Männer dürfen nicht kürzertreten
Neun von zehn Schweizer Männern wollen weniger arbeiten. Der Staat unterstützt ihr Anliegen mit viel Geld – doch Industrie und Gewerbe zeigen wenig Interesse.
Veröffentlicht am 18. März 2014 - 09:50 Uhr
«Die Teilzeitarbeit gibt mir ein Stück Vogelfreiheit – und baut Stress ab», sagt Felix Howald, Direktor der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz. Vor fünf Jahren bewarb er sich unter der Bedingung, 80 Prozent arbeiten zu können – und erhielt die Stelle tatsächlich. «Ich war 39, quasi mitten in der Karriere. Dass ich auf 80 Prozent reduzierte, hat auch Unverständnis und Neid provoziert.» Doch Howald ist von den Vorteilen überzeugt. Tatsächlich arbeite er heute zwar weiterhin etwa im Umfang einer Vollzeitstelle. «Doch mit einer 100-Prozent-Anstellung wären es 50 Stunden und mehr.»
Der vierfache Vater nimmt sich keinen fixen Tag frei, sondern flexibel mal einen halben oder einen ganzen, um mit den Kindern etwas zu unternehmen. Seine Frau ist nicht erwerbstätig. In den letzten fünf Jahren seien Teilzeitstellen «normaler» geworden, findet Howald. «In allen unseren Stellenausschreibungen wird auf die Möglichkeit eines Teilpensums hingewiesen.»
Felix Howalds Geschichte ist eine von 40, die auf der Plattform Teilzeitmann.ch Männer ermutigen sollen, ihre Arbeitszeit zu überdenken. 2012 wurde die schweizweite Sensibilisierungskampagne von Väter- und Männerorganisationen gestartet. Unterstützt wird sie vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung mit rund 630'000 Franken – noch bis Ende 2014. Das Ziel: Bis 2020 soll es etwas mehr als eine halbe Million Teilzeitmänner geben. Will heissen: Jedes Jahr sollen sich 25'000 neu für ein reduziertes Pensum entscheiden. Im vergangenen Jahr wurde dieser Wert mit 23'000 Neo-Teilzeitern fast erreicht. Ende 2013 arbeiteten insgesamt 14,6 Prozent der erwerbstätigen Männer nicht Vollzeit.
Also alles gut und auf Kurs? Die Zwischenbilanz von Jürg Wiler, Leiter von Teilzeitmann.ch, ist gemischt. Der Negativpunkt: «Erst wenige Branchen machen mit – und fast ausschliesslich Grossfirmen.» Zur Verbreitung seiner Botschaft hat Wiler an die 100 börsenkotierte Unternehmen angeschrieben, dazu öffentliche Betriebe, Verwaltungen und Arbeitgeberverbände. Aufgesprungen sind primär Banken, Versicherungen sowie Telekom- und Pharmakonzerne. Nicht überraschend sind einige Firmen darunter, die seit Jahren familienfreundliche Massnahmen fördern.
Wenig Interesse zeigen Industrie und Gewerbe – und allgemein kleinere und mittlere Betriebe. Im Transportwesen interessieren sich die SBB, nicht aber die Swiss. Kein Echo kam von grossen Spitälern, wo vor allem Teilzeit im Kader angesprochen wurde. «Firmen für Teilzeitarbeit zu gewinnen ist Knochenarbeit. Bei einigen sind wir schon fast ein Jahr daran», sagt Wiler. «Immerhin kommen jetzt auch einige aus ländlichen Gebieten.» Wie die Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz, die für ihre 650 Mitgliederfirmen mit total 80'000 Beschäftigten eine Veranstaltung zum Thema anbot. Immerhin 83 Personalverantwortliche nahmen teil.
Ein Anteil von über zehn Prozent Teilzeitmänner in einer Firma ist die Ausnahme. Bei der UBS etwa arbeiten heute 7,9 Prozent mit reduziertem Pensum. Die UBS war für die erste Wanderkampagne von Teilzeitmann.ch «Pilotfirma». Zu den drei gemeinsamen Veranstaltungen kamen 330 Interessierte.
