Wie hoch ist mein Existenzminimum? Das fragen viele Anrufende an der Beratungshotline des Beobachters. Die Antwort hängt davon ab, weshalb jemand in Not geraten ist.

Wer nicht mehr in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Mittel für ein menschenwürdiges Dasein. So steht es in der Bundesverfassung. Wer wie viel bekommt oder behalten darf, ist dort aber nicht geregelt. Je nach dem Grund, warum jemand nicht mehr über die Runden kommt, ist das Existenzminimum anders definiert.

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Eine überschuldete Person hat zum Beispiel ein höheres Existenzminimum zugut als jemand, der auf Sozialhilfe angewiesen ist. Und wenn eine AHV- oder IV-Rente nicht zum Leben reicht, können Betroffene Ergänzungsleistungen beantragen; dadurch kommen sie auf ein weit höheres Existenzminimum als Sozialhilfebezüger. Am tiefsten ist das Existenzminimum für Asylbewerber definiert (siehe Beispiele).

Die Unterschiede sind nicht immer plausibel – und deshalb umstritten. «Die verschiedenen Existenzminima haben sich im Lauf der Zeit unabhängig voneinander herausgebildet», erklärt Felix Wolffers, Co-Präsident der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos). «Es gibt in der Schweiz keine Instanz, die für eine einheitliche Festlegung der Existenzminima zuständig ist.»

«Zeit, die Systeme anzugleichen»

So bestimmt der Bund etwa die Höhe der Ergänzungsleistungen, hat aber in der Sozialhilfe nichts zu sagen. Sie wird kantonal festgelegt. Dabei gelten ausserdem je nach Gemeinde unterschiedliche Ansätze.

Dieses Nebeneinander verschiedener Systeme und unterschiedlicher Leistungen findet Wolffers wenig sinnvoll. «Es ist Zeit, die Systeme anzugleichen. Dabei könnten regional unterschiedliche Mieten und Krankenkassenprämien durchaus berücksichtigt werden. Die Skos-Richtlinien tun das ja für die Sozialhilfe bereits.»

 

«Jede staatliche Hilfe an Arbeitsfähige muss deutlich tiefer ausfallen als das geringste im Land bekannte Arbeitseinkommen.»

Andreas Glarner, Nationalrat

Die Bundesverfassung gewährleistet ein «Recht auf Hilfe in Notlagen». Allerdings nur für Bedürftige, die sich nicht helfen können. Für Andreas Glarner, Aargauer SVP-Nationalrat und Kritiker der Skos-Ansätze, ist dieser zweite Teil entscheidend: «Wer sich selber helfen kann, soll weniger Unterstützung erhalten als jemand, dem das unmöglich ist.» Sozialhilfe solle nur helfen, einen vorübergehenden Missstand zu beheben, sonst verkomme sie zu einer «sozialen Hängematte».

Wer bekommt staatliche Unterstützung?

Im Jahr 2016 bezogen in der Schweiz 273'273 Personen Sozialhilfe. Das entspricht 3,3 Prozent der Bevölkerung. Auf dem gleichen Einkommensniveau, aber ohne Sozialhilfe zu beziehen, lebten sogar 7 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung (Stand 2015). Im Jahr 2016 waren ausserdem 318'600 Rentnerinnen und Rentner auf Ergänzungsleistungen 
angewiesen.

Quelle: Bundesamt für Statistik

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Wenn das Geld nicht reicht
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«So rappelt man sich eher auf»

«Wenn die Einschränkung massiv ist, rappelt man sich eher wieder auf, um aus der unbequemen Situation herauszukommen», sagt Glarner. Davon ausgenommen werden sollten nur Leute, die infolge echter körperlicher Gebrechen nicht arbeitsfähig sind. «Für sie haben wir aber die IV.»

Ein sogenanntes Lohnabstandsgebot ist für Nationalrat Glarner deshalb entscheidend: «Jede staatliche Hilfe an Arbeitsfähige muss deutlich tiefer ausfallen als das geringste im Land bekannte Arbeitseinkommen.»

Ansprüche pro Monat: Riesige Unterschiede

Verschuldet - 4028 Franken

Wer Schulden hat, kann bis auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum gepfändet werden.

Zum Beispiel: alleinerziehende Frau, verschuldet, mit zwei Kindern, mit Erwerbseinkommen, Kanton Aargau

Grundbedarf erwachsene Person
1200
11-jähriges Kind
600
7-jähriges Kind
400
Miete
1100
Krankenkassen
634
auswärtiges Essen
44
Fahrauslagen
50
Total
4028

verfügbarer Betrag pro Monat für auf betreibungsrechtlichem Existenzminimum Lebende

 

Davon werden das Einkommen der Mutter (im Beispiel 1000 Franken für einen 25-Prozent-Job) abgezogen. Wohnnebenkosten, Schulauslagen für die Kinder oder Franchise und Selbstbehalt der Krankenkasse werden zusätzlich gewährt.

