zur Person

Milosz Matuschek hat sein Smartphone aufgegeben. Der Jurist, Sozialwissenschaftler und Publizist («Das romantische Manifest») hat es längst gegen ein uraltes Modell ohne Internetzugang ausgetauscht – weil er nicht überwacht werden will. Der 37-Jährige unterrichtet deutsches Recht an der Sorbonne in Paris und schreibt Kolumnen über Netzkultur, Liebe und politische Themen.

Beobachter: Sie mahnen, dass wir mit unseren Daten zu freizügig umgehen. Trotzdem haben Sie einen Facebook- und einen Twitter-Account. Wieso?
Milosz Matuschek: Wenn ich mich in sozialen Medien äussere, dann mit Statements, die ich so auch in der Zeitung veröffentlichen würde. Doch es gibt ganz viele Informationen, die ich nicht mit der Welt teile, etwa, wo ich mich aufhalte, mit wem ich auf einem Foto bin, wo ich zu viel getrunken habe. Ich achte auch penibel darauf, dass Leute aus meiner Umgebung das nicht tun.

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Beobachter: Und was sagt der Freundeskreis dazu?
Matuschek: Inzwischen stösst das nicht mehr auf Unverständnis. Wenn man neu zu Facebook kommt, postet man sehr viel, am Ende ist es dann immer weniger. Von meinen Freunden postet eigentlich kaum mehr einer etwas. Das lässt mich ein wenig aufatmen.

Milosz Matuscheck

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Der Jurist und Publizist Milosz Matuscheck über Daten und digitale Naivität.
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Beobachter: Sie warnen vor einer digitalen Diktatur, einem Überwachungsstaat. Bin ich denn vollkommen naiv, wenn ich mich in diesem Staat immer noch frei fühle?
Matuschek: Man kann in einem Überwachungsstaat oder einer Diktatur leben, ohne die Folgen davon unmittelbar zu spüren. Ich wage mal die Behauptung, dass es auch in einem NS-Staat ganz viele Menschen gab, die sich von den Bespitzelungen der Gestapo überhaupt nicht behelligt fühlten, weil sie dachten, sie hätten ja nichts zu verbergen und demnach auch nichts zu befürchten. Ich glaube aber, dass alles, was technisch umsetzbar ist, irgendwann genutzt werden wird, sei es von staatlichen Stellen, von Geheimdiensten oder von Firmen. Es dauert jedoch immer eine Weile, bis die Leute die Folgen bemerken. Wenn ich in zehn Jahren für die Krankenkasse mehr zahlen soll, werde ich nicht wissen, worauf das zurückgeht. Ich kann keine Kausalkette herstellen zu irgendwelchen Partyfotos oder ungesunden Lebensformen, die ich im Internet gezeigt habe und die meine Versicherung registriert hat. Das ist das Hinterhältige an der heutigen Art der Überwachung.

Beobachter: Ist es nicht etwas gar dünnes Eis, wenn Sie die Überwachung von heute mit dem Nazi-Staat vergleichen?
Matuschek: Klar, Nazi-Vergleiche sind nie schön. Ich kanns auch mit dem Kommunismus vergleichen oder mit der DDR. Wir haben ein Netz der Überwachung, wie es sich die Stasi nicht schöner hätte wünschen können. Heute trägt jeder ein Gerät in der Tasche herum, mit dem er überwacht wird, und betrachtet es auch noch als Statussymbol. Wogegen wollen Sie sich da noch wehren? In einem repressiven Staat sehen Sie den Gegner, wenn Sie etwas zu verbergen haben. In einer Welt, in der Sie freiwillig an der Überwachung teilhaben, sind Sie selbst der Gegner. Das muss man sich erst bewusst machen.

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Beobachter: Bei meinem Handy ist die Ortungsfunktion ausgeschaltet, und ich poste in sozialen Medien keine persönlichen Informationen. Reicht das denn nicht?
Matuschek: Die Frage ist, ob das Ausschalten einer Ortungsfunktion wirklich bedeutet, dass wir nicht mehr geortet werden können. Ich glaube nicht daran. Und was Sie irgendwann auf Facebook geschrieben haben, können Sie nie mehr vollständig löschen, das bleibt auf den Servern. Wir können unsere Handlungen und Äusserungen im Netz nie vollständig zurückerobern. Die Musikplattform Spotify etwa misst die Gefahr von Depressionen. Einfach indem sie schaut, welche Musik jemand mag. Solche Informationen kann man dann mit weiteren Daten kombinieren. Man hat also die unschuldige Nutzung eines Dienstes und einen Rattenschwanz an Anwendungen, die wir nicht kontrollieren können.

Beobachter: Und welches Interesse hat Spotify an solchen Daten?
Matuschek: Man kann diese Information zum Beispiel an eine Versicherung verkaufen, die sich interessiert, ob ihre Kunden depressiv sind. Das kann dann die Höhe der Prämie beeinflussen.

