Er ist ein heimtückisches Monster, eine Bestie. Gibt sich harmlos. Versteckt sich. Qualmt nur. Um dann erbarmungslos zuzuschlagen. Mit einer Wucht, die Türen aus den Angeln hebt, Fenster zerbersten lässt und Menschen hinwegfegt, als wären sie aus Pappe. Und innert Sekunden alles in Flammen setzt.

«Nur wer den Flashover kennt und seine Vorboten zu lesen weiss, kann ihm im Ernstfall entkommen und ihn bändigen», sagt Manfred Rothlin zu den neun jungen Männern vor ihm. Sie haben vor zwei Monaten ihre Ausbildung zum Berufsfeuerwehrmann begonnen. Heute heisst es, die Bestie Flashover – also die explosionsartige Durchzündung von Rauchgasen – hautnah kennenzulernen. Rothlin, seit 18 Jahren Berufsfeuerwehrmann und Instruktor, wird sie in die Flashover-Hölle mitnehmen.

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Morgens um acht, Schulzimmer 3 des kantonalen Ausbildungszentrums Andelfingen im Zürcher Weinland. Da und dort blitzen Tätowierungen auf, kernige Sprüche fallen, heiseres Lachen. Konzentriert demonstrierte Gelassenheit. Manfred Rothlin sitzt am Hellraumprojektor und zeichnet nach Anweisung der angehenden Feuerwehrmänner. «Was braucht es für einen Wohnzimmerbrand? Richtig, ein Wohnzimmer. Was noch? Ein Sofa, eine Lampe, Vorhänge.» Ein Kerzenständer als Feuerquelle, das Büsi als Brandstifter entstehen mit schnellen Strichen auf der Folie. Manfred Rothlin erzählt von Dancing Angels, vereinzelt aufflackernden Feuerzungen, die sich bei 270 bis 300 Grad entzünden und einen Flashover ankündigen. Von ockerfarbenem, pulsierendem Rauch. Von Temperaturen bis zu 850 Grad Celsius im Übungscontainer, wo die Jungs nachher mit dem Monster im wahrsten Sinne des Wortes auf Tuchfühlung gehen werden.

Der Flashover und verwandte Phänomene sind Gefahren, denen Feuerwehrmänner immer häufiger ausgesetzt sind. Grund ist die heutige Bauweise mit Fenstern und Türen, die praktisch luftdicht abschliessen. Der Nachteil: Sobald der Sauerstoff im Raum aufgebraucht ist, mottet der Brandherd nur noch vor sich hin, und die Brandgase können nicht verbrennen. Wird dann ein Fenster oder die Tür geöffnet, strömt Sauerstoff hinein – die Gase entzünden sich spontan und explodieren. Ist die Temperatur im Raum genügend hoch, geht alles, was noch nicht gebrannt hat, innert Sekunden in Flammen auf. Gerade mal zwei, drei Sekunden bleiben, sich vor der Druckwelle und dem Flammenmeer in Sicherheit zu bringen. Das macht den Flashover für Löschtrupps so gefährlich.

«Bleibt auf jeden Fall sitzen»

Oberstes Ziel des Kurses: keine Verletzten. «Bleibt auf jeden Fall sitzen. Im Stehen habt ihr schnell mal 300 Grad Celsius um die Ohren. Und dann stellt sich nachher die Frage: Wie rasiere ich um die Brandblasen herum.» Kerniges, aber leicht nervöses Gelächter ertönt von den Schulbänken. Dann, nach einer knappen Stunde Theorie, gehts ans Eingemachte.

Das Übungsgelände gleicht einem Katastrophengebiet. Abgefackelte Ruinen, ausgebrannte Autos. Eine Industrieanlage, die aussieht, als wäre sie Kulisse eines Endzeitfilms. Ganz hinten der Flashover-Container. Eigentlich ein ganz normaler Schiffscontainer. Daran angeschweisst ist ein kleinerer Container, der als Ofen fungiert. «Wir haben schon eingeheizt, damit er gut warm ist», erklärt Rothlin und heisst die Truppe, ihm ein Dutzend der Euro-Paletten, die sich vor dem Container stapeln, zur Ofenöffnung zu bringen. Das Feuer braucht Nachschub. Bereits jetzt im offenen Container ist die Hitze durch die Schutzkleidung hindurch deutlich spürbar.

Die Männer schnallen sich die Pressluftflaschen um, ziehen feuerfeste Kopfpariser an, stülpen die Helme über, setzen die Atemmasken auf, kontrollieren den Flaschendruck. Am Eingang zum Container steht Instruktor Christian Häberlin und kontrolliert bei jedem die Ausrüstung. «Ich schaue zudem jedem Einzelnen in die Augen, um zu sehen, wie er drauf ist.» Tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass einer mehr Angst hat, als er zugeben mag, oder dass der Kreislauf nicht mitmacht. «Nervös sind sie alle, aber sie werden es packen», ist sich Häberlin sicher.

