Diebe, verzweifelt gesucht
Angestellte der Valora, der grössten Kioskbetreiberin der Schweiz, müssen sich nicht nur schlechte Arbeitsbedingungen gefallen lassen - sondern auch rigide Diebstahlkontrollen, die laut Datenschutz-Fachleuten klar zu weit gehen.
Veröffentlicht am 6. November 2007 - 12:11 Uhr
Nicht genug, dass Kioskangestellte oft nur knapp über 3000 Franken im Monat verdienen. Sie müssen auch immer wieder auf Pausen verzichten oder nach Feierabend unbezahlt weiterarbeiten. Mehrere Dutzend Kioskangestellte des Konsumgüterkonzerns Valora suchten in den letzten Monaten beim Beobachter Rat. Auffallend: Viele beklagen die intensivierten Diebstahlkontrollen beim Personal.
Tatsächlich sind in der neusten Ausgabe der «ergänzenden Bestimmungen» zum Personalreglement die Taschenkontrollen explizit erwähnt: «Der Arbeitgeber ist berechtigt, jederzeit und unangemeldet Taschenkontrollen durchzuführen.» Am Kiosk in einem Zentralschweizer Einkaufszentrum geht das so: Wenn Hannelore Neukomm (Name geändert), seit zehn Jahren Kioskverkäuferin, am Morgen zur Arbeit erscheint, wird sie von zwei Vorgesetzten abgefangen. In einem Hinterraum muss sie nicht nur die Handtasche vorzeigen, sondern auch das persönliche Portemonnaie öffnen. Hat sie etwa eine Telefonkarte darin, muss sie mit Quittungen belegen können, dass sie diese nicht am Kiosk geklaut hat. «Das ist erniedrigend.»
Wie Hannelore Neukomm geht es auch dem Personal in anderen Filialen des grössten Kioskbetreibers der Schweiz. Dem Beobachter liegen mehrere Fälle von Angestellten vor, die regelmässig das Portemonnaie vorzeigen mussten. In einem Zürcher Kiosk wurden die Mitarbeiterinnen neulich sogar angewiesen, höchstens 30 Franken bei sich zu haben, wie zwei Angestellte übereinstimmend erzählen. Das Personal dieser Filiale erhielt auch gleich noch einen Tipp: Wer mehr als 30 Franken auf sich trägt, solle dies bei Arbeitsbeginn am besten der Chefin melden. Eine Verkäuferin, die seit 20 Jahren am Kiosk arbeitet: «Es herrscht ein Klima der Angst.» In einem anderen Fall beschattete ein Valora-Sicherheitsangestellter zweimal eine Verkäuferin auf ihrem Weg nach Hause - offensichtlich grundlos, wie sich herausstellte.
Valora-Sprecherin Stefania Misteli bestreitet, dass das Personal systematisch kontrolliert werde: «Kontrollen werden sporadisch durchgeführt, und zwar bei den kritischsten Verkaufsstellen.» Eine Weisung, wonach Angestellte nicht mehr als 30 Franken mit sich tragen dürften, gebe es nicht. Die Beschattung einer Mitarbeiterin bezeichnet sie als «Einzelfall».
Taschen- und Portemonnaiekontrollen sind aus Sicht des Datenschutzes problematisch: «Solche Kontrollen sind unverhältnismässig und gleichzeitig untauglich. Damit wird Diebstahl nicht verhindert», sagt Eliane Schmid, Mitarbeiterin des eidgenössischen Datenschützers. Taschen oder Portemonnaies der Angestellten zu durchsuchen sei nur «bei einem ganz konkreten Verdacht auf kriminelle Tätigkeiten oder andere Missbräuche» zulässig. Schmid: «Angestellte haben Anspruch auf eine angemessene Privatsphäre am Arbeitsplatz.» Eine 30-Franken-Regelung bezeichnet sie als «absurd». Carlo Matthieu, Zentralsekretär der Gewerkschaft Syna, geht noch einen Schritt weiter: «Portemonnaiekontrollen muss sich das Kioskpersonal schlicht nicht gefallen lassen.»
Pfleglicherer Umgang mit dem Personal stünde Valora gut an. Schliesslich «kommt es auf die Kioskfrau an», liess sich Peter Wüst, oberster Chef des finanziell gebeutelten Konzerns, im letzten «Sonntags-Blick» zitieren.