Mehrarbeit ist in Mode
Arbeit an der Verkaufsfront ist Knochenbüez. Das Modehaus C&A zieht nun die Schraube beim Personal noch mehr an. Auch bei H&M St. Gallen kam es zu unbezahlter Mehrarbeit.
Veröffentlicht am 17. Januar 2006 - 16:08 Uhr
Die holländische C&A und die schwedische H&M sind zwei der ganz grossen und gut rentierenden Unternehmen im internationalen Modegeschäft. Doch die Konkurrenz ist gnadenlos – gespart werden soll, wo immer es geht. Zum Beispiel, indem das Personal mehr Einsatz zum gleichen Lohn leistet. So werden ab dem 1. März die etwa 1'500 Beschäftigten bei C&A Schweiz 41 Stunden pro Woche arbeiten statt wie bisher 37,5. Damit passe man sich der Konkurrenz an, die schon längst auf diesem Niveau sei, sagt Werner Schweiger von C&A Schweiz. Versüsst wird die Erhöhung der Arbeitszeit um neun Prozent mit einer einmaligen Prämie von maximal 1'500 Franken sowie der Aussicht auf einen doppelten Bonus. Dieser kann im besten Fall einen Monatslohn ausmachen, im schlechtesten Fall gar nichts.
Mehr Arbeitszeit finanziert Expansion
Das Personal von C&A mache «freiwillig» mit. «Wer nicht will, kann weiterhin 37,5 Stunden arbeiten. Denen passiert überhaupt nichts», so Schweiger. Bis jetzt hätten rund 90 Prozent der Belegschaft der aufgestockten Arbeitszeit zugestimmt, obwohl die Frist noch nicht abgelaufen sei, um sich zu entscheiden. Die Erhöhung der Arbeitszeit sei nötig, um die Expansionsstrategie zu finanzieren und letztlich die Arbeitsplätze zu sichern. «Dafür hat das Personal grosses Verständnis», sagt Werner Schweiger. Wenig Verständnis hingegen hat die Gewerkschaft Unia: «Hier zeigt sich erneut, dass ein Unternehmen einseitig und kaltschnäuzig die Bedingungen verschlechtern kann, wenn es keinen Gesamtarbeitsvertrag gibt», ärgert sich Unia-Vertreter Robert Schwarzer.
Täglich 20 Minuten fürs Unternehmen
Auch im Kleinen kann man sparen, sagte sich die Filialleiterin von H&M in St. Gallen. Und es wäre wohl einiges zusammengekommen, wäre da nicht die aufmerksame Verkäuferin Rita Becker (Name geändert) gewesen. Sie macht ihren Job trotz Stress und unregelmässigen Arbeitszeiten gern – aber es stört sie, dass sie jeden Tag 20 Minuten gratis für das Unternehmen arbeitet. Fängt die Angestellte etwa um 9 Uhr an, dann muss sie zehn Minuten früher dort sein. Dasselbe bei Feierabend: Wenn Becker um 18.25 Uhr mit Aufräumen fertig ist, wird ihr die Arbeitszeit bis 18.15 Uhr verrechnet. Eine Stempeluhr gibt es nicht; die Filialleiterin trägt die Arbeitszeit selber in ein Formular ein. Als Rita Becker bei der Filialleiterin mit ihrer Beschwerde auf taube Ohren stiess, wandte sie sich an den Beobachter, der bei H&M Schweiz intervenierte.
Mediensprecherin Verena Cottier stellt klar, dass die Zeiterfassung, wie sie in St. Gallen praktiziert wird, nicht den Richtlinien des Unternehmens entspricht. «Wenn beispielsweise bis 18.38 Uhr gearbeitet wird, wird auf 18.45 Uhr aufgerundet – bei 18.37 Uhr auf 18.30 Uhr abgerundet.» So gleiche sich das übers Jahr aus. In welchem Ausmass die Arbeitszeit unkorrekt erfasst worden sei, werde noch abgeklärt. Die Verfehlungen lägen in der Verantwortung der Filialleiterin.
Gratisarbeit rechtlich nicht zulässig
Die bei H&M St. Gallen während Monaten abgezwackte Gratisarbeit ist rechtlich nicht zulässig, denn jede Arbeitsleistung zugunsten des Arbeitgebers muss vergütet werden, wie das Bundesgericht schon vor Jahren feststellte. Dennoch ist Gratisarbeit oft gängige Praxis. «Dieses Übel ist im Detailhandel weit verbreitet», kritisiert Gewerkschafter Robert Schwarzer. «Jährlich kommt so eine sehr hohe Stundenzahl zusammen, die das ohnehin nicht gut bezahlte Verkaufspersonal gratis leistet.»