Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie in einem Strafverfahren als Zeuge vorgeladen wurden. Sie haben keine Ahnung, worum es geht. Zu Beginn der Einvernahme Checkliste Was will die Polizei von mir? erklärt Ihnen die untersuchende Staatsanwältin, dass man Ihrem Bruder vorwirft, er sei an einem Einbruch ins Kunsthaus (Sachbeschädigung) samt Entwendung mehrerer wertvoller Bilder (Diebstahl) beteiligt gewesen. Und dass Ihr Bruder angegeben habe, er sei zum Tatzeitpunkt bei Ihnen zu Besuch gewesen.

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Ihnen wird mulmig zumute: Der Bruder war schon seit Jahren nicht mehr bei Ihnen zu Hause. Spätestens jetzt muss Sie die Staatsanwältin darauf hinweisen, dass Sie die Aussage verweigern dürfen, weil Sie in einer engen verwandtschaftlichen Beziehung zum Verdächtigen stehen.

Unbefugtes Schweigen kostet Geld

Im Gegensatz zum Beschuldigten, der schweigen und lügen darf, muss ein Zeuge grundsätzlich aussagen – und zwar die Wahrheit. Ein Zeuge, der die Aussage ohne gesetzlich dafür vorgesehenen Grund verweigert, kann zunächst mit einer Ordnungsbusse bestraft werden. Zudem kann man ihm die Kosten aufbrummen, die er mit seinem Schweigen verursacht hat.

Verweigert der Zeuge weiterhin die Aussage, wird er in einem eigenen Strafverfahren wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung mit einer Busse bestraft.

Falschaussage ist kein Kavaliersdelikt

Noch härter bestraft wird ein Zeuge, wenn er bewusst falsch ausgesagt hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob er die Aussage hätte verweigern dürfen oder nicht. Denn ein falsches Zeugnis ist alles andere als ein Kavaliersdelikt. Es kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden.

Unter welchen Voraussetzungen Zeugen die Aussage verweigern dürfen, listet die Strafprozessordnung Strafprozessordnung Was für Beschuldigte und Opfer gilt auf. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn man in einer engen persönlichen Beziehung zum Beschuldigten steht. Aber auch bestimmte Berufe führen zu einem Verweigerungsrecht. Und nicht zuletzt ist der Zeuge davor geschützt, sich selber belasten zu müssen (siehe unten «Wann das Zeugnisverweigerungsrecht gilt»).

Der einvernehmende Beamte muss die Zeugen aber immer darauf hinweisen, dass sie die Aussage womöglich verweigern dürfen. Wenn er das nicht tut, darf man die Zeugenaussagen unter Umständen nicht verwerten.

Wann das Zeugnisverweigerungsrecht gilt

1. Der Zeuge hat eine persönliche Beziehung zum Beschuldigten

Ehe und eingetragene Partnerschaft sind hier gleichgestellt.

  • Zeuge und Beschuldigter sind Ehegatten oder Lebenspartner.
  • Sie haben gemeinsame Kinder.
  • Sie sind in gerader Linie verwandt oder verschwägert.
  • Sie sind Geschwister oder Stiefgeschwister.
  • Der Zeuge ist Ehegatte eines Geschwisters oder Stiefgeschwisters des Beschuldigten.
  • Er ist ein Geschwister oder Stiefgeschwister des Ehegatten des Beschuldigten.
  • Er ist der Ehegatte eines Geschwisters oder Stiefgeschwisters des Ehegatten des Beschuldigten.
  • Er ist Pflegeelternteil, Pflegekind oder Pflegegeschwister.
  • Er ist sein Beistand.


Ausnahmen: Eine Aussage machen müssen Zeugen, die mit dem Opfer in einer der genannten Beziehungen stehen, wenn es um die folgenden Delikte geht: Totschlag, vorsätzliche Tötung, Mord, schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien, Raub, qualifizierte Freiheitsberaubung und Entführung, Geiselnahme, sexuelle Handlungen mit Kindern, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Schändung.
 

2. Der Zeuge will sich oder eine ihm nahestehende Person schützen

Wenn der Zeuge mit seiner Aussage sich oder eine ihm nahestehende Person (siehe Punkt 1) so belasten würde, dass man sie straf- oder zivilrechtlich verantwortlich machen könnte, darf er schweigen. Ebenso wenn er sich oder die Person einem schweren Nachteil – zum Beispiel einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben – aussetzen würde.

Ausnahmen: Bei schweren Straftaten (siehe Punkt 1) muss man trotzdem eine Aussage machen. Dasselbe gilt für den Fall, dass das Strafverfolgungsinteresse die eigenen Interessen überwiegt.
 

3. Der Zeuge ist einem Amts- oder Berufsgeheimnis unterstellt

Folgende Personengruppen können die Aussage über Geheimnisse verweigern, die ihnen jemand wegen ihres Amts oder Berufs anvertraut hat oder die sie wegen ihres Amts oder Berufs erfahren haben: Behördenmitglieder, Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, Patentanwälte, Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktiker, Apotheker, Hebammen, Psychologen.

Ausnahme: Die zuständigen Stellen können die Zeugen vom Amts- oder Berufsgeheimnis entbinden.
 

4. Der Zeuge ist Medienschaffender und will seine Quellen schützen

Wer journalistisch für ein periodisch erscheinendes Medium arbeitet, kann das Zeugnis über die Identität von Autoren sowie über den Inhalt und die Quellen der Informationen verweigern.

Ausnahmen: Der Quellenschutz gilt nicht, wenn das Offenlegen nötig ist, um eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu retten, oder wenn es um schwere Straftaten wie Tötungsdelikte geht.
 

5. Der Zeuge hat sonstige Geheimhaltungspflichten

Einem Berufsgeheimnis untersteht unter anderem auch, wer in der Humanforschung, in der Schwangerschafts- und in der Opferberatung arbeitet.

Ausnahme: Wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung dasjenige an der Geheimhaltung überwiegt, muss man trotzdem eine Aussage machen.

Beweise zurückhalten: Ist das erlaubt?

Wer das Zeugnis verweigern darf, kann sich auch weigern, den Strafverfolgungsbehörden irgendwelche Gegenstände oder Unterlagen herauszugeben. Dabei gilt der Grundsatz: «Was der Mund nicht zu offenbaren braucht, muss die Hand nicht preisgeben.» Auch wenn die Behörden solche Objekte auf anderem Weg erhalten haben, dürfen sie sie nicht immer als Beweismittel verwenden. Das ist etwa der Fall, wenn es sich um Daten oder Dokumente handelt, die aus dem Verkehr des Beschuldigten mit jemandem stammen, der das Zeugnis verweigern kann.

Persönliche Aufzeichnungen und Korrespondenz des Beschuldigten können die Behörden ebenfalls nicht verwenden, ausser das Strafverfolgungsinteresse überwiegt das Interesse am Persönlichkeitsschutz. Tabu ist zudem sämtliche Anwaltskorrespondenz – sowohl die zwischen dem Beschuldigten und seiner Verteidigung als auch die zwischen irgendwelchen Anwälten und irgendwelchen Personen.

Rechtsratgeber
Checkliste «Polizeiliche Einvernahme»

Bei einer Strafuntersuchung ist es wichtig, die eigenen Rechte zu kennen. Können Aussagen wie «Ich kann mich nicht erinnern!» bereits gegen einen verwendet werden? Ist man verpflichtet, das Protokoll zur Einvernahme zu unterschreiben? Beobachter-Mitglieder erhalten die Antworten in der Checkliste «So kommen Sie in der polizeilichen Einvernahme nicht unter die Räder».

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