Nur wenig unter dem erwähnten nationalen Durchschnitt von 14,6 Prozent liegt die Axa Winterthur – mit 14,2 Prozent der Männer im Teilpensum. Im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich ist die Männer-Teilzeitarbeit verbreiteter: Beim Kanton Zürich etwa (mit Volksschule, aber ohne Spitäler) arbeitet bereits ein Viertel der Männer zwischen 50 und 90 Prozent – doch keiner im obersten Kader.
Trotzdem: Das Thema liegt im Trend. 900'000-mal wurde die Website der Kampagne angeklickt, auf der 9000 Teilzeitstellen ausgeschrieben sind. Doch für Teilzeitmänner muss in der Firma einiges stimmen. Entscheidend ist die Haltung und die Unterstützung der Führung. Bei Axa Winterthur etwa nahm der CEO am Podium «Flexibilität und Teilzeit» von Teilzeitmänner.ch in der Firma teil. Axa bringt es auf gut acht Prozent Teilzeiter auf Direktionsstufe. «Es braucht solche Signale von oben», betont Yvonne Seitz, Axa-Leiterin Diversity & Family Care. «Ebenso wichtig ist, dass Teilzeitarbeit als flexibles und damit auch veränderbares Modell wahrgenommen wird. Das nimmt auf beiden Seiten Druck weg.» Eine interne Zielvorgabe besteht nicht, doch sämtliche vakanten Vollzeitstellen werden mit 80 bis 100 Prozent ausgeschrieben, Ausnahmen müssen begründet werden.
Bei der UBS werden nach einem Jahr Teilzeitmann.ch-Kampagne nun zuerst die Ergebnisse angeschaut, weitere Veranstaltungen sind vorerst nicht geplant. «Wir wollten in erster Linie einen Impuls geben», sagt Martin Beeler, Leiter Talent Management. Neben Teilpensen bietet die Bank auch Home-Office-Tage aktiv an. Bei Ausschreibungen von vakanten Stellen wird aber nur dann auf die Möglichkeit von Teilzeit hingewiesen, «wenn eine Reduktion effektiv möglich und erwünscht ist».
Der Teilzeittrend bei den Männern ist zu relativieren: Er beschränkt sich weitgehend auf 80-Prozent-Stellen. Bei Pensen unter 70 Prozent gab es in den letzten Jahren nur einen geringen Zuwachs. «Und je höher Teilzeitmänner in der Hierarchie stehen, desto geringer ist nicht nur die Reduktion, sondern auch der Anteil», weiss Kampagnenleiter Jürg Wiler.
Eine effektive Arbeitszeitreduktion im Kader ist nicht einfach zu haben. Etwa bei Jonas Peyer: Der IT-Projektleiter fand nur über eine Neuorientierung die angestrebte 60-Prozent-Stelle. Als er vor neun Jahren zum zweiten Mal Vater wurde, erhielt er bei der Bundesverwaltung gleichzeitig die Beförderung in die Projektleitung. «In den folgenden fünf Jahren sah ich meinen Sohn etwa zwei Monate», rechnet er vor. Die hohe Arbeitsbelastung zehrte auch an der Gesundheit. Nach einer einjährigen Auszeit wurde Peyer schliesslich eine Führungsstelle im 80-Prozent-Pensum angeboten – «doch eigentlich war es eine Vollzeitstelle mit Home-Office-Tag».
Schliesslich fand er einen Job als Bildungsleiter bei einer öffentlichen Organisation für Arbeitssuchende. Peyer und seine Frau arbeiten nun seit 2011 je 60 Prozent. Es war ein Karriereschnitt: «Vorher verdiente ich allein mehr als wir beide heute zusammen», bemerkt Peyer. «Doch ich habe persönlich viel gewonnen.»
Teilzeitarbeit in der Schweiz
Neunzig Prozent der Männer in der Schweiz würden ihr Arbeitspensum gern reduzieren – das zeigt eine repräsentative Studie aus dem Jahr 2011. Die Realität sieht anders aus: 14,6 Prozent aller Männer und nur gerade 8,4 Prozent der Väter kleiner Kinder arbeiten Teilzeit. Vom Ideal der geteilten Familienarbeit ist man in der Schweiz noch weit entfernt. Sie würde die Work-Life-Balance der Väter verbessern, Kinder würden profitieren und nicht zuletzt die Frauen: Mehr teilzeitarbeitende Männer würden ihnen den (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben und gerade auch den Zutritt zu Kaderpositionen erleichtern.
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