Hansueli Loosli freute sich riesig, als er vor einem Jahr den «Swiss-Award» erhielt. Ein 100-köpfiges Gremium wählte den Coop-Chef zum Unternehmer des Jahres. Er habe Coop «fit getrimmt», meinte die Jury, das Schweizer Fernsehen übertrug die Preisübergabe, 1,2 Millionen Zuschauer sahen zu, der «Blick» witterte anderntags einen «Hauch von Oscar». Das Ereignis dürfte auch für den erfolgsverwöhnten Topmanager einmalig gewesen sein, jedenfalls für absehbare Zeit. Denn inzwischen bläst Loosli eine steife Brise ins Gesicht: Der Preiskampf unter den Grossverteilern ist lanciert.

Wer bei Coop postet, bezahlt für einen durchschnittlichen Wochenendeinkauf rund 20 Franken mehr als bei der Konkurrentin Migros: Dies ergaben Preisvergleiche der Zeitschrift «K-Tipp» im August. Mit Rabattaktionen versucht Coop, das Hochpreisimage loszuwerden. Doch die Kundschaft hat rechnen gelernt, und die Situation verschärft sich. Mit Denner oder Pick Pay kann der Basler Detaillist preislich längst nicht mehr mithalten, und mit Aldi und Lidl drängen ab 2005 deutsche Billigst-Discounter in die Schweiz. Coop hat sich zudem mit der Übernahme der Epa-Waro-Kette viel zugemutet.

Als Arbeitgeberin hatte Coop stets Wert auf ein arbeitnehmerfreundliches Image gelegt. Als eine aus der Arbeiterbewegung entstandene Genossenschaft hat Coop lange versucht, höheren sozialen Ansprüchen als andere Ladenketten zu genügen. Damit, so scheint es, ist es jetzt vorbei. Die Anzeichen mehren sich, dass sich der Preisdruck direkt auf die Lohnsumme niederschlägt.

Regelrecht in die Zange genommen


Ernst Zülle, Regionalsekretär Ostschweiz der Gewerkschaft Syna, warnt bereits vor schlechteren Arbeitsbedingungen. «Jetzt geht es auch bei den Grossverteilern ums Überleben. Die Löhne werden durch die Konkurrenz aus Deutschland unter Druck geraten.» Auch Andreas Rieger von der Gewerkschaft Unia bestätigt: «In solchen Zeiten drückt man in der Regel alles aus den Beschäftigten heraus.» Nicht nur bei den Gewerkschaften, sondern auch beim Beobachter-Beratungszentrum gehen Klagen von Coop-Angestellten ein.

Zuerst wird bei den Angestellten gespart, die Teilzeit arbeiten. Das musste auch Jolanda Beck erfahren, die zu 70 Prozent in der Coop-Filiale Rhy-Markt in Feuerthalen ZH als Verkäuferin arbeitete. Sie musste bei der Geschäftsführerin antraben. «Sie sagte, ich könne ab Januar 2005 nur noch im Stundenlohn arbeiten – zwischen acht und 20 Stunden pro Woche.»

Beck, seit zehn Jahren bei Coop, liess sich das nicht einfach bieten. Sie weigerte sich, den vorgelegten Vertrag zu unterzeichnen. «Ich wollte ein Gespräch und bot an, mein Pensum zu reduzieren.» Doch die Personalchefin hatte dafür kein offenes Ohr. Schliesslich erhielt Jolanda Beck die Kündigung. Drei ihrer Kolleginnen in der Filiale fügten sich und unterschrieben den neuen Vertrag. Vom Beobachter darauf angesprochen, sagt Coop-Chef Loosli dazu: «Um Kündigungen zu vermeiden, haben wir ein paar wenigen Mitarbeitern ein reduziertes Arbeitspensum angeboten.» Der Grund der Kürzung: Die Verkaufsstelle habe ihr Budget nicht mehr erreicht.

