Ein Schreckgespenst?
Der Bundesrat möchte eine Frauenquote für Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen grosser Firmen, die Privatwirtschaft wehrt sich dagegen. Was bedeutet eine Quote konkret?
Veröffentlicht am 26. Mai 2015 - 09:38 Uhr
Alles, bloss keine staatlich verordnete Quote! Die Wirtschaft hält absolut nichts vom Passus, den der Bundesrat in den Vorschlag zum revidierten Aktienrecht gepackt hat: Mindestens 30 Prozent soll der Frauenanteil künftig in grossen börsenkotierten Gesellschaften betragen – nicht nur im Verwaltungsrat, sondern auch in der Geschäftsleitung.
Natürlich sei man für eine ausgeglichene Geschlechtervertretung in Führungsgremien, heisst es von Seiten der Unternehmen. Natürlich müssten Firmen, angesichts der demografischen Entwicklung und des Kampfes um Talente, das Potenzial der weiblichen Schweizer Arbeitskräfte nutzen. Doch das schaffe man allein, Quoten seien dafür das falsche Instrument. Wie zum Beweis präsentierte der Arbeitgeberverband Ende April einen Katalog mit 400 Frauen; die einen bereits in Verwaltungsräten, die anderen geeignet dafür.
Aktuelle Zahlen zeigen: Es hat noch viel Luft nach oben. In den 100 grössten Schweizer Unternehmen stieg der Frauenanteil in Verwaltungsräten seit 2011 von 10 auf 15 Prozent, nachzulesen im neusten Report von Guido Schilling, der Firmen beim Besetzen von Vakanzen in Führungspositionen unterstützt. In der Geschäftsleitung sind die Zahlen tiefer: Nur etwa jedes zwanzigste Mitglied ist weiblich. 2004 waren es vier Prozent, heute sind es sechs.
Wie sieht die Frauenquote in einzelnen Firmen aus? Finden Sie es hier heraus:
Hinweis: Der Schillingreport 2015 umfasst die 120 grössten Unternehmen der Schweiz, wobei sich die Grösse auf die Anzahl Mitarbeitender bezieht. Der aktuelle Report erhebt die Daten von 886 Mitgliedern aus 120 Geschäftsleitungen und 820 Personen aus 90 Verwaltungsräten.
Von den 30 Prozent, die vom Bund und von Quoten-Befürwortern anvisiert werden, sind viele der grossen Firmen weit entfernt. Dieses Drittel gilt als erstrebenswert, weil Entscheidungen einer einzelnen Frau oder einiger weniger weiblicher Führungspersonen in einem männerdominierten Gremium als «typisch weiblich» empfunden und darum nicht ernst genommen werden. Dieser Reflex zeigt sich umgekehrt auch, wenn Männer in der starken Minderheit sind. Bei einem Anteil von 30 Prozent verschwindet dieser Effekt.
Jeannette Jetter kann nachvollziehen, dass die Wirtschaft eine gesetzlich verordnete Quote ablehnt. Die Personalleiterin, die mehrere Jahre im Ausland gelebt und in Grossfirmen gearbeitet hat, war lange selbst der Ansicht, dass das weibliche Geschlecht es selbst schaffen würde – schaffen müsste. «Ich habe immer befürchtet, mit einer Zwangsquote würde die Qualität leiden und die Frauen würden von ihrem Arbeitsumfeld als Quotenfrau abgestempelt», sagt die 51-Jährige.
Dann kam der letzte Herbst, und Jeannette Jetters Arbeitgeber beschloss, eine Geschlechterquote einzuführen: 35 Prozent – so hoch soll der minimale Anteil von Frauen wie auch von Männern im mittleren, oberen und obersten Kader sein. Die Entwicklung wird jährlich überprüft, 2019 wird Bilanz gezogen.
Jetter arbeitet bei der Stadt Zürich als Leiterin Personal im Hochbaudepartement – und ist heute überzeugt von der Quote, wie sie sie in den letzten Monaten kennengelernt hat. Was sie, neben vielen Diskussionen, überzeugte, sind konkrete Ergebnisse: «Ich bin überrascht, wie schnell sich viel erreichen liess.» Die klare Vorgabe beschleunige den Prozess merklich. «Die Berechnungen zeigten: Ohne konkrete Quote würden wir die 35 Prozent auch erreichen – aber erst 2028. Jetzt ist 2019 das Ziel.»
