malerberuf zu finden. «Doch eigentlich möchte ich Malerin bleiben.» Leider sei die Baubranche stark von der Krise betroffen. «Normalerweise gibts auf den Sommer immer wieder Stellen – zurzeit aber gar nicht.» Frustrierend sei das Ganze schon. Verzweifeln will sie aber nicht. «Ich finde einen Job dieses Jahr. Daran glaube ich fest.»
Projekt Job Caddie
mail@jobcaddie.ch
oder Telefon 079 377 77 44
www.jobcaddie.ch
1 Kommentar
Ich habe auch meinen Lehrabschluss im 2016 als Krankenversicherungskaufmann absolviert. Habe zusätzlich auch ein SIZ Diplom gemacht. Finde aber seit jeher auch wenn ich mich gut verkaufen kann keine Stelle. Habe nach dem Abschluss direkt Militär/Zivildienst absolviert und keine Diensttage mehr zu absolvieren. Wäre also für jede Firma in der Branche ein Gewinn. Aber da mir die Berufserfahrung fehlt finde ich ebenfalls nirgends einen Anschluss. Ich möchte langsam zuhause ausziehen können und mich selbstständig machen. Von der Regierung fühle ich mich einfach nur in stich gelassen. Denn ausser Zahlen tut das RAV nichts.