Im Container setzen sich die Männer auf den Boden. Eine Branddecke über Beinen und Füssen soll zusätzlichen Schutz gewähren. «Ihr müsst den Rauch lesen», erklärt Rothlin. «Achtet also auf alles: auf die Farbe, auf das Pulsieren, auf die Menge des Rauchs an der Decke. Und auf die Dancing Angels.» Dann noch eine letzte Ermahnung: «Wenn ihr es drinnen nicht mehr aushaltet: rauskriechen, nicht aufstehen.» Gleich neben dem Container steht ein Löschwagen mit zwei Mann, die Schläuche im Anschlag.

Quelle: Dominic Büttner
Vom Qualm zum Flammenmeer

Die Tür wird geschlossen. Dunkel umhüllt die Truppe, nur die phosphoreszierenden Helme und der Schein von Rothlins Taschenlampe halten die totale Finsternis zurück. Das Schnauben und Rauschen der Atemgeräte mischt sich mit den Brandgeräuschen. Gelblich grauer Qualm bahnt sich einen Weg an die Decke, füllt bald das obere Fünftel des Containers. Rothlin zählt rückwärts und öffnet die Ofentür. Wie eine Welle ergiesst sich das Feuer in den Raum, kriecht den Gasen nach, verzehrt sie. Ein Flammenmeer am Firmament. Der Himmel brennt. Glühende Metallfetzen von der Containerdecke sinken auf die Männer nieder. Es ist erdrückend heiss. Und faszinierend schön.

Fünf solche Durchgänge lassen die Männer über sich ergehen. Dazwischen heisst es: Tür auf und durchlüften. Nach jedem Flashover geht Manfred Rothlin, der mit Abstand die grösste Hitze abbekommt, kurz an die frische Luft. Der ehemalige Lastwagenmechaniker sieht aus wie Hephaistos, der Gott der alten Griechen, zuständig für Feuer und Vulkane. Helm und Jacke sind angekokelt. Das Visier wirft Blasen, ist teils geschmolzen, Rauch steigt auf von seiner Ausrüstung – Hephaistos mottet. Beim fünften Mal ist klar: Der Mann hat genug. Er torkelt. «Mehr als zwei solcher Staffeln pro Tag machen wir nicht, das wäre medizinisch unverantwortlich», erklärt er.

Wieso tut man sich so was an? Wieso wird man Feuerwehrmann? «Abwechslung», ist die Standardantwort der angehenden Brandbekämpfer. Kein Tag sei wie der andere, immer sei was los. Auch der ehemalige Jusstudent Beni Burri hatte genug vom Schreibtisch. «Bis zum Bachelor habe ich das Studium durchgezogen. Doch irgendwann war klar: Ich gehe zur Berufsfeuerwehr.» Der Entscheid kam nicht aus heiterem Himmel. Er sei immer schon zweigleisig gefahren, sagt der 30-Jährige. Schon als Jugendlicher habe er in Kilchberg ZH in der Feuerwehr mitgemacht. Viele sind familiär vorbelastet, schon der Vater war in der Dorffeuerwehr. Fast alle waren in der freiwilligen Feuerwehr. Etliche finden den Weg zur Brandbekämpfung über die Sanität. Das Gefühl, zu einem eingeschworenen Team zu gehören, suchen alle.

Nach dem Mittag geht es ins Brandhaus. Erste Übung: Ein Teil der Mannschaft muss sich über zwei Stockwerke samt Wendeltreppe durch dichtesten Rauch zum Brandherd vorkämpfen und das Feuer löschen. Sichtweite: 30 Zentimeter. Stolpern ist Programm, denn die Räume sind mit allerlei Requisiten ausgestattet. «Damit die Männer lernen, sich über den Tastsinn in den Räumen zu orientieren», erklärt einer der Instruktoren. Währenddessen arbeitet sich ein Teamkollege mit der Autodrehleiter zum «Brandopfer» vor, das an einem Fenster hängt. Die Simulationspuppe wiegt 75 Kilo. Sie alleine in den Korb der Leiter zu hieven ist Schwerstarbeit.

Dann wird es noch einmal richtig heiss. Es gilt, einen Kellerbrand zu löschen. Die Herausforderung: Dunkelheit und Rauch, der kaum abziehen kann. Das gilt auch für den Wasserdampf, der beim Löschen entsteht. Und der tut richtig weh. Es fühlt sich an, wie wenn man mit einem feuchten Küchentuch eine Gratinform aus dem Ofen nimmt – aber am ganzen Körper.