Vom Krieg in die Herzchirurgie
Omer Dzemali wollte unbedingt Arzt werden. Dafür überwand der zielstrebige Albaner viele Hürden – und kam über Umwege erfolgreich in der Schweiz an.
Veröffentlicht am 26. April 2016 - 15:59 Uhr
Omer Dzemali hat schon Hunderte Schweizer am offenen Herzen operiert. Der Albaner schreitet mit schnellen Schritten durch den Gang, die Operation hat heute länger gedauert. Dzemali ist Herzchirurg am Zürcher Triemlispital und stellvertretender Chefarzt. In seinem Büro hängen der albanische Doppelkopfadler und Volksheld Skënderbeu an der Wand, Dzemali ist stolzer Albaner. In seiner Kindheit in Ex-Jugoslawien wäre das gefährlich gewesen.
Dzemali wuchs in einem albanischen Bergdorf im heutigen Mazedonien auf. Seine Eltern waren beide Lehrer. «Sie mussten stets aufpassen, dass sie nichts Falsches unterrichteten.» Denn wer verdächtigt wurde, proalbanisches Gedankengut zu lehren, wurde verhaftet, «differenziert» wie es in Tito-Jugoslawien hiess. Etliche Male wurde der Vater vernommen. Angst gehörte zum Albanersein.
Omer Dzemalis Eltern hatten ungewöhnlich moderne Ideen: Seine Mutter war eine der ersten Lehrerinnen und eine der wenigen, die kein Kopftuch trug. Und sie waren inmitten der kinderreichen albanischen Familien die einzigen, die bewusst nur ein Kind wollten. Ihr Sohn sollte bessere Chancen haben. Doch Dzemali musste erst vor Krieg, Kugelhagel und Korruption fliehen, um seine Chance zu packen.
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Dzemali wollte Arzt werden, wusste aber nicht wie. «An allen Unis in Jugoslawien musste man entweder Geld zum Bestechen oder Vitamin B haben – beides hatte ich nicht», sagt er. Nur Sarajevo galt als offener, Dzemali trat zur Aufnahmeprüfung an und machte null Fehler – «da mussten sie mich nehmen.»
Das Studium lief gut, die Stimmung war locker, man lebte mit Serben, Bosniern und Kroaten unter einem Dach. Doch dann, 1992, ging es plötzlich los. «Wie wenn jemand einen Schalter umgelegt hätte», sagt Dzemali. Plötzlich nur noch Hass, Morde unter Nachbarn und Freunden, Granaten, überall Scharfschützen auf den Dächern. Die Uni wurde geschlossen, Dzemali brauchte zwei Wochen, um von seiner Wohnung bis zum Flughafen zu gelangen, rannte von Haus zu Haus, versteckte sich, rannte wieder – und erwischte eines der letzten Flugzeuge, raus aus Sarajevo.
Weil er in Jugoslawien nirgendwo sonst studieren konnte, ging Dzemali nach Deutschland, wo er bereits einen Sommer lang in einer Fabrik geschuftet hatte. Innert sechs Monaten lernte er fliessend Deutsch und bewarb sich an 23 deutschen Unis. Die Uni Mainz nahm ihn auf. «Ich musste wieder von Null anfangen», sagt er. Doch er fiel mit seinem Wissen bald auf und wurde Assistent des Anatomieprofessors. In Deutschland sei alles viel einfacher gewesen. «Es gibt Regeln und Gesetze. Und was geschrieben steht, gilt auch.» Diskriminierung – das kenne er aus Jugoslawien, in Deutschland und der Schweiz habe er sich nie benachteiligt gefühlt.
«Mit einer guten Ausbildung hat man es leichter.»
Omer Dzemali, stv. Chefarzt Herzchirurgie, Triemlispital, Zürich
Als Dzemali vor knapp sieben Jahren in die Schweiz zog, kam er nicht als albanischer Migrant, sondern als hochqualifizierter Herzchirurg mit deutschem Pass. «Mit einer guten Ausbildung hat man es leichter», sagt der 46-Jährige. Er fühle sich bestens integriert. Für seine beiden Kinder hingegen war der Weg steinig.
Der Herzchirurg wählte bewusst nicht das urbane Zürich als Wohnort, sondern eine kleinere Gemeinde im Aargau. So schweizerisch wie möglich, damit seine Kinder in die Schweizer Kultur eintauchen konnten. Doch sein Sohn wurde als Ausländer gehänselt, so sehr, dass ihn Dzemali aus der Schule nahm und in eine Privatschule steckte. «Du blöder Deutscher!», hätten sie den Sohn beschimpft.
Dzemali war eine Rarität, als er in Deutschland sein Medizinstudium aufnahm. Es gab kaum albanische Studenten. Heute sind es Tausende an den Schweizer Universitäten. Dzemali möchte, dass auch seine Kinder Matur machen. «Da übe ich einen gewissen Druck aus», sagt er. «Wir Albaner dürfen nicht jammern. Wir müssen kämpfen, um positiv aufzufallen.»
Dzemalis Telefon klingelt, es ist der Assistenzarzt. Das Herz ist stabil.
«Nationalität und Kriminalität hängen nicht zusammen»
Das negative Image von Albanern wird von den Medien mitgeprägt, sagt Migrationsforscherin Denise Efionayi-Mäder. Die Herkunft von Straftätern solle nicht genannt werden.