So werden Klöster und Kirchen in der Schweiz umgenutzt
Wie baut man ein ausgedientes Kloster um, ohne gross an der historischen Substanz zu kratzen? Ein Besuch im renovierten Kapuzinerkloster von Stans – und fünf weitere Beispiele für Umnutzungen.
Auf den ersten Blick fallen sie nicht auf. Erst beim zweiten Hinschauen sieht man die hellen Felder auf dem Holzboden. Man wundert sich: Was hat es mit diesen Rechtecken auf sich? Alle sind exakt gleich gross und ziehen sich in Reih und Glied durch den Raum.
Wir sind im Festsaal im renovierten Kapuzinerkloster von Stans, in dem sich heute alles um Ernährung dreht. Die Abdrücke stammen von den Bücherregalen der Klosterbibliothek, die einst hier untergebracht war. Sie sind eine beiläufige Hinterlassenschaft des früheren Alltags, ein Erbe der Kapuziner.
Für Birgit Rothen, Architektin mit Büro in Winterthur, zeigt dieses visuelle Detail treffend, nach welcher Philosophie ausgediente Kirchen oder Klöster umgenutzt werden sollten: «Es geht darum, die wunderbaren Raumkonzepte solcher Sakralbauten in Stand zu halten und aufzuwerten. Aber auch darum, Spuren von früher zu belassen. Heutige Besucherinnen und Besucher sollen – wortwörtlich – spüren, was dieser Ort gestern war.»
Der erste Klosterbau im Stanser Dorfkern datiert von 1583, später folgten etliche Anpassungen. Heute ist die Anlage geprägt von einem umfassenden Umbau im Jahr 1907. Die letzten Kapuzinerbrüder zogen 2004 aus und verkauften Land und Gebäude dem Kanton Nidwalden. Lange stand das Kloster leer, jetzt hat sich das «Culinarium Alpinum» eingenistet, ein Kompetenzzentrum für Kulinarik im Alpenraum mit Hotel, Restaurant und Bildungsangeboten – essen statt beten. Zwölf Millionen Franken wurden in den Umbau investiert. Realisiert hat ihn ein Team des Architekturbüros Rothen zwischen 2018 und 2020.
Bedeutende Bauten
Etwa 200 Klöster, Kirchen und Kapellen in der Schweiz haben in den letzten 25 Jahren eine ähnliche Metamorphose durchlaufen oder stehen kurz davor. Das zeigt eine Datenbank der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Sie dokumentiert, was mit Sakralbauten passiert, die für ihren eigentlichen Zweck nicht mehr gebraucht werden: Viele werden in ihrem zweiten Leben weiterhin kirchlich genutzt, andere ganz und gar weltlich. Abgerissen werden nur wenige der verwaisten Gotteshäuser. Denn sie sind kulturhistorisch und städtebaulich zu bedeutend und dazu mit religiösen Identitäten und Emotionen verknüpft.
Das macht Umnutzungsprojekte aus architektonischer Optik umso attraktiver – «eine Königsdisziplin», findet Birgit Rothen. Als sie den Auftrag erhielt, das Kapuzinerkloster Stans für die neue Verwendung fit zu machen, war ihr erster Gedanke: «Wow, mega cool!» Der zweite: «Ganz schön knifflig, so etwas gut hinzukriegen.» Zumal der historische Komplex baulich zu weiten Teilen in einem schlechten Zustand war. Gerade diese erste Phase der Sichtung stelle besondere Anforderungen, sagt die 53-Jährige. «Man muss solch ein altes Haus verstehen, seine Qualitäten erkennen. Das braucht viel Geduld und Lust, sich darauf einzulassen.»
Planen mit der Denkmalpflege
Die Fragen, die sich stellten: Was müssen wir sanieren, weil es die Vorschriften etwa für die technischen Installationen oder den Brandschutz erfordern? Welche Gebäudeteile sind zwingend zu erneuern, um die vorgesehene Nutzung zu ermöglichen? Und wo können wir auf Eingriffe verzichten? Die letzte Frage sei auch aufgekommen, weil das Kostendach die Grenze setze.
Noch mehr Puzzleteile ins Spiel brachte die Denkmalpflege. Sie war von der ersten Stunde an involviert. Für Architektin Rothen war sie nicht etwa ein Bremsklotz, sondern eine Hilfe. «Es gibt dort enorm viel Fachwissen, wie man mit historischer Bausubstanz umgeht.» Je nach Schutzumfang definierten die Denkmalpfleger Gebäudeteile, wo bauliche Eingriffe möglich waren. So hatte Rothen im Parterre weitreichende Gestaltungsfreiheit für den neuen Gastrobereich. Andere Zonen mussten hingegen gänzlich unverändert erhalten bleiben, etwa die Kellergewölbe. Auch die Zellen der einstigen Klosterbrüder wurden nur behutsam renoviert.
Der Kapuzinerorden pflegt einen einfachen, auf Reduktion ausgerichteten Lebensstil. Diese Charakteristik prägt auch das neue Erscheinungsbild der Stanser Klosteranlage. Alle neuzeitlichen Eingriffe ins historische Gemäuer wurden mit rohen Materialien ausgeführt; häufig mit Metall. Man habe bewusst nicht versucht, die Veränderungen dem alten Bestand anzugleichen, erklärt die Architektin: «Die neuen Elemente sollen sichtbar sein, ohne sich aufzudrängen.»
Das Team um Birgit Rothen korrigierte beim Umbau auch Geschmacksverirrungen aus den Achtzigerjahren. Damals bekamen in etlichen Räumen die Böden Spannteppiche aufgeklebt. Das repräsentative Refektorium im Erdgeschoss war mit billigem Täfer verkleidet und der Boden auf Hochglanz versiegelt worden. «Alles war intakt, aber potthässlich», erinnert sich Birgit Rothen. Das musste alles raus. Auf gewisses Erbe aus der Vergangenheit lässt sich getrost verzichten.
- Weitere Informationen zum «Culinarium Alpinum»: culinarium-alpinum.com
Eine Wohnsiedlung im Kloster Heiligkreuz in Cham ZG
Ein Kulturraum in der protestantischen Kirche von La Neuveville BE
Ein Gasthaus im Benediktinerkloster von Disentis GR
Das Kantons- und Verwaltungsgericht im Augustinerkloster Freiburg
Ein Quartier-Treffpunkt im reformierten Temple de Saint-Luc in Lausanne VD
Noch mehr Beispiele finden Sie in der Datenbank Kirchenumnutzungen der Theologischen Fakultät der Universität Bern.
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1 Kommentar
Sinnvolle Umnutzung von Klöstern mit dem vorhandenen Platzangebot in und um die Gebäude in der Schweiz: Einrichtungen schaffen für Menschen mit Demenz = Bewegungsdrang drinnen und draussen ausleben können.