«Weisch, wan i mein?»
Rapper aus dem wilden Schweizer Osten mischen heute ganz vorn in der hiesigen Hip-Hop-Szene mit. Unbeliebter Dialekt inbegriffen.
Veröffentlicht am 12. April 2016 - 10:02 Uhr
«Die Rap-Szene Schweiz war noch nie so geil wie heute», sagt Pablo Vögtli, rappender Moderator der Sendung «Bounce» auf Radio SRF Virus. Mit dabei sind heute auch Hip-Hopper, die ihre Botschaften in den unbeliebtesten Dialekten der Schweiz ins Mikrofon rappen – Thurgauer, St. Galler, Rheintaler.
Vögtli ist überzeugt, dass es im Rap keinen «Dialekt-Faschismus» gibt. «Das ist doch kleinbürgerlicher Schweizer-Vorgärtli-Scheiss. Und die Hip-Hopper sind progressiv.» Wenn einer gut rappe, sei es egal, in welcher Sprache er es tue.
Widerspruch kommt aus der Ostschweiz selbst: «Hier gibt es eine sehr lebendige Hip-Hop-Szene mit vielen jungen, coolen Talenten. Doch kaum jemand nimmt uns wahr», protestiert Khaled Aissaoui alias E.S.I.K., Rapper aus St. Gallen.
Die Rapper aus dem wilden Osten sind denn auch im Programm von Radio SRF Virus untervertreten. Wieso? Der Luzerner Pablo Vögtli räumt dann doch ein: «Den Berner Dialekt hört fast jeder gern, den Thurgauer weniger.» Dabei sei so ein richtig giftiger Ostschweizer Dialekt gerade für Battle-Rap einfach perfekt. Vögtli muss es wissen: Jedes Jahr organisiert er den «SRF Bounce Cypher», einen sechsstündigen Rap-Marathon für Rapper aus der ganzen Schweiz.
Tatsächlich rangieren die Ostschweizer Dialekte bei Beliebtheitsumfragen regelmässig auf den hintersten Rängen. «Das hat aber mit dem Klang des Dialekts wenig zu tun», sagt der Thurgauer Sprachwissenschaftler Martin Hannes Graf. Er macht historische Gründe für die Vorurteile gegen die Ostschweizer Idiome verantwortlich: «Regionen im Osten einer Stadt oder eines Landes haben traditionell einen eher schlechten Ruf. Das East End ist selten der vorzeigbarste Teil der Stadt.» Spätestens seit dem Kalten Krieg sei klar:
«Was aus dem Westen kommt, ist gut, der Osten ist böse.»
Grundsätzlich hätten es Dialekte aus beliebten Ferienregionen leichter, sagt Graf. Wenn man trotzdem nach klanglichen Argumenten suche, würden jeweils die «hellen» und «spitzen» Vokale als unschön bezeichnet. Allerdings kennen auch das Italienische und der Bündner Dialekt sehr helle a-Laute: «Trotzdem würde niemand behaupten, sie klängen hässlich.»
Bleibt nur noch, den Zürcher Rapper Bligg zu zitieren: «Eusi Mundart isch wie du, eusi Mundart isch wie ich. Eine für all, all für eine, dänn am End simmer all glich.»
«Mir mached immerno», rappen Phumaso & Smack. Der Winterthurer Thomas Eggli (im Bild rechts) und der Thurgauer Ariel Hasler (vorn) sind schon lange im Business. Mit 14 schrieb Eggli, heute 30, die ersten Lines, der 33-jährige Hasler mit 22. 2013 schafften sie es mit dem Album «Wurzle & Chrone» auf Platz 6 der Schweizer Hitparade. Im Jahr 2014 legten sie mit «Mittwuch Nami», realisiert mit der Crew Möchtegang, einen Chart-Erfolg nach.
Hasler und Eggli sind beide Maler von Beruf. Was bringt sie dazu, daneben so viel Energie in die Musik zu stecken? Die Antwort findet sich auf dem letzten Album: «Ich bi immer no än Fan vo dir, und genau us däm Grund steck ich immer so vil Herz da iä. Jedä Vers vo mir, wo du mitsingsch a dä Live-Konzert, wo du mir äs Lächlä i s Gsicht bringsch, hät sich gloont. Figg uf än fettä Loon.»
«Man steht auf der Bühne und realisiert, dass die Kids die Songs, in die man so viele Stunden investiert hat, auswendig können. Das ist ganz grosses Kino», sagt Eggli. Und Hasler: «Dafür machst du das. Für diese Momente, das Feedback der Fans.» Zum Fototermin bringen sie ihren DJ Chris Berger (links) mit und Lucas Schoch (hinten Mitte), der ihre Beats produziert. «Wir stehen im Rampenlicht», erklärt Eggli, «aber ohne unsere Crew wären wir niemand. Das wollen wir zeigen.»
Hasler und Eggli liefen sich 2006 im Ausgang über den Weg und beschlossen, gemeinsam ein Lied zu machen. Dass einer von ihnen thurgauert, war nie ein Thema. «Die Dialekt-Nazis gehen mir eh auf den Sack», sagt Hasler. Er wisse, dass der Thurgauer Dialekt nicht beliebt sei. «Bei dir klingts voll okay», höre er von Fans immer wieder. «Darauf kann man doch stolz sein, oder?»