Dafür muss einiges getan werden. So werden Kaderstellen laut Jeannette Jetter konsequent auch als Teilzeitpensum ausgeschrieben. Und die Stadt sucht für Jobinserate alternative Kanäle wie die sozialen Medien oder stellt sie auf Plattformen, deren Zielpublikum Frauen sind. Ausserdem setzten die Personalverantwortlichen in den letzten Monaten aktiv auf Mund-zu-Mund-Werbung und streuten intern, dass sie sich über Bewerbungen von Frauen freuen würden. In der Folge meldeten sich auf die von Jetter ausgeschriebene Stelle «Departementssekretärin oder -sekretär» praktisch gleich viele Frauen wie Männer, was bei ähnlichen Besetzungen nie so gewesen sei.
Auch Basel-Stadt macht derzeit gute Erfahrungen mit neuen Rekrutierungskanälen. Das Stimmvolk befürwortete letztes Jahr einen 35-Prozent-Frauenanteil für die Verwaltungsräte staatsnaher Betriebe wie Kantonalbank, Messe Schweiz oder Basler Verkehrsbetriebe, umzusetzen bis Mitte 2017. An eine Informationsveranstaltung kamen über hundert Frauen. Zudem schrieb der Kanton jüngst einen Verwaltungsratssitz öffentlich aus, damit auch Frauen von dem frei werdenden Posten erfahren, die sich nicht in den bestehenden Netzwerken bewegen. Inzwischen sind von den 115 VR-Sitzen 28,7 Prozent mit Frauen besetzt.
In der Stadt Zürich achten die Personalverantwortlichen ebenfalls darauf, im Rekrutierungsprozess mehr Frauen zu berücksichtigen. Jeannette Jetter: «Ich gebe auch mal ein Dossier weiter, das nicht perfekt passt. Eventuell zeigt sich im Gespräch, dass die Bewerberin durchaus in Frage kommt.» Für die Stelle im Departementssekretariat machte eine Frau das Rennen – «aufgrund ihrer Qualifikation», wie die Personalleiterin betont. Frauen rein aufgrund ihres Geschlechts einzustellen wäre gesetzlich nicht zulässig, da diskriminierend.
Lesetipp: Interview mit Gudrun Sander
Im exklusiven Interview spricht Gudrun Sander, Titularprofessorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, über die Wirksamkeit von Frauenquoten.
Für Jetter ist inzwischen klar: Schlechte Bewerberinnen werden nicht angelockt, wenn es in einem Unternehmen eine Frauenquote gibt. Zu diesem Schluss kommt auch der österreichische Verhaltensökonom Matthias Sutter. Frauen vermeiden laut dem Forscher Wettbewerbssituationen eher als Männer. Sind allerdings Quoten vorgesehen oder ist bekannt, dass bei gleichwertiger Qualifikation eine Frau bevorzugt wird, steigt die Teilnahmebereitschaft, und zwar besonders bei gut qualifizierten Frauen.
Generell zeigen Studien, dass Firmen mit vielen Verwaltungsrätinnen und Topmanagerinnen überdurchschnittlich erfolgreich sind. Allerdings ist die «Huhn oder Ei»-Frage nicht restlos geklärt: Möglicherweise sind erfolgreiche Firmen offener und innovativer und haben deshalb mehr weibliche Führungskräfte. Sicher ist: Teams mit Frauen und Männern erzielen bessere Ergebnisse, wenn es um Kreativität und Innovation geht.
«Eine Stelle nicht zu besetzen, nur weil man keine Frau findet, ist natürlich falsch.»
Anja Derungs, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Zürich
«Mit einer Zahl wird alles konkreter: Alle wissen, worüber man diskutiert und was es zu erreichen gilt», sagt Jeannette Jetter. Und diskutiert hat die Personalleiterin in den letzten Monaten viel. Denn der Entscheid des Stadtrats begeisterte bei weitem nicht alle. Oft hörte sie, den eingestellten «Quotenfrauen» werde das Rüstzeug fehlen. Ebenso oft, der Job lasse sich mit einem Pensum unter hundert Prozent nicht bewältigen. Skepsis auch, wenn es darum ging, dass Mütter die Möglichkeit erhalten sollten, nach der Schwangerschaft mit einem reduzierten Pensum wieder einzusteigen, um später aufzustocken. Flexible Arbeitszeitmodelle aber sind eine elementare Voraussetzung, um als Arbeitgeber für Frauen attraktiv zu sein.
