Die Vergangenheit «vergessen»
Der ehemalige Direktor des Kinderheims Rathausen war für seine brutalen Strafen berüchtigt. Nun ist er gestorben; sein Nachruf verschweigt die Direktorenstelle.
Veröffentlicht am 31. Januar 2012 - 09:30 Uhr
Direktor Anton S. war bei den Kindern gefürchtet wegen seiner drakonischen Strafen in der Erziehungsanstalt Rathausen Anfang der fünfziger Jahre. Nun ist er 96-jährig gestorben. In der Todesanzeige des Bistums Basel klafft im Lebenslauf eine Lücke: die Zeit in Rathausen.
«Für alle Kinder, die unter Anton S. gelitten haben, ist das ein Affront», sagt ein 78-jähriger ehemaliger Bewohner. Wie schon sein Vorgänger habe S. immer wieder «brutal» zugeschlagen, auch bei Mädchen. «Sie mussten sich auf den Tisch legen und den Hintern frei machen. Dann kam Direktor S. mit dem Stock.» Betroffene berichten aus dieser Zeit von zahlreichen physischen, psychischen und sexuellen Übergriffen.
Die Todesanzeige führt Bischof Felix Gmür als Erstunterzeichner auf. Es sind alle priesterlichen Stationen von S. aufgelistet, ausser der Direktorenstelle in Rathausen. Das Bistum gibt an, er sei in dieser Zeit Vikar in Basel gewesen. Darauf angesprochen, lässt Bischof Gmür ausrichten, dem Bistum sei nicht bekannt, wer den Auftrag für die Anzeige erteilt habe.
Für den ehemaligen Kinderheimbewohner ist klar: Die Kirche wolle nicht zur Rathausen-Vergangenheit des Priesters stehen. Das Heim wurde bis in die siebziger Jahre vom Kloster Ingenbohl geführt, als Direktor amtete jeweils ein Priester. Das Kinderheim steht zurzeit im Zentrum einer Untersuchung des Kantons Luzern über die damaligen Zustände. Sie soll auch die Hintergründe zu mehreren Todesfällen aufklären, darunter wahrscheinlich auch Suizide. Auch die vom Kloster Ingenbohl beauftragte Kommission hat mit der Aufarbeitung der düsteren Vergangenheit begonnen.
1 Kommentar
Meine Mutter war von 1935 bis 1952 in Rathausen verwahrt. Was konnte sie mir weitergeben? Sie platzierte mich ohne Not im Alter von 14 Jahren für zwei Jahre in Bad Knutwil. Bezahlen musste damals sowohl ihre Mutter, als meine Eltern später für mich. Dort habe ich durch das Harassen schleppen der Mineralwasserflaschen (täglich kilomäßig mein damaliges Eigengewicht von 40 kg (Vollgut in Holzharassen, und es mussten stets zwei auf einmal getragen werden), für den Rest meines Lebens nicht nur meinen Rücken ruiniert. L3/L4 (L2-L-6 heute)
Als einzige Gegenleistung war in diesem Alter Rauchen erlaubt: «Wer arbeitet, darf auch rauchen», hieß die Parole. Seitdem starke Rückenbeschwerden. Habe es nie wirklich zu etwas gebracht, obwohl aus gutem und hoch angesehen Hause stammend. Ich wurde dort psychisch gebrochen. In der Folge lebenslange Depressionen, damals unerkanntes AD(H)S, noch immer existent, unzählige, rund 200 pharmazeutische Fehlmedikationen (oft in Testphase III als Versuchskaninchen) - und über die seitdem weiteren gesundheitlichen Einschränkungen will ich mich hier nicht weiter äußern.