Tortur statt Ausbildung
Der Schweizer Olympiareiter Heinz Wehrli steht in der Kritik: Seine jungen Praktikantinnen fühlen sich von ihm ausgenutzt und sexuell belästigt.
Veröffentlicht am 2. Juni 2006 - 16:40 Uhr
Auf ihrer Homepage präsentieren sich Heinz und Charlotte Wehrli, die im irischen Bantry einen Reithof führen, von ihrer besten Seite. Er, der erfolgreiche Reiter und «pferdeverrückt seit frühester Kindheit». Sie, die sich für Pferdeheilkunde interessiert und sich um Haus und Garten kümmert. Dazu Bilder von springenden Pferden und vom Ehepaar, das sympathisch in die Kamera lächelt - ein wahres Paradies.
Doch die Idylle trügt: Immer wieder flüchten junge Schweizerinnen Hals über Kopf von Wehrlis Hof, die dort als Au-pairs oder Praktikantinnen gearbeitet haben. «Ich verliess das Haus nachts, weil ich mich von Heinz Wehrli bedroht fühlte», sagt eine junge Frau, die anonym bleiben will. Während Charlotte Wehrli eher im Hintergrund walte, bekomme ihr Mann von einer Sekunde auf die andere Wutanfälle. Er brülle herum, sei rechthaberisch und äusserst aggressiv.
Wehrli, ein talentierter Reiter, nimmt seit Jahren an Eventing- beziehungsweise Military-Rennen teil. 1996 vertrat er die Schweiz an den Olympischen Spielen in Atlanta - Weltmeister- und Europameisterschaften folgten. Als einer der Besten gehört Wehrli auch dieses Jahr zum Schweizer Elitekader. Er trainiert auf seinem Hof in Irland, bildet Pferde aus und vermietet Ferienwohnungen an Touristen. Im Internet und per Inserat suchen er und seine Frau nach Schweizer Mädchen «zur Mithilfe». Wehrlis bekannter Name zieht - immer wieder schicken Eltern ihre Teenager zu ihm.
Einmal dort angekommen, wird der Traum vom Reiten an einsamen Küsten jedoch für viele zum Alptraum. Es herrsche ein Drill, der nicht auszuhalten sei, und: Heinz Wehrli habe sie ausgenützt, sagen mehrere junge Frauen übereinstimmend. Etwa die 16-jährige Noemi Keller aus Kerzers FR, die im April dort war: «Ich kam mir vor wie eine Sklavin, die herumgehetzt wird. Ich schuftete sieben Tage die Woche fast bis zur Erschöpfung.»
Gearbeitet wird von 7.30 Uhr bis 20 Uhr. Dazwischen habe man bloss je 20 Minuten Pause für Frühstück und Mittagessen, sagt Keller. «Um 22 Uhr mussten wir täglich nochmals in den Stall, um auszumisten.» Während Monaten, so erzählt eine andere Praktikantin, habe sie keinen einzigen freien Tag gehabt, dafür Arbeitszeiten von 15 Stunden täglich - das ist in der Schweiz wie auch in Irland unzulässig. Vom Beobachter darauf angesprochen, nimmt Heinz Wehrli keine Stellung.
Die 17-jährige Bianca Meier (Name geändert) erzählt, sie sei von Wehrli im Auto frühmorgens weggefahren und im Niemandsland ausgesetzt worden, um auf einem Feld Unkraut zu jäten. «Ich hatte keine Ahnung, wo ich war, es hatte weit und breit kein Haus. Ich bekam Angst. Weil er mich zuvor nicht über den Einsatz informiert hatte, war ich bis am Abend ohne Essen und Trinken.»
Wehrli weist die Vorwürfe zurück. Viele der jungen Leute seien «sehr unfit und körperliche Arbeiten nicht gewöhnt». Man müsse sich zuerst einleben. «Das geht drei bis vier Wochen, je nach Einstellung des Praktikanten.» Überdies gebe es «eine ganz grosse Anzahl Leute», denen es ausgezeichnet gefallen habe. Wehrlis entlöhnen ihre Gehilfinnen nicht, sondern versprechen ihnen als Gegenleistung Englischlernen, Reitstunden sowie Kost und Logis. Doch Reitstunden gibt es kaum, erklären mehrere Praktikantinnen, die unabhängig voneinander seit 1999 dort waren. Trotzdem behauptet Wehrli gegenüber dem Beobachter: «Alle Praktikantinnen erhalten regelmässig Reitunterricht», und die Arbeit mit Pferden sei Teil der Ausbildung. «Ich bekam in zwei Wochen eine halbe Stunde Reitunterricht», ärgert sich die 20-jährige Anita Inderbitzin aus Ibach SZ.
