Politik will Schuldnertourismus stoppen
Ein schweizweit einheitlicher Betreibungsregisterauszug würde Betrug erschweren. Der Nationalrat entscheidet über eine entsprechende Gesetzesanpassung.
Veröffentlicht am 22. April 2025 - 16:12 Uhr
Kein Witz: In der Schweiz gibt es Hunderte Betreibungsämter mit teils unterschiedlichen Vorgehensweisen.
Bis jetzt ist es recht einfach, bei der Wohnungsbewerbung zu tricksen oder Geschäftskunden zu täuschen. Man kann einfach beim Betreibungsamt einer Nachbargemeinde einen Auszug bestellen, der dann leer ist. Oder zügeln – damit wird der Betreibungsregisterauszug faktisch gelöscht. So explizit hielt es sogar der Bundesrat in einem Bericht fest.
Für Betrüger ist das so einfach, weil es in der Schweiz keinen landesweit einheitlichen Betreibungsregisterauszug gibt. Mehr noch: Es gibt mehr als 300 Betreibungsämter mit teils unterschiedlichen Vorgehensweisen. Es ist zum Beispiel vielerorts noch gar nicht möglich, dass ein Betreibungsamt prüft, ob die Antragstellerin überhaupt in seinem Einzugsgebiet wohnt.
Ein nationaler Betreibungsregisterauszug ergibt Sinn
Schon vor über zehn Jahren bat Mitte-Nationalrat Martin Candinas den Bundesrat, zu prüfen, wie man dem sogenannten Schuldnertourismus Einhalt gebieten könne. Das Parlament und der Bundesrat haben sich seither mehrmals mit diesem Thema beschäftigt.
Nun entscheidet der Nationalrat voraussichtlich im Juni über eine Gesetzesanpassung zur Einführung eines einheitlichen Betreibungsregisterauszugs. Dieser soll künftig rund um die Uhr über eine nationale Datenbank abrufbar sein und keinen zusätzlichen administrativen Aufwand verursachen.
Die Rechtskommission des Nationalrats hat alle wichtigen Akteure befragt und wird Ende Mai einen Vorentscheid fällen. Darüber, dass ein nationaler Betreibungsregisterauszug Sinn ergibt, sind sich für einmal sogar der Mieterinnen- und Mieterverband und der Hauseigentümerverband (HEV) einig, schreibt der «Tages-Anzeiger». Auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und der Schweizerische Gemeindeverband seien einverstanden.
Kundschaft könnte Shops vor Einkauf überprüfen
Es ist klar, dass eine schweizweite Betreibungsauskunft etwa für Wohnungsvermieter attraktiv ist, um die Zahlungsfähigkeit potenzieller Mieter einzuschätzen. «Es ist schon eine erhebliche Vereinfachung und viel billiger, wenn man bei einem Umzug nicht mehrere Auszüge bestellen muss», sagt denn auch Yves de Mestral vom Betreibungsamt des Zürcher Kreises 3. Er ist Präsident der Konferenz der Stadtammänner und Stadtamtsfrauen von Zürich.
Aber was bringt es den Konsumentinnen und Konsumenten? «Ein schweizweiter Auszug kann auch dabei helfen, Vorschussbetrug zu verhindern – also wenn ich etwas bezahle, aber die Ware nicht erhalte», sagt de Mestral. Wenn man den Betreibungsregisterauszug prüfen könne, falle man nicht auf betrügerische Firmen herein.
De Mestral weist noch auf einen weiteren Vorteil für Konsumentinnen und Konsumenten hin: Ein einheitliches Betreibungsregister könne das grassierende Business mit Bonitätsdaten eindämmen. Tatsächlich speichern sogenannte Wirtschaftsauskunfteien wie Crif oder Intrum massenhaft Daten und verkaufen sie an Versandhäuser oder Telekomunternehmen weiter, die wissen wollen, wie zahlungsfähig jemand ist.
Bonitätsprüfer könnten weniger Daten sammeln
Wenn man also bei Zalando bestellt oder ein Auto leasen will, kann es sein, dass die Anbieter vorab die Bonität der Konsumenten bei diesen Wirtschaftsauskunfteien überprüfen.
