Hungerlöhne für mongolische Künstler
Eklat beim Zürcher Dschingis Khan Variete: In der Mongolei angeheuerte Artisten klagen über Lohndumping und mangelhafte Verpflegung. Ein Fall fürs Arbeitsgericht.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Wilde Gesänge und metallische Klänge tönen durchs Zirkuszelt. Auf den Köpfen der Mongolen türmen sich goldverzierte Hüte, ihre Füsse stecken in pelzgefütterten Reiterstiefeln, und die lächelnden Mongolinnen tragen seidene Gewänder. Am Schluss des furiosen Variete-Abends mit Gesangs- und Artistikdarbietungen stimmen die Künstlerinnen und Künstler ein Loblied auf ihren Ahnherrn an: Dschingis Khan. Begeisterter Applaus in La Chaux-de-Fonds – wie überall, wo die Truppe auftritt.
Doch hinter den Kulissen des Dschingis Khan Varietes (DKV) brodelt es heftig. Mehrere Artisten, aber auch Schweizer Insider beschuldigen Dava Hollenstein, Geschäftsführerin der Zürcher Dschingis Khan Variete GmbH, sie beschäftige die mongolischen Künstler zu «ausbeuterischen Bedingungen». In La Chaux-de-Fonds zum Beispiel, wo die Truppe zehn Tage gastierte, mussten sechs Artisten auf engstem Raum in einem Bauwagen wohnen. Duschen gab es nicht, und als Toilette diente ein heruntergekommenes öffentliches Plumpsklo. «Eine Ausnahme, es war eben die letzte Station der Tournee», rechtfertigt sich die Zirkusdirektorin.
Doch auch mit den Lohnzahlungen haperte es – und das nicht erst am Ende der Tournee. Ein Musiker und eine Musikerin haben deswegen beim Zürcher Arbeitsgericht Klage gegen Hollenstein eingereicht.
Die beiden Mongolen kamen im Januar 1998 in die Schweiz und waren bis Mai beim DKV angestellt. Der ausbezahlte Lohn reichte nicht einmal für die Rückflugtickets in die Mongolei. Im September kam schliesslich das Sozialamt Zürich für den Rückflug auf. Nun fordern die beiden Mongolen den noch ausstehenden Lohn sowie Schadenersatz.
Angst um den Job
Die beiden Musiker sind bisher die einzigen Angestellten, die es wagten, gerichtlich gegen Dava Hollenstein vorzugehen. Viele Artisten fürchten um ihre weitere Karriere, weil die mongolisch-stämmige Schweizerin gute Verbindungen zu den mongolischen Behörden habe, speziell zum Kulturministerium. Ein weiterer Grund ist die Armut in der Mongolei: Die Künstler sind froh um jeden noch so kleinen Verdienst.
Die Löhne beim DKV sind tatsächlich mickrig, wie der Fall der beiden Musiker zeigt: 800 Franken monatlich zog Dava Hollenstein für Kost und Logis ab. Die Kost habe zeitweise nur aus «einem dünnen Süppchen täglich» bestanden, sagt der Anwalt der beiden Artisten, und am Monatsende sei ein Lohn von lediglich 800 Franken übriggeblieben. Doch die Zirkusdirektorin will sich nicht über Essen und Löhne äussern: «Da ist alles in Ordnung.»
Kritisch über die DKV äussert sich mittlerweile jedoch auch ein ehemaliger Förderer: Thomas Bischofberger, Exkonsul der Mongolei in der Schweiz. Ende 1996 hatte ihn Dava Hollenstein um Hilfe beim Aufbau des Kleinzirkus gebeten. Bischofberger hatte sich in der Vorbereitungsphase nicht nur um Organisatorisches gekümmert, sondern auch Geld in die Firma investiert.
«Einiges läuft krumm»
Zu spät habe er bemerkt, dass beim DKV «einiges krumm läuft», sagt Bischofberger heute. Als die ersten Mongolen Anfang 1997 in die Schweiz gekommen seien, habe Hollenstein plötzlich nichts mehr von ihm wissen wollen. «Seither habe ich über die Vorgänge im DKV keinen Uberblick mehr.» Im Sommer 1997 hätten ihn aber mehrere Artisten aufgesucht und sich beklagt, sie erhielten zuwenig Lohn und Essen. «Die meisten Künstler beherrschten keine Fremdsprachen. Sie waren völlig abhängig von Dava Hollenstein.»
Weil Bischofberger keinen Einfluss mehr auf das DKV hatte, verwies er die Klagenden an das mongolische Konsulat in Genf. Bischofberger: «Die zuständige Botschaft in Deutschland habe ich brieflich unterrichtet.» Dort hiess es allerdings, man habe noch nie von Problemen der DKV-Angestellten gehört. Bischofberger hat inzwischen sowohl sein Amt als Konsul wie auch dasjