Die vielen Helden, die sich kümmern
Während die Politik zaudert, packt die Bevölkerung an: was jede Schweizerin, jeder Schweizer tun kann, um das Leid der Flüchtlinge zu lindern.
Es wimmelt von Heldinnen und Helden zurzeit. «Wer sich aufmacht, um Not und Unterdrückung zu entkommen, ist ein Held wie jeder, der ihm Gastfreundschaft gewährt und hilft, ein besseres Leben aufzubauen», schrieb Lukas Bärfuss in einem bemerkenswerten Essay zur Flüchtlingskrise.
Der Schweizer Schriftsteller trifft damit den Nerv des Augenblicks. Die emotionalen Bilder der Kinder, Frauen und Männer, die auf der Suche nach Sicherheit und Perspektiven durch Europa ziehen, haben Empathie und Hilfsbereitschaft ausgelöst. An die Stelle von Abwehr ist Zuwendung getreten – auch in der Schweiz, die das Drama bisher weitgehend vom Zuschauerraum aus verfolgt hat. Deutliches Anzeichen dafür sind die überlasteten Telefonlinien bei den Hilfswerken, die Wartelisten für Helfer einrichten mussten. «Wir spüren, dass eine Solidaritätswelle durch die Bevölkerung geht», sagt Heks-Sprecher Dieter Wüthrich.
Dass breite Kreise der Gesellschaft bereit sind, den Flüchtlingen auf ihrer Suche nach einem würdevollen Leben mit Offenheit statt mit Erbsenzählerei zu begegnen, ist ein ermutigendes Zeichen in der aktuellen Krise. Und es ist ein Signal nach oben: Damit wachse der Druck, mit Flüchtlingen in Not menschenwürdig umzugehen, findet Odilo Noti von Caritas Schweiz. Die Solidarität im Volk könne ein Weckruf an die zaudernden Entscheidungsträger der Politik sein, «in der Migrationspolitik konstruktiver zu handeln», sagt Noti im Interview.
Die hilfsbereite Schweizer Bevölkerung packt derweil bereits zu. Bestehende Angebote für ehrenamtliches Engagement im Migrationsbereich erhalten seit einigen Wochen regen Zulauf, neue Initiativen werden gestartet. «Es war, als hätten die Leute nur darauf gewartet, sich solidarisch zu zeigen», sagt etwa Evelyn Reiser, die bei einer Spendenaktion in ihrem Restaurant in St. Gallen förmlich überrannt wurde.
Weil die Route der Flüchtenden bislang an der Schweiz vorbeigeführt hat, gibt es im Moment mehr potenzielle Helfer als einen unmittelbaren Bedarf an Hilfeleistungen. Doch je nach der Entwicklung der politischen Grosswetterlage in Europa könnte sich das schnell ändern.
Odilo Noti, der in 26 Jahren bei der Caritas schon etliche Migrationskrisen begleitet hat, sagt nüchtern: «Wenn an einem Ort die Türen zugehen, suchen sich die Flüchtlinge einen anderen Weg, der frei ist.» Hier sei die Schweiz primär darauf angewiesen, welche Strategie die Nachbarn Deutschland und Österreich verfolgen. Mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen haben die Deutschen am Wochenende gezeigt, dass sie auf eine bessere Verteilung der Aufgaben unter den europäischen Staaten pochen.
Der «Spiegel» brachte die Stimmungslage in seiner neusten Ausgabe treffend auf den Punkt: «Ohne Euphorie am Anfang lässt sich solch eine Aufgabe nicht angehen, ohne Realismus am Ende nicht bewältigen. Aber verweigern lässt sie sich schon gar nicht.» In diesem Sinn bleibt zu hoffen, dass die Bereitschaft, sich zu kümmern, in der Schweizer Gesellschaft anhält.
Zum Beispiel: Sammeln mit der Solikarte
Die Idee ist gleichermassen simpel wie überzeugend: Statt Migros-Cumulus- und Coop-Superpunkte für sich zu sammeln, kann man sie spenden. Schon vor sechs Jahren hat Debora Buess die sogenannte Solikarte lanciert.
Zum Beispiel: Asyl in der Studenten-WG
Im Frühling haben der 27-jährige Jurist Gian Andri Färber und die 26-jährige Politologin Méline Ulrich das Projekt «Wegeleben» aufgegleist. Das Ziel: Flüchtlinge sollen in Wohnungen unterkommen, die gerade ein freies Zimmer haben. Erste Untermietverträge konnten bereits unterschrieben werden.
Zum Beispiel: Spenden
Auch Kleinbetriebe können etwas bewirken, wenn es um Hilfe für Flüchtlinge geht – wie das Beispiel eines St. Galler Restaurants zeigt, dass an zwei Sammeltagen mehrere Lastwagenladungen mit Sachspenden an Asylzentren verteilen konnte.
Zum Beispiel: Deutsch beibringen
In der Offenen Kirche St. Jakob in Zürich engagieren sich Freiwillige in der Flüchtlingshilfe. Ohne Bezahlung bieten ehrenamtliche Lehrer – wie Christoph Thut (50) aus Uster – 200 Geflohenen und Vertriebenen Deutschunterricht an.
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