Mit Packgeissen im Glarnerland
Wer sich auf ein Ziegentrekking durchs Glarnerland begibt, muss sich in Acht nehmen. Man verliert ganz schnell sein Herz an die klugen, schönen Tiere.
Veröffentlicht am 8. Juni 2016 - 15:08 Uhr
Max führt das Trekking an und gibt den Macho. Aber eigentlich ist er ein Softie, der immer wieder Streicheleinheiten sucht. Bino ist dafür eine Art Räuber Hotzenplotz: ein Dieb zwar, aber die Liebenswürdigkeit in Person. Nero ist auf einem Auge blind, und Romulus hat einen Grind wie ein Steinbock. «Kommt nicht von ungefähr», erklärt Werner Bleisch. Romulus’ Mutter hat sich mit dem König der Berge verlustiert. So geht die Vorstellung der Packziegen weiter, und schon ihre Geschichten sind eine Reise nach Ennenda (GL) wert.
Auf die Geissen gekommen ist Werner Bleisch eigentlich durch seine Tochter Wanda. Während andere Mädchen meist auf Hunde, Pferde oder Computer stehen, wollte Wanda als Kind – Ziegen. Heute ist das Mädchen eine junge Frau und liebt die Viecher immer noch: «Sie haben Charakter», erklärt sie auf dem Geissentrekking durchs Glarnerland. «Geissen lassen sich nicht verbiegen, sie sind wild und doch lieb.» Wie lieb, zeigt sich bei einer Rast: Max, dieser stolze, 90 Kilo schwere Geissbock, legt seinen Kopf auf die Knie von Natascha und lässt sich kraulen wie ein Hund. «Das ist mit ein Grund, warum ich mit meinen Töchtern auf diesem Trekking bin», sagt ihre Mutter Rita. «Es ist in dieser hochtechnisierten Welt eine sehr gute Möglichkeit, mit Tieren und mit der Natur in Kontakt zu kommen.»
Wie recht sie doch hat: Die Ziegen mit ihrer Neugier und ihrer Liebenswürdigkeit machen den Menschen die Annäherung leicht. Man braucht keine Angst vor ihnen zu haben. Wohl das Einzige, was man nicht darf, ist, sie an den Hörner anfassen, das mögen sie nicht: «Das hat etwas mit Respekt zu tun», sagt Bleisch. «Unsereiner mag ja auch nicht überall berührt werden.» Der Respekt ist gegenseitig: Wenn die Ziegen mal nicht so wollen wie Wanda, reicht ein Pfiff. Dahinter steckt aber viel Arbeit und Vertrauensbildung. Rund drei, vier Jahre dauert es, bis aus einer Geiss eine Packziege wird.
Bleisch ist zwar Werklehrer, aber ihm geht alles Lehrerhafte ab, wenn er seine Erfahrungen und sein Wissen vermittelt. «Früher», erzählt er, «früher gab es im Glarnerland viele Rucksackbauern. Die hatten eine oder zwei Geissen daheim, arbeiteten aber in der Fabrik.» Darum gab es den Geisshirten, einen angesehenen Mann. Der sammelte die Tiere jeden Morgen ein und brachte sie am Abend zurück. Bleisch berichtet auch vom «Forster», der im Gemeindeauftrag jeweils die Waldränder nach Ziegen durchforstete, die auf fremdem Terrain weideten. «Er sammelte sie ein und am nächsten Tag mussten die Tiere von ihrem Besitzer gegen einen Obolus ausgelöst werden.» Als die Ziegen verschwanden, wurde aus dem Forster der Förster.
Dann ist da die Herkunft des Wortes «Gaggalari». So bezeichnet man heute noch vielerorts einen Menschen, der etwas ungeschickt durchs Leben stolpert. «Damals war der Gaggalari der Mann, der die «Geissengäggali» auf den Strassen des Dorfes zusammenkehren musste», weiss Bleisch.
Wie bei jeder Wanderung gibts auch beim Geissentrekking eine Rast. «Passt ein bisschen auf, die Geissen können problemlos den Klettverschluss eines Rucksacks öffnen, wenn es etwas Feines drin hat», warnt Wanda. Überhaupt die Kulinarik: Bino hat irgendwann die Liebe zum Bier entdeckt und macht auch mal einen Abstecher in eine Gartenbeiz. Wichtiger als diese Anekdoten sind Wanda und Werner Bleisch andere Erfahrungen: «Ich sehe immer wieder, wie Kinder im Kontakt mit Ziegen zu sich selber finden, ruhig werden, auftauen und ganz neue Welten entdecken.» Werner Bleisch bietet darum nicht nur diverse Trekkings an, sondern auch mehrtägige Wanderungen durch die Glarner Berge. Aber ob nun zwei Stunden oder mehrere Tage – der Abschied von Max und Co. fällt schwer. So schnell sie beim Öffnen eines Rucksacks sind, so schnell erobern die Geissen auch die Herzen der Menschen.
Weitere Infos
Ausgangspunkt: 8755 Ennenda oder Sool.
Endpunkt: Ennenda oder Sool.
Distanz: 12 km.
Dauer: 7 bis 8 Std.
Höhenunterschied Aufstieg: 1200 m.
Höhenunterschied Abstieg: 1200 m.
Schwierigkeitsgrad: mittel, Ausdauer und gute Wanderausrüstung erforderlich.
Saison: Mai bis Oktober (abhängig von der Schneesituation).
Gut zu wissen: Instruktion, Führung und Verpflegung (Wurst oder Vegi) im Preis enthalten. Versicherung ist Sache der Teilnehmer. Rund zwei Drittel der Höhenmeter können mit der Aeugstenbahn abgekürzt werden.
Information, Buchung: www.agrotourismus-gl.ch und www.packziegen.ch, Tel. 055 640 75 06 und 078 809 25 19.
Spezialtipp: Führung in der Schabzigermanufaktur, Informationen unter www.schabziger.ch.