Auch die Coop-Verkäuferin Susanne Meier (Name geändert) aus einer Ostschweizer Filiale sollte plötzlich im Stundenlohn arbeiten. «Der Filialleiter hielt mir ein vorgefasstes Papier hin und sagte, ich solle es unterschreiben», sagt Meier. Sie habe sich zuerst geweigert. Doch sie wurde regelrecht in die Zange genommen. «Am Tisch sass noch der Stellvertreter des Filialleiters. Sie redeten auf mich ein, Coop müsse Geld sparen.» Schliesslich unterschrieb sie den Vertrag zähneknirschend – als Alternative sei nur die Kündigung geblieben. Wenige Tage vor diesem Gespräch war im Betrieb bekannt geworden, dass Meier schwanger war.

Gewerkschafter Robert Schwarzer von der VHTL (Verkauf, Handel, Transport, Lebensmittel) hält dieses Vorgehen für unhaltbar. Coop versuche, die Mitarbeiterin um ihre Leistung zu bringen und beim Schwangerschaftsurlaub zu sparen. Wer nur noch im Stundenlohn arbeite, verliere jede Sicherheit – trotz garantierter Arbeitszeit. «Mit zwei Kindern ist es schier unmöglich, jeweils von heute auf morgen eine Tagesmutter zu finden», sagt die Verkäuferin Susanne Meier. Wer erst einmal quasi auf Abruf arbeitet, den bieten manche Filialleiter zu unmöglichen Zeiten auf. «Um uns loszuwerden», ist die ehemalige Coop-Verkäuferin und allein erziehende Mutter Rita Berger (Name geändert) überzeugt. Hansueli Loosli entgegnet, der Gesamtarbeitsvertrag garantiere, dass Angestellte mit Familienpflichten Anspruch auf sozialverträgliche Arbeitszeiten hätten.

Die «kleinen Fürsten»


Erst kürzlich haben bei der Gewerkschaft VHTL in Biel Coop-Angestellte Hilfe gesucht. Nicht weniger als zehn teils langjährige Angestellte mit fixem Lohn sollten plötzlich Teilzeit im Stundenlohn arbeiten. Hintergrund von derartigen Sparaktionen beim Personal sind oft sinkende Umsätze des Ladens. Solche Massnahmen ziehen meist die Filial- und Warenhausleiter durch, «kleine Fürsten mit grossem Handlungsfreiraum», wie VHTL-Gewerkschafter Robert Schwarzer sie nennt. «Es ist skandalös, wie sich Coop teils langjähriger Mitarbeiter entledigt und damit existenzielle Grundlagen zerstört.»

Sind die fixen Teilzeitpensen erst einmal in Aushilfsverträge umgewandelt, kann mit dem Personal umgesprungen werden wie im thurgauischen Amriswil. Dort mussten die Aushilfen plötzlich zu Hause bleiben. «Wir erhielten während vier Monaten nur für vereinzelte Stunden überhaupt Lohn», sagt eine Betroffene. Der Grund: Coop renovierte die Filiale. «Es war uns ein wichtiges Anliegen, keine Kündigungen auszusprechen», meint Coop-Chef Loosli. Mehrere Monate vor Baubeginn habe Coop mit einem Teil des Aushilfspersonals vereinbart, dass während der Bauzeit kein Einsatz zu erfolgen habe. Dass der deutsche Discounter Aldi am selben Ort eine Filiale eröffnen will, habe aber mit der Renovation nichts zu tun, sagt Loosli.

Nach wie vor sind die Löhne – ausser im Gastgewerbe – fast nirgends so tief wie im Verkauf, und mit der neuen deutschen Konkurrenz wird sich das kaum ändern. Immerhin hat der Anteil der Angestellten mit weniger als 3500 Franken Bruttolohn von 37 auf 23 Prozent abgenommen. Doch Kassiererinnen und Verkäuferinnen verdienen trotz Vollzeitjob oft nicht einmal 3000 Franken netto.