Beobachter: Das scheint mir etwas paranoid. Es ist doch sehr weit hergeholt, dass meine Krankenkasse zu Spotify geht und nach meinem Musikgeschmack fragt.
Matuschek: Ich glaube nicht. Von jedem, der im Internet surft, existiert eine Art zweite Identität, digitale Akten mit einem Rating-System. Es gibt Auskunft, wie gesund oder ungesund jemand lebt, wie kreditwürdig er ist und so weiter. Die Versicherung kauft ja nicht bloss Informationen über Sie ein, sondern Gross-Datenbanken, und diese werden auch nicht von Menschen durchforstet, sondern von Algorithmen. Daraus entsteht am Schluss eine Entscheidung darüber, ob die Versicherung Sie will oder nicht. Das ist eine unglaublich wertvolle Information, die man bisher in diesem Mass und mit dieser Leichtigkeit nicht bekam.

Beobachter: Eigentlich gibt es Datenschutzgesetze, die solche Auswüchse verhindern sollen. Nützt das denn nichts?
Matuschek: Als Jurist glaube ich eigentlich schon ans Gesetz. Aber ich glaube auch, dass es der Realität immer hinterherhinkt.

Beobachter: Wie beim Doping?
Matuschek: Genau. Selbst als Jurist kann ich nicht genau sagen, was ich zulasse, wenn ich den allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimme. Snapchat etwa hat vier Seiten Datenschutzbestimmungen, das liest keiner. Und selbst wenn ich es tue, weiss ich immer noch nicht genau, was mit meinen Daten alles angestellt werden kann, weil diese Bestimmungen so wachsweich formuliert sind.

«Wir haben ein Netz der Überwachung, wie es sich die Stasi nicht schöner hätte wünschen können.»

 

Milosz Matuschek

Beobachter: Und weshalb stimmen wir den AGB solcher Dienste trotzdem zu?
Matuschek: Zum einen freuen wir uns über technologische Neuerungen, weil sie häufig auch mit einer Art Komfort verbunden sind. Ein zweiter Punkt ist, dass wir diese Dienste kostenlos nutzen können. Die Rechnung bekommen wir erst später. Wir bezahlen mit unseren Daten. Das ist eine Art Kreditvertrag: Nutze jetzt, zahle später. Für so was ist der Mensch einfach sehr empfänglich. Wenn Sie beim Früchtestand eine Kirsche probieren dürfen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie gleich ein Kilo kaufen. Es gibt Schwachstellen des menschlichen Geistes, die bewusst ausgenutzt werden.

Beobachter: Die Generation der «Digital Natives» sollte eigentlich mit solchen Verlockungen umgehen können…
Matuschek: Ich sehe die Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, eher als «Digital Naives». Viele können zwar Geräte bedienen, haben aber keine Ahnung, wie diese funktionieren und was dahinter abläuft. In Europa nehmen wir den Staat und die Autoritäten nicht als böse wahr. Daraus schliessen wir, dass auch das Internet nur unser Bestes will. Aber das ist ein Irrtum. Wir sind kollektiv in eine Honigfalle getappt. Um rauszukommen, müssen wir uns erst einmal bewusst werden, was da eigentlich mit uns passiert. Die Frage ist, ob die grosse Masse bereit ist, sich das anzuhören.

Beobachter: Sie wollen den Konsumentenschutz in der digitalen Welt stärken. Wie stellen Sie sich das vor?
Matuschek: Der Staat müsste seine Aufgabe wahrnehmen und die Leute vor schädlichen Entwicklungen des Internets warnen, wie vor Tabak oder Alkohol. 

Beobachter: Sie fordern also obligatorische Warnhinweise, wenn man sich bei Twitter oder Facebook einloggt?
Matuschek: Warum nicht? Was hält uns davon ab, Facebook erst ab 18 zu erlauben und beim Login einen Warnhinweis einzublenden: «Achtung! Ihre Daten sind irreversibel verloren und werden dazu benutzt, Informationen über Sie zu generieren, von denen Sie nichts ahnen.»?

Beobachter: Was habe ich denn davon, wenn ich nichts mehr poste, keine Kreditkarte mehr nutze und mein Smartphone wegschmeisse?​​
Matuschek: 
Vielleicht haben Sie sogar Nachteile. Weil bestimmte staatliche Einrichtungen oder Firmen eventuell sagen: Passen Sie auf, Sie sind wenig präsent im Netz, Sie sind ein Unsicherheitsfaktor für uns. Wenn Sie in die USA einreisen wollen, müssen Sie am Zoll Ihr Facebook-Passwort offenlegen. Wenn Sie sich weigern oder keinen Facebook-Account haben, kann es sein, dass Sie etwas länger aufgehalten werden. Im Grunde ist es ein Dilemma. Selbst wenn wir uns aufmerksam verhalten und mit unseren Daten sparsam umgehen, können wir nicht sicher sein, dass das für uns nur Vorteile hat.

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Raphael Brunner, Redaktor
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