Momentan verbringen beide jede freie Minute im Studio. «Wänn du frögsch, warum ich Musig mache – wil ich susch stirb.»
- Phumaso & Smack
- Möchtegang
«Ich will nicht behaupten, dass ich mehr Erfolg hätte, wenn ich berndeutsch rappen würde», sagt Demian Länzlinger aka Crispy Dee in breitem Thurgauer Dialekt. Aber persönlich hört auch er lieber Berner oder Luzerner rappen.
Natürlich habe er sich schon überlegt, englisch zu texten. Aber in der Muttersprache sei sein Wortschatz viel grösser, da lohne sich das einfach nicht. «Die Sprache, die Lyrik ist mein Kapital», sagt Länzlinger, der mit feinsinnigen Texten überzeugt. Letztes Jahr spielte der 25-Jährige auf Tournee mit achtköpfiger Band vor ausverkauften Rängen.
Die ersten Schritte in der Hip-Hop-Szene machte Crispy Dee mit 15 in der Freestyle-Szene in Weinfelden. Heute sei der Thurgau raptechnisch tot. «Die ganze Szene hat sich in die grösseren Zentren verlagert.» Zudem sei das Ostschweizer Publikum das kritischste überhaupt. «Winterthur und Bern gehen voll ab. Aber im Thurgau musst du um jeden Fan kämpfen.»
Seine Fanbase umfasst auch Erwachsene. Für sie hat er einen Konzeptsong über das Leben im Altersheim geschrieben. «Daran will ich ethisch gemessen werden», sagt Länzlinger. Gern auch an seinem neusten Projekt: «Torture», einem Rap gegen Folter, den er mit seinem Homie Julian Juellz für Amnesty International produziert hat.
Die Resonanz in der Szene sei ihm wichtig, sagt Länzlinger. Aber in erster Linie rappe er heute, um ausdrücken zu können, was er zu sagen habe. «Sid s Wort mir git, was ich vom Wort erwartä, sind diä Wort wiä Sucht.»
- Crispy Dee & Band
«St. Gallen ist Heimat», sagt Sinan Stäheli aka CBN – in fast astreinem Züritüütsch. Der 28-jährige Jurist lebt heute in Zürich. Er bezeichnet sich als einen zum Zürcher assimilierten Ostschweizer.
Stäheli gehört zu den erfolgreichsten Rappern der Schweiz. Kürzlich stürmte er mit der Hip-Hop-Formation Eldorado FM und dem Album «Luke mir si di Vater» auf den zweiten Platz der Hitparade. Direkt hinter Madonna.
Er kann nicht sagen, ob das auch möglich gewesen wäre, wenn er wie zu Beginn seiner Karriere st. gallisch gerappt hätte. Den Dialekt abzulegen sei kein bewusster Entscheid gewesen. Es passe aber zu seinem Lebensgefühl als Weltbürger: «Dieses im Rap zelebrierte Lokalpatrioten-Ding ist doch bireweich.»
Stäheli passt nicht in gängige Rap-Schubladen. Er trägt Blazer statt Kapuzenpulli, Tod’s statt Turnschuhe. Er rappt vom Kniefall von Canossa, von Tolstoi und Säkularismus. Seine Texte sind bildhaft, klug und, wenn man genau hinhört, oft politisch. Man solle als Künstler klare Positionen beziehen, «am liebsten zwischen den Zeilen». Nur zwischendurch «holze» er sprachlich bewusst «quer drüber», weil das Intellektuelle ja nur eine Facette seiner Persönlichkeit sei. «Ir reded vo Getto? Gönd mal nach Aleppo.»
Aktuell arbeitet Stäheli an seinem zweiten Soloalbum: «Mis Album chunt, wenns so wiitergaat, im Jaar zweituusigdriissg. Die Zwiifel da sind riisegross, i han mit mir selber nur no Striit.»
Von der Musik leben kann Stäheli nicht, trotz Erfolgen. Wollte er auch nie. «Sobald du das machst, musst du deine Musik an den Mainstream-Geschmack anpassen. Solch dummes Zeug gibt es genug.» Da macht er lieber die Anwaltsprüfung und rappt weiter: «Und Fründe us dä Jugend plötzlich Fäändli sind im Wind, tänkt mä öfters mal, mä spint, bisch hütt min Fründ, bisch morn min Find.»
- CBN
- Eldorado FM
- Der Berühmteste: Manuel Liniger aka Manillio. In Frauenfeld geboren, aber schon vor langer Zeit nach Solothurn ausgewandert.
- Khaled Aissaoui aka E.S.I.K., Rapper, DJ-Legende und Blogger aus St. Gallen.
- Gilles Riedweg alias Raboose. Der Rapper mit Wurzeln im Thurgau hat sich in St. Gallen niedergelassen.
- D.A.R.I.O. – 18-jährige Nachwuchshoffnung aus dem wilden Osten. Rappt in Hochdeutsch und Mundart.
- Raphael Gnägi aka Rones, selbsternannter Rap-God St. Gallens.
- KiKo & BoRo aka 361 Grad, Gangster-Rap aus St. Gallen für Leute mit viel Humor und wenig gegen F-Wörter.
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