Selbstmord aus Verzweiflung
Jahrelang ging die St. Galler Firma Biosynth mit allen juristischen Mitteln gegen ihren geschassten Direktor vor. 2001 nahm sich dieser das Leben – nun klagt seine Witwe an.
Veröffentlicht am 30. Januar 2004 - 16:01 Uhr
Der Kampf um Gerechtigkeit ist beinahe aussichtslos – und er macht den Mann nicht wieder lebendig. «Doch das bin ich ihm schuldig», sagt Ingrid Golla aus Weissenberg (D). «Monate der Lähmung und des seelischen Schmerzes» durchlebte sie nach dem Freitod ihres Gatten Wolfgang. «Er konnte die erlittenen Ungerechtigkeiten nicht mehr ertragen.» Jetzt, zwei Jahre nach dem schweren Schicksalsschlag, hat sie vor dem Kreisgericht Rheintal Strafanzeige gegen Hans Spitz eingereicht, den ehemaligen Arbeitgeber ihres Mannes und Inhaber der Chemiefirma Biosynth im sankt-gallischen Thal.
Über den ersten Akt des Dramas Golla gegen Biosynth berichtete der Beobachter bereits vor einigen Jahren (Nr. 24/1995). Inhaber Hans Spitz hatte damals seinem Direktor Wolfgang Golla und einem weiteren Geschäftsleitungsmitglied Knall auf Fall gekündigt, ein sofortiges Hausverbot ausgesprochen und den Rauswurf von zwei Kantonspolizisten absichern lassen. Wenige Tage später erhielten alle Mitarbeitenden ein Schreiben ausgehändigt, in dem Spitz die beiden Entlassungen begründete: Die Geschassten hätten als Nichtaktionäre versucht, den Betrieb unter ihre Kontrolle zu bringen. Gegen beide Herren liege Strafanzeige vor.
Klage wegen Ehrverletzung erfolgreich
Weder das eine noch das andere traf zu. Später war deshalb lediglich noch von einer «Neuorganisation des Betriebs» die Rede, und eine «schriftliche Lüge» wurde eingestanden.
Eine gütliche Regelung war nun nicht mehr möglich. Golla, eine Kämpfernatur, hatte in den meisten Punkten das Recht auf seiner Seite. Am schnellsten beigelegt wurde in zweiter Instanz das Verfahren wegen Ehrverletzung. Golla und sein Arbeitskollege hatten wegen der Behauptung geklagt, es liege gegen sie Strafanzeige vor. Das Kantonsgericht verurteilte Spitz im Jahre 1997 zu einer Busse von 10'000 Franken.
Um grössere Summen ging es im Forderungsprozess aus dem Arbeitsvertrag. Spitz’ Anwälte zogen alle juristischen Register. In erster Instanz wurden Golla 140'000 Franken als Schadenersatz und Genugtuung zugesprochen. Beide Parteien gingen in die Berufung. Schliesslich sprach das Bundesgericht Wolfgang Golla einen Betrag von insgesamt 185'795 Franken zu. Doch Spitz bezahlte nicht. Stattdessen präsentierte er eine Gegenforderung über 138'000 US-Dollar – weil Golla das Konkurrenzverbot umgangen habe.
Golla, beim Rausschmiss 53-jährig, gab sich auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen und gründete in Deutschland eine eigene Firma für Spezialitätenchemie. In den Aufbau investierte er seine Ersparnisse samt Pensionskassengeldern. Einen Ableger mit Vertreterbüro installierte er in den USA, dem Hauptmarkt für seine Produkte. Es gab zwar eine Vereinbarung mit der Biosynth über ein Konkurrenz- und Wettbewerbsverbot für zwei Jahre. Doch Spitz aktivierte diese Vereinbarung nicht – wohlweislich, denn andernfalls wären zwei volle Jahresgehälter für Golla fällig geworden.
De facto mit Berufsverbot belegt
Stattdessen machte Spitz – auch er verfügt mit der Biosynth International über eine US-Firma – mit seinem amerikanischen Anwalt Druck. Golla wurde die «Verwendung gesetzlich geschützter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse» vorgeworfen und vor einem US-Gericht eingeklagt.