Über verhängnisvolle Fehler in diesen Datenbanken hat der Beobachter schon mehrmals berichtet. Zum Beispiel über Andreas Meier, der einen Namensvetter hat und ständig mit ihm verwechselt wird. Dieser hat Schulden – und deswegen konnte Meier kein neues Handyabo abschliessen.
«Mit einer schweizweiten Betreibungsregisterauskunft wäre es für Wirtschaftsauskunfteien weniger lukrativ, entsprechende Daten über Privatpersonen zu sammeln», sagt Yves de Mestral. «Denn Vermieter, Versandhäuser oder Geschäftspartner könnten dann viel einfacher direkt im nationalen Register überprüfen, wie die Bonität einer Person aussieht. Das wäre letztlich ein Fortschritt für den Datenschutz.»
«Bonitätsprüfungen durch private Unternehmen sind sehr intransparent.»
Angela Müller, Leiterin der Organisation Algorithmwatch Schweiz
Die Wirtschaftsauskunfteien sind auch der Organisation Algorithmwatch Schweiz ein Dorn im Auge. Die Menschenrechtsorganisation setzt sich dafür ein, dass Algorithmen und künstliche Intelligenz Gerechtigkeit, Demokratie und Nachhaltigkeit stärken, statt sie zu schwächen.
Entsprechend positiv beurteilt Leiterin Angela Müller Bestrebungen für einen einheitlichen Betreibungsregisterauszug: «Bonitätsprüfungen durch private Unternehmen sind sehr intransparent. Ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen, finde ich grundsätzlich begrüssenswert.»
Für viele Konsumentinnen sei es schwierig, zu erkennen, welche Daten überhaupt über sie gesammelt werden und welche relevant dafür sind, wie ihre Bonität eingestuft wird. Für die Entwicklung staatlicher Lösungen wie des einheitlichen Betreibungsregisterauszugs findet Angela Müller es allerdings wichtig, die Perspektive von Konsumenten schon früh einzubeziehen.
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 22. April 2024 veröffentlicht und nun aktualisiert.
- Bericht des Bundesrats: Schweizweite Betreibungsauskunft
- Parlamentsgeschäft: Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs
- Machbarkeitsstudie digitale Verwaltung: Schweizweite Betreibungsregisterauskunft BRA CH
- «Tages-Anzeiger»: Fertig Schuldenbschiss: Parlamentarier wollen Transparenz bei Betreibungen
2 Kommentare
Es ist halt ein bisschen falsch, aber sonst wäre es wohl keine "Story". Womit bloss anfangen...Erstens: die meisten Ämter prüfen den Wohnsitz und stellen keinen Auszug aus, wenn kein aktueller Wohnsitz vorliegt. Andere schreiben im Auszug hin, dass kein Wohnsitz vorliegt (so an sich 'richtiger').
Zweitens: Auf einen Weg- oder Zuzug in der Berichtsperiode (also wenn man erst zugezogen wäre) müsste auch hingewiesen werden (kann man in der Weisung Nr 4 der Oberaufsicht SchKG lesen (googlen). Der Standardtext weist auch darauf hin.
Fazit: betrügen kann man meist nur mit einer Urkundenfälschung. So aber kann man jede ursprünglich noch so vollständige Urkunde fälschen.
Ja, ein schweizweiter Auszug ist langfristig wünschbar, aber so einfach ist der Betrug heute nicht.
Und die Auskunfteien werden auch diese Entwicklung überleben, denn seitdem Betreibungen relativ einfach gelöscht werden können (seit 2019) vertrauen einige nur noch auf die privaten "Datensammler", die eben keine Daten löschen (müssen). Von daher erstaunt die Begeisterung der Datenschützer für eine Vernetzung der Ämterdaten.
Höchste Zeit, dass das endlich in der ganzen Schweiz ersichtlich ist. Ich habe nie verstanden, wieso das nicht längst so ist. Es wird so oft diesbezüglich betrogen.