Mit Sozialhilfe - 3534 Franken

Wer kein Erwerbseinkommen hat oder davon nicht leben kann, hat Anrecht auf Sozialhilfe.


Zum Beispiel: alleinerziehende Frau mit zwei Kindern, mit Erwerbseinkommen, bezieht Sozialhilfe, Kanton Aargau

Grundbedarf für 3 Personen
1834
Miete
1100
Krankenkassen
436
auswärtiges Essen
64
Einkommensfreibetrag, falls die Mutter arbeitet
100
Total
3534

verfügbarer Betrag pro Monat für Sozialhilfebezügerin

 

Der Lohn der Frau (im Beispiel 1000 Franken für einen 25-Prozent-Job) und Unterhaltsbeiträge des Vaters werden abgezogen. Auch bei der Sozialhilfe können zusätzliche medizinische Kosten vergütet werden. Das Sozialamt kann einen Wechsel zu einer günstigeren Kasse oder in ein alternatives Modell verlangen, deshalb ist die Richtprämie tiefer.

Doch warum soll einem stark Überschuldeten mehr bleiben als jenem, der keine Arbeit mehr findet? «Beim betreibungsrechtlichen Existenzminimum kann man immerhin davon ausgehen, dass noch ein ordentliches Einkommen erzielt wird», sagt Glarner. Und jedem, der noch arbeite, sollte grundsätzlich mehr im Portemonnaie bleiben als einem Sozialhilfebezüger.

Dass Asylbewerber noch knapper gehalten werden als Sozialhilfebezüger, ist für Glarner ebenfalls gerechtfertigt – «wegen der immensen Zahl reiner Wirtschaftsflüchtlinge». Sonst würde die Schweiz zu attraktiv für Migranten.

Rechtsratgeber
«Was ist durch den Grundbedarf gedeckt?»

Welche Auslagen von Sozialhilfebezügern sind durch die Sozialhilfeleistungen gedeckt? Und wie hoch ist der Grundbetrag je nach Personenhaushalt? Beobachter-Mitglieder erfahren mehr dazu unter «Grundbedarf in der Sozialhilfe: Für was muss das Geld ausreichen?».

«Dahinter steckt eine Wertung»

Der Basler Soziologe Ueli Mäder sieht das anders. Für ihn widersprechen die unterschiedlichen Existenzminima dem Grundsatz der Rechtsgleichheit: «Sie sind flickwerkartig entstanden. Dahinter steckt keine Logik, aber eine Wertung. Davon zeugt besonders der tiefste Ansatz bei den Asylbewerbenden.» Der höhere Ansatz bei den AHV- und IV-Renten sei dagegen erfreulich und erkämpft worden. 

Für Ueli Mäder wäre es angemessen, alle Existenzminima zumindest auf das Niveau der Ergänzungsleistungen anzuheben. «Das würde vielen Leuten den Rücken stärken. Die Leistungen werden auch sehr gezielt vergeben. Sie erreichen jene, die darauf angewiesen sind.» Hinzu komme eine hohe Wertschöpfung, weil über die Konsum- und Mietausgaben zusätzlich Arbeitsplätze geschaffen würden. «Das hilft letztlich allen. Denn einer Gesellschaft geht es dann gut, wenn es allen gut geht.»

Asylbewerberin - 810 Franken

Wer sich in der Schweiz um Asyl bewirbt, hat Anrecht auf eine reduzierte Sozialhilfe.

Zum Beispiel: alleinerziehende Asylbewerberin mit zwei Kindern, ohne
Erwerbseinkommen, Kanton Aargau

Verpflegung Mutter (8 Fr./Tag)
240
Verpflegung 2 Kinder (à 7 Fr./Tag)
420
Taschengeld Mutter
30
Taschengeld Kinder
60
Kleidergeld Mutter
20
Kleidergeld Kinder
40
Total
810

verfügbarer Betrag pro Monat für Asylbewerberin (ohne Wohnen und Krankheitskosten)

 

Asylbewerbende wohnen in kollektiven Unterkünften und sind kollektiv krankenversichert. Die Kosten trägt der Kanton.

Mit EL - 5525 Franken

Wenn die AHV oder die IV nicht reicht, können Betroffene Ergänzungsleistungen (EL) beantragen.

Zum Beispiel: alleinerziehende IV- und EL-Bezügerin mit zwei Kindern, mit
Erwerbseinkommen, Kanton Aargau

Lebensbedarf Mutter
1608
Lebensbedarf 1. Kind
840
Lebensbedarf 2. Kind
840
Miete
1100
Krankenkasse (direkte Auszahlung an die Kasse)
634
Einkommen ausserhalb des EL-Abzugs
503
Total
5525

verfügbarer Betrag pro Monat für EL-Bezügerin

 

Der Lohn der Frau (im Beispiel 1000 Franken für einen 25-Prozent-Job)
wird zu 497 Franken angerechnet. Die IV-Renten werden abgezogen.