Obwohl sich Golla fristgerecht und ausführlich äusserte, ignorierte dies Spitz’ Anwalt und liess bei einem Bezirksgericht ohne vorgängige Verhandlung ein so genanntes Versäumnisurteil eintragen. Wie sich später herausstellte, hätte Golla seine Klageerwiderung nur nochmals vor Gericht einreichen müssen – eine formale Spitzfindigkeit.
Im Urteil, das fünf Jahre später von Schweizer Gerichten als ungültig erklärt wurde, bekam Golla de facto ein Berufsverbot auferlegt. Seine Firmen waren nämlich ab Sommer 1996 weltweit und zeitlich unbegrenzt mit einem Handels- und Arbeitsverbot belegt. Biosynth bezog sich in der Folge auf das Versäumnisurteil und informierte potenzielle Kunden von Gollas Unternehmen.
Dass Schweizer Gerichte Golla ein Nachklagerecht wegen des Konkurrenzverbots einräumten, nützte ihm im Berufsalltag nichts – niemand wollte mit einer Firma zu tun haben, die von einer Prozesslawine bedroht schien. «Mein Mann musste seine Firma in den USA schliessen», erinnert sich Ingrid Golla. «Doch damit war er auch seines wichtigsten Absatzmarktes beraubt.» Die Firma kam nicht aus den Startlöchern heraus – und die Reserven schwanden.
Mittlerweile waren hohe Anwalts- und Gerichtskosten aufgelaufen, und Wolfgang Golla konnte sich keinen Rechtsvertreter mehr leisten. Er vertrat sich nun selber und verhedderte sich im undurchdringlichen Justizgestrüpp. Die Prozessrealitäten empfand er zunehmend als «erbärmliches Gewürge».
So büsste er etwa für einen Richterspruch des St. Galler Kantonsgerichts, der sich letztlich als Fallstrick entpuppte: Die Richterin hatte ihm im Forderungsprozess eine Genugtuung von 35'000 Franken zugesprochen und dies mit erlittenem seelischem Schmerz begründet. Im Urteil vor erster Instanz war davon keine Rede gewesen – die Biosynth-Anwälte hakten an diesem Punkt ein und bekamen vor Bundesgericht Recht. Gollas Forderung wurde reduziert, und er musste einen Teil der Prozesskosten und der Anwaltskosten der Gegenseite berappen. Entnervt bezeichnete Golla die Schweizer Justiz als Helfershelfer seines Widerparts.
Mitte 1999 war der Forderungsprozess aus dem Arbeitsvertrag zwar abgeschlossen. Doch Golla musste erneut durch alle Instanzen, ehe die Gegenforderung abgewendet und die Zahlung auf seinem Konto war. Unter dem Strich blieb nicht viel übrig, denn der Prozessmarathon hatte Golla über 70'000 Franken gekostet.
Vergebliche Suche nach einem Anwalt
Rechtlich nach wie vor ungeklärt blieb die Frage einer Entschädigung wegen des Handels- und Berufsverbots, das die Biosynth ihrem ehemaligen Mitarbeiter auferlegt hatte. Golla machte sich auf die Suche nach juristischem Beistand – ohne Erfolg: Der erste Anwalt lehnte ohne Kommentar ab; ein zweiter sagte Nein, nachdem er den Ratsuchenden nach seinem letzten Jahreseinkommen befragt hatte. Nochmals suchte Golla das Gespräch mit Spitz, doch auch hier blitzte er ab. Laut Ingrid Golla war das zu viel an Demütigungen. Ihr Mann sah keine Existenzgrundlage mehr und nahm sich Anfang August 2001 das Leben.
Seine Witwe klagt nun auf Vergehen wegen unlauteren Wettbewerbs und hat kürzlich Strafanzeige beim zuständigen Untersuchungsamt eingereicht. Die Gegenseite zeigt sich unbeeindruckt: Von einem Entgegenkommen will Biosynth-Inhaber Spitz auch heute nichts wissen. Und Fragen des Beobachters lässt er von seinem Anwalt beantworten: «Eine einvernehmliche Regelung kann es nur geben, wenn überhaupt ein irgendwie gearteter Anspruch besteht. Einen solchen besitzt Frau Golla nicht.» Und: «Herr Spitz fühlt sich für den Freitod von Herrn Golla in keiner Art und Weise mitverantwortlich.»