Nach vielen Gesprächen mit Zweiflern sagt die Personalfachfrau: «Ohne die konkrete Zielvorgabe hätten sich bestimmt weniger Leute auf Diskussionen eingelassen.» Jetter nutzt jede Möglichkeit zur Sensibilisierung. Denn: Wer eingestellt wird, darüber entscheidet letztlich der Vorgesetzte.
«Es ist Knochenarbeit», sagt Anja Derungs, die das Projekt als Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Zürich leitet. Denn der Zielwert gilt für jedes Departement einzeln, und die Ausgangslagen sind sehr unterschiedlich: Im obersten Kader etwa bewegt sich der Frauenanteil je nach Departement zwischen sechs und 50 Prozent. Nicht alle Bereiche werden bereits 2019 die 35 Prozent erreicht haben – müssen das auch nicht. Denn die Stadt hat die Vorgabe als «weiche» Quote definiert, also als Zielvorgabe. Sanktionen bei Nicht-Erreichen gibt es keine. Die Schaffhauser Stadtverwaltung kennt die gleiche Regelung für ihr oberes Kader, ohne ein Umsetzungsjahr zu nennen. In der Stadt Bern ist für die Gesamtverwaltung die 35-Prozent-Quote im Kader hingegen ein Muss.
Für Anja Derungs macht die «weiche» Variante Sinn: «In Abteilungen, in denen die Fluktuation tief ist oder technische Berufe überwiegen, sind andere Massnahmen nötig als im Präsidialdepartement, wo es vor allem darum geht, die heutigen 50 Prozent zu halten.» Wo Frauen auf dem Arbeitsmarkt rar sind, müsse man erst den Anteil der Frauen im unteren Kader erhöhen, um diese dann die interne Karriereleiter nach oben zu begleiten. Auch Jeannette Jetter ist froh, ist der Wert von 35 Prozent nicht in Stein gemeisselt. «Eine Stelle nicht zu besetzen, weil man keine passende Frau findet, wäre falsch, weil das Team leidet.» Allerdings sei es wichtig, dass in allen Bereichen eigene Ziele gesetzt und überprüft würden.
Aber letztlich sei die Quote nur ein Instrument. In den Köpfen müsse sich etwas ändern, und das brauche Zeit, sagen beide Frauen. Von allein passiere dieser Wandel nicht oder zumindest nur langsam. Darum seien Zielvorgaben essenziell – «in Verwaltungen wie bei Firmen», sagt Jetter, die Privatwirtschaft und Verwaltung kennt. Öffentlichen Verwaltungen falle es möglicherweise leichter als Firmen, sich dem Thema anzunehmen. Denn der Entscheid für die Quote werde politisch gefällt – und die oberste Führung stehe hinter der Umsetzung.
«Ohne Quote hätten sich weniger Leute auf die Diskussion eingelassen.»
Jeannine Jetter, Leiterin Personal im Hochbaudepartement Zürich
Mehrere Länder haben sich für Quoten für die Wirtschaft entschieden, etwa Spanien, Frankreich und Holland. Der deutsche Bundestag befand im März, dass rund hundert börsenkotierte Publikumsgesellschaften frei werdende Sitze im Aufsichtsrat ab 2016 so lange mit Frauen besetzen müssen, bis diese mindestens 30 Prozent des Gremiums bilden. Wird ein Mann gewählt, ist dies rechtlich ungültig; der Sitz bleibt leer. Ausserdem müssen sich etwa 3500 weitere Firmen eigene Zielvorgaben für Vorstand, Aufsichtsrat und die Chefetagen setzen. Erreichen sie diese nicht, müssen sie das erklären.
Die Schweiz liegt in Europa in Sachen Frauenquote unter dem Durchschnitt. Dagegen will der Bundesrat mit dem Passus im Entwurf der Aktienrechtsrevision etwas tun. Fünf Jahre sollen die grossen börsenkotierten Firmen Zeit haben, um die 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung zu erreichen. Liegt der Wert darunter, müssen jährlich die Gründe und die geplanten Massnahmen genannt werden.
Vielleicht aber wird die Wirtschaft doch beweisen können, dass sie es selber schafft. Voraussichtlich Ende Jahr entscheidet der Bundesrat, ob er die Revision des Aktienrechts weitertreiben will. Dann zeigt sich auch, ob und in welcher Form die Quote Teil davon bleibt.