Wegen zwei Franken entlassen


An den hausgemachten Working Poor scheint man sich im Coop-Management nicht zu stören. Coop hat für dieses Jahr zwar die Lohnsumme um 1,5 Prozent erhöht. Doch die unterbewerteten Löhne der Verkäuferinnen werden bloss um 0,3 Prozent angehoben. «Völlig ungenügend», sagt Robert Schwarzer. Als Vertreter der Gewerkschaften hat er mit Coop die Lohnverhandlungen geführt. Das Ergebnis lehnt er ab: «Wir halten es für schäbig, dass die Beschäftigten nicht einmal den Teuerungsausgleich erhalten.»

Doch nicht nur Teilzeitangestellte geraten immer mehr unter Druck, sondern auch Kaderleute. So etwa im Coop-City in Aarau, wo eine Coop- mit einer Epa-Filiale verschmolzen wurde. Nach 13 erfolgreichen Jahren bei Coop ist die stellvertretende Warenhausleiterin Irene Hufschmid entlassen worden. Die 62-Jährige erhielt zwei Jahre vor ihrer Pensionierung und trotz besten Zeugnissen den blauen Brief.

Der Grund: Sie habe einer Kundin fälschlicherweise einen Rabatt gewährt, den sonst nur das Personal erhalte. «Es ist mir im Stress ein Fehler passiert, ein dummes Missverständnis», räumt Hufschmid ein. Der Vorfall sei aber nur ein Vorwand gewesen, sie zu entlassen. «Ich passte dem neuen Warenhausleiter nicht.» Dieser war vier Monate vor der Übernahme der Epa-Filiale gekommen. Er habe sie gemobbt, seit sie nach einer schweren Hüftoperation die Arbeit wieder aufgenommen habe. Bereits beim ersten Zusammentreffen habe er zu ihr gesagt: «Wenn das mit der Hüfte nicht geht, müssen wir dann schauen.»

Erst als sich der Beobachter einschaltet, äussert sich Loosli zum Fall. Irene Hufschmid habe als Abteilungsleiterin eine Vorbildfunktion. «Deshalb wiegt ihr Verstoss umso schwerer.» Obwohl in solchen Fällen eine fristlose Kündigung möglich gewesen wäre, habe Coop ordentlich gekündigt. Die Schadenssumme des irrtümlich gewährten Rabatts betrug zwei Franken.

«Ich hätte mindestens erwartet, dass man für mich intern eine Lösung sucht. Doch es gab keine Gespräche», sagt Irene Hufschmid, die heute wegen der Entlassung in ärztlicher Behandlung ist. Gewerkschafter Zülle: «Wer sich nur den kleinsten Fehler leistet, wird vor die Tür gesetzt.»

Auch die 21-jährige Verkäuferin Maja Müller (Name geändert) wurde unvermittelt in eine andere Filiale versetzt. «Es hiess, falls sie nicht einverstanden sei, verliere sie die Stelle», sagen die Eltern. Sie wehrten sich und schrieben Loosli, ob dies die neue Personalpolitik von Coop sei. Immerhin entschuldigte sich stellvertretend ein Kadermitarbeiter vom Hauptsitz.

Schöne Worte, harte Gangart


Noch im März hatte Loosli in der «Sonntags-Zeitung» an der bisherigen Strategie festgehalten: «Wir verzichten auf eine Billiglinie, weil wir auf Qualität setzen.» Inzwischen will er eine Billiglinie einführen, wie sie die Migros mit M-Budget schon lange hat. Bei der Personalpolitik scheint ein Strategiewechsel längst im Gang zu sein.

«Der Preis gehört nicht in erster Linie mir, sondern der ganzen Coop mit 50'000 engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.» – Die Worte Hansueli Looslis in seiner Dankesrede bei der Wahl zum Unternehmer des Jahres klingen aus Sicht der Angestellten inzwischen nur noch nach einer – billigen – Floskel.

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