«Gäll, Mami, bi mir hät de lieb Gott en Fehler gmacht.» Der Satz der Dreijährigen brach der Mutter fast das Herz. «Jetzt war mir klar, dass ich fachliche Hilfe suchen musste.»

Juliette war fünf Wochen zu früh zur Welt gekommen. Sie fing auch sehr früh zu plaudern an: «Mit neun Monaten produzierte sie bereits Worte, die Sinn machten», erinnert sich die Mutter. Dann, nach zwei Jahren, die Wende: Die sprudelnde Erzählerin begann mehr und mehr zu stottern. Bis zu 30 Sekunden blieb sie manchmal an der ersten Silbe ihres Satzes hängen. Sprachen die Eltern sie darauf an, wandte sie sich ab.

«Durch einen glücklichen Zufall» stiess das junge Paar auf die Stimm- und Sprachabteilung des Inselspitals in Bern. Alex Zimmermann, Logopäde: «Je früher das Problem erkannt wird, umso grösser sind die Chancen auf Heilung.» Alle Versuche, körperliche Ursachen für die Störung zu finden – etwa im Hirn –, haben bisher keine eindeutigen Ergebnisse gebracht. «Die Entstehung des Stotterns ist vor allem psychosozial bedingt und in der Regel eng mit dem familiären Hintergrund verknüpft», sagt Zimmermann. Die Therapie im Inselspital erfolgt meist in enger Zusammenarbeit mit den Eltern.

«Ein Kind, das stottert, zeigt an, dass es ihm auf irgendeiner Ebene nicht gut geht», erklärt Logopäde Zimmermann. Stigle, Staggele, Stötterle, Chläbi- oder Gumpi-Sprach: Stottern ist oft mit Schamgefühlen verbunden. «Wenn wir dafür einen Namen finden, bedeutet dies oft schon eine grosse Erleichterung.»

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Lieber mit dem Nilpferd reden
Stofftiere sind ein beliebtes Medium, den Zugang zur kindlichen Innenwelt zu finden. So regt etwa der breite Rachen eines Nilpferds zu zahlreichen Fantasien an. Das Kind kann, im Dialog mit dem Stofftier, seine Bedürfnisse erkennbar machen.

«Über den Mund laufen viele erzieherische Grundthemen: die Ernährung, die Sauberkeit, das Sprechen», sagt Zimmermann. Ein zweiter Bestandteil des Stotterns ist der Stau der Kräfte. Für die kindgerechte Thematisierung eignet sich etwa ein kleines Rennauto, das enormen Schub besitzt – und ebenso starke Bremsen. Damit lässt sich zum Ausdruck bringen, was den sprachlichen Ausdruck hemmt. Der therapeutische Zugang kann auch über Zeichnungen erfolgen. Vor allem aber können Kinder beim Logopäden, in einer unbelasteten Atmosphäre, etwas deutlich machen, was zu Hause oft nicht möglich war.

Vier Jahre begleitete Alex Zimmermann Juliette und ihre Eltern, einzeln und gemeinsam. «Dass die Eltern ihre Tochter für die schnelle Sprachentwicklung bewunderten, ist absolut nachvollziehbar», sagt Zimmermann. «Doch sie realisierten nicht, dass sie damit auch das Kind enorm unter Druck setzten. Unbewusst verlangten sie von der Kleinen, die überall gelobt wurde, sich in diesem Tempo weiterzuentwickeln»: Eine klare Überforderung für das Kind, die zur Entwicklung des Stotterns beigetragen hat.

Überfordert war nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern: Die Gespräche mit dem Logopäden halfen dem Paar, die eigene Geschichte zu reflektieren. So hatte die junge Mutter während ihrer Schwangerschaft ihren geliebten Vater verloren, kurz bevor sie selbst gebar: «Das Kind war der einzige Lichtblick nach diesem schweren Verlust.» Da ihr Mann in Nachtschicht arbeitete, war sie mit Juliette oft allein; den Job als Sekretärin nahm sie in Teilzeit schon bald wieder auf. «Ich verwendete alle Kraft, um mich vor einem Zusammenbruch zu schützen; ich war total verkrampft. Und hatte den Anspruch, perfekt zu sein. Das Kind muss gespürt haben, was ich von mir abverlangte. Und irgendwie verlangte es wohl unbewusst dasselbe von sich.» Juliettes Vater: «Wir behandelten sie wie eine kleine Erwachsene. Das hat sich mit Hilfe des Logopäden klar geändert. Es gelingt uns heute viel besser, sie in ihrer Kindlichkeit zu akzeptieren.»

Seit einem Jahr stottert Juliette, mittlerweile acht Jahre alt, nur noch sehr selten.

«Viele Eltern fürchten den Beizug eines Fachmanns», erklärt Zimmermann. «Sie denken, damit hätten sie dem Kind das Stottern endgültig eingeredet. Das Gegenteil ist der Fall.» Ein wichtiger Teil der therapeutischen Arbeit besteht darin, die Gefühle im Zusammenhang mit dem Stottern zu verstehen.

Stottern, um die Eltern zu schonen
Es gibt zahlreiche Untersuchungen zum familiären Hintergrund des Stotterns. Eine Studie der Uni Zürich zeigte bereits in den siebziger Jahren, dass Stotternde den Ausdruck starker Gefühle oft unterdrücken. Eine spätere Untersuchung macht deutlich, dass sie dies als Kinder lernten – um ihre Eltern zu schonen. Viele Kinder strengen sich bis zum Äussersten an, ihren Beitrag zum Wohlergehen ihrer Eltern zu leisten.

«Stottern kommt oft dann zustande, wenn widersprüchliche Gedanken und Gefühle gleichzeitig zum Ausdruck gebracht werden sollen», sagt der Psychologe Jürg Kollbrunner. «Das Kind will dies und das sagen und gleichzeitig jenes nicht. Es steckt in einem Gewirr.»

Kollbrunner ist wie Zimmermann am Inselspital in Bern tätig. Er weist darauf hin, dass das Verhalten der Eltern deutlich geprägt ist von den Erfahrungen, die sie selbst als Kind gemacht haben. «Wenn dies einmal erkannt ist, besteht die Chance, sich aus unbewussten Mustern zu lösen.»

Kollbrunners «Ratgeber für Eltern von kleinen Kindern, die nicht flüssig sprechen» (siehe «Was tun, wenn Ihr Kind stottert?») setzt sich intensiv mit der Frage elterlicher Schuldgefühle auseinander. «Aussagen zum Thema Schuld werden in unserer Kultur häufig missbraucht», schreibt er. «Diese Fragen lassen sich nur dann konstruktiv erforschen, wenn Sie als Eltern bereit sind, neben Ehrlichkeit auch ein gewisses Mass an Nachsicht sich selbst gegenüber walten zu lassen.» Juliettes Mutter: «Wahrscheinlich fürchtet man als Mutter, als Vater, sich mit den eigenen Schuldgefühlen auseinander zu setzen. Dies aber ist notwendig. Dem Kind zuliebe.»