Ines Hartmann, Sie haben als Betriebswirtschafterin an der Universität St. Gallen die Altersdiversität in Schweizer Unternehmen untersucht. Ist Altersdiskriminierung der neue Sexismus, wie dies am Forum von Swiss Diversity gesagt wurde?
Ines Hartmann: Ich würde die beiden Diskriminierungen nicht gegeneinander ausspielen. Das Alter ist aber ein sehr relevantes Thema, das uns alle angeht, auch wegen der gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen. Es gibt Nachteile für ältere Menschen im Arbeitsmarkt, das ist nicht wegzudiskutieren.


Welche Auffälligkeiten haben Sie bei Ihren Untersuchungen festgestellt?
Sehr auffällig ist, dass gerade im Kader viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen über 50 Jahre alt sind und nur wenige unter 30, insbesondere bei den Männern. Bei Nicht-Kader-Positionen ist die Altersverteilung eine Pyramide, bei Kaderstellen hingegen umgekehrt. Das bedeutet, dass in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren viele Kaderstellen neu besetzt werden müssen. Gut ein Drittel bei den Männern und gut ein Fünftel bei den Frauen.
 

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Eine Chance?
Beides, Chance und Risiko. Ein Risiko, weil viele erfahrene Leute die Stellen verlassen werden. Da geht viel Wissen verloren. Gerade beim momentanen Fachkräftemangel ist das ein grosses Problem. Aber natürlich auch eine Chance für jüngere Leute und Frauen, ins Kader aufzusteigen. Je vielfältiger ein Kader aufgestellt ist, desto besser.

Ines Hartmann, Uni St. Gallen.

Die Betriebswirtschafterin Ines Hartmann, 40, ist Co-Direktorin des Competence Centre for Diversity & Inclusion an der Forschungsstelle für Internationales Management der Universität St. Gallen.

Quelle: ZVG

Wollen Firmen überhaupt noch Ü-50-Menschen einstellen?
Die Wirtschaft ist angewiesen auf Fachleute und darf sie nicht vergraulen. Es müsste mit 50-Jährigen Standortgespräche geben, wie heute mit 35-Jährigen. Manche wollen mit 50 plus Verantwortung abgeben, andere nicht. Einige wollen andere Rollen übernehmen oder sich horizontal neu orientieren, andere wollen vielleicht erstmals in eine Führungsposition aufsteigen. Dem muss Rechnung getragen werden. Meist redet man heute mit 50-Jährigen über den Ausstieg aus der Arbeitswelt, dabei müssen sie noch 15 Jahre arbeiten. Man geht automatisch davon aus, dass sich die Leute frühpensionieren lassen möchten. Diesen Ausstieg können sich die Firmen nicht mehr leisten, die Leute müssen wieder länger arbeiten, und sie müssen gehalten werden können. Die Wirtschaft braucht das Fachwissen, Mitarbeitenden ab 45 müssen mehr Möglichkeiten geboten werden.


Es halten sich hartnäckig Vorurteile wie «Junge sind innovativ» oder «Junge sind schnell». Ihr Kommentar?
Es ist erwiesen, dass die Kreativität steigt, je unterschiedlicher die Leute sind, je diverser Teams zusammengestellt sind. In jeder Hinsicht, also auch altersmässig. Sobald in Gruppen wie «die Jungen» und «die Alten» gedacht wird, stecken Stereotype dahinter, die nie förderlich sind.


Was kann dagegen unternommen werden?
Zum Beispiel kann man bei Rekrutierungen die demografischen Angaben zuerst weglassen, also altersunabhängig rekrutieren. Vielleicht ist der 55-Jährige viel fitter mit Social-Media-Tools als die 30-Jährige.


Frauen sind besonders von Altersanfeindungen betroffen. Auch von Altersarmut. Gibt es einen Zusammenhang?
Viele Frauen arbeiten zwischen 31 und 40 Teilzeit, weil sie dann Kinder kriegen und oft die Hauptbetreuungsarbeit leisten. Genau in diese Alterskategorie fällt aber etwa die Hälfte der Beförderungen. Frauen verdienen in diesem Alter also weniger, weil sie Teilzeit arbeiten, und zudem haben sie schlechtere Aufstiegschancen. Das führt später auch zum Pension-Gap, also der Lücke in der Pensionskasse.


US-Sängerin Madonna sagte kürzlich, Altersdiskriminierung sei ein Phänomen, das die Welt vergifte.
Es wird oft gesagt: Männer altern in Würde, Frauen nicht. Auch das ein Stereotyp, das dringend revidiert werden muss. Madonna konterte die Hass-Postings aber souverän, indem sie sagte, sie würde sich weder für ihr Aussehen noch ihre künstlerische Arbeit je entschuldigen.