Die Damenuhr Datejust von Rolex – in 18 Karat Weissgold und mit Brillanten besetzt – kostet stolze 56'000 Franken. Nichts für kleine Portemonnaies. Doch das Geschäft mit den Luxusuhren floriert. Das letzte Weihnachtsgeschäft lief so gut wie schon lange nicht mehr, einzelne Modelle sind ausverkauft, und die Hersteller melden, dass sie dringend neue Arbeitskräfte brauchen. Es gebe «so gute Löhne wie noch nie».

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Sandra K. spürt davon herzlich wenig. Die allein erziehende Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern arbeitet als Heimarbeiterin für Rolex in Biel. Unter der Lupe muss sie mit einer Spezialfeile an daumengrossen Uhrenbestandteilen Ränder abschleifen. Eine knifflige Arbeit. Durchschnittlicher Stundenlohn: zehn Franken.

Als Sandra K. vor einem halben Jahr die Arbeit annahm, war sie guten Mutes, denn sie kannte ihre Qualitäten: «Ich bin eine flinke Arbeiterin, das haben sie mir bei all meinen anderen Jobs gesagt.» Auch die Branche war ihr nicht fremd: Seit 20 Jahren ist sie immer wieder für die eine oder andere Uhrenfirma tätig. Um den Job bei Rolex gut zu machen, arbeitete Sandra K. zuerst acht halbe Tage am Hauptsitz in Biel – für insgesamt 250 Franken.

Der magere Lohn machte ihr nichts aus. Doch sie wollte wissen, was sie dereinst verdienen würde. «"Das ist nicht wichtig, das kommt schon gut", sagte mir der zuständige Leiter», erinnert sich Sandra K. Und sie glaubte ihm. Schliesslich handelte es sich nicht um irgendeine dubiose Firma, sondern um Rolex – mit einem geschätzten Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Franken immerhin der zweitgrösste Uhrenhersteller in der Schweiz. Laut Wirtschaftsmagazin «Bilanz» spielt die Miteigentümerfamilie Borer zudem «locker im Mittelfeld der 300 Reichsten» im Land.

280 Franken für 14 Tage Büez

Doch der Optimismus von Sandra K. schwand schnell. So zahlt Rolex beispielsweise für 100 Stück «Rouage» des Kalibers 5030 sechs Franken. Sandra K. schaffte am Anfang gerade mal 50 Stück pro Stunde. Entsprechend sah ihre erste Lohnabrechnung aus: Für zwei Wochen Arbeit erhielt sie 280 Franken. «Ich war am Boden zerstört, konnte es nicht glauben», sagt Sandra K. Ein Rechnungsfehler? Nein. «Die Heimarbeitsleiterin sagte mir klipp und klar, es sei normal, dass Heimarbeiterinnen im ersten Jahr kaum etwas verdienen.» Rund 35 Frauen arbeiten bei Rolex unter solchen Bedingungen.

Aufgeben ist nicht das Ding von Sandra K. Deshalb arbeitete sie fleissig weiter, in der Hoffnung, schneller zu werden. Inzwischen schafft sie es, wenn sie sich sputet, auf sieben bis zwölf Franken pro Stunde. Immer noch ein Hungerlohn. Dazu kommen noch die Umtriebe: Jeden zweiten Tag muss sie nach Biel fahren, um die Ware abzuholen – auf eigene Kosten.

Gewerkschaft will handeln Warum lässt eine renommierte Firma wie Rolex Heimarbeiterinnen unter solch misslichen Umständen arbeiten? Franziska Borer Winzenried, Generaldirektorin der Rolex Manufaktur in Biel, schreibt dem Beobachter auf noblem Papier mit Goldprägung trocken: «Je nach Arbeitstempo und Feinfühligkeit kann das monatliche Einkommen variieren.»

Mag sein. Doch das Gesetz schreibt anderes vor. Der Arbeitgeber muss der Heimarbeiterin den Lohnansatz und eine Vorgabezeit angeben – also den für die Arbeit geschätzten Zeitaufwand. Und: Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter dürfen nicht weniger verdienen als vergleichbare Angestellte im Betrieb.

Im Fall von Sandra K. trifft dies nicht zu. Das ist umso stossender, als Sandra K. – weil sie vorher arbeitslos war und der Lohn nirgends hinreicht – Ergänzungszahlungen der Arbeitslosenkasse erhält. Rolex beschäftigt also auf Kosten der Arbeitslosenversicherung eine billige Arbeitskraft.

Die Gewerkschaft Smuv will jetzt intervenieren. Und Generaldirektorin Borer Winzenried schreibt, dass sie die Tarife für Heimarbeiterinnen überprüfen und «bei Bedarf entsprechend anpassen» wolle. Der Bedarf dürfte gegeben sein.