Einer Praktikantin garantierte das Ehepaar: «Du kannst sehr gut Englisch lernen, vor allem mündlich.» Doch Noemi Keller hält stellvertretend für viele andere fest: «Man spricht und lernt kaum ein Wort. Es wird meist Schweizerdeutsch gesprochen.»
Anita Inderbitzin sagt, sie hätte einiges in Kauf genommen. Doch selbst das von Wehrlis als «hübsch» angekündigte Zimmer sei undicht gewesen («wenn es regnete, tropfte es auf die Betten»), und geschlafen habe sie wegen der Kälte in der Skijacke. Zu viert seien sie in diesem kleinen Zimmer eingepfercht gewesen, erzählt Erika Sutter (Name geändert). «Die Wände waren feucht, und Schnecken krochen herum.» Die Küche und das Wohnzimmer seien immer warm, sagt Wehrli dazu. Dort allerdings hätten die Praktikantinnen nichts zu suchen gehabt. «Das Wohnzimmer war abends tabu», so Noemi Keller.
Eine Problemzone ist auch das einzige Badezimmer im 150 Jahre alten Bauernhaus. Mehrere Praktikantinnen sagen übereinstimmend, sie hätten meist eiskalt duschen müssen, denn: «Wehrli nahm täglich ein heisses Bad. Wir durften nur nach ihm duschen, zu fixen Zeiten.» Wehrli sieht auch dies ganz anders: «Nach einem Bad von mir gibt es immer heisses Wasser.»
Verschliessbar ist das Bad nicht, das gleichzeitig als Vorratsraum und Futterlager dient. Wehrli störte wiederholt junge Frauen beim Duschen, auch Noemi Keller. «Das war sehr unangenehm. Ich forderte ihn auf, rauszugehen, doch er verwickelte mich in ein Gespräch», sagt sie. An einem anderen Tag habe er von aussen das getönte Fenster geöffnet und in die Dusche gespäht. «Und bei der Arbeit fasste er mir mehrmals an den Hintern.» Zu einem anderen Mädchen machte er anzügliche Bemerkungen: «Er sagte, ich könne genauso gut ohne T-Shirt herumlaufen.» Laut Experten sind dies klare sexuelle Übergriffe, auch wenn Wehrli versichert: «Diese jungen Frauen interessieren mich sexuell überhaupt nicht.»
Jetzt will der Schweizerische Verband für Pferdesport (SVPS) die Vorwürfe prüfen. «Wir nehmen diese Hinweise ernst und werden mit Wehrli sprechen», sagt Präsident Urs Oberholzer. Man habe beim Verband eine Mitarbeiterin, die sich speziell um Fälle sexueller Ausbeutung kümmere. Für die Arbeitsbedingungen auf dem Hof sei der Verband hingegen nicht zuständig.
Noemi Keller nahm im April allen Mut zusammen und sprach Wehrli auf die Probleme an. «Darauf warf er mich raus, ich musste innerhalb von zehn Minuten meine Sachen packen.» Noch nie habe er es fertig gebracht, jemanden rauszuschmeissen, behauptet Heinz Wehrli. Tatsache jedoch ist: Allein in den letzten 18 Monaten verliessen acht junge Frauen vorzeitig den Hof. Die meisten wurden von Wehrli innert Minuten rausgestellt und mit Wörtern wie «fette Sau» und «Arschloch» beschimpft. Charlotte Wehrli setzte manche von ihnen an einer Bushaltestelle ab. Andere flüchteten nachts, aus Angst vor Heinz Wehrlis Tiraden, und schlugen sich zum nächsten Ort durch. «Ich schleppte zusammen mit einer Kollegin etwa 70 Kilo Gepäck kilometerweit bis zum nächsten Nachbarn», sagt eine Praktikantin. «Wir hatten zum Glück ein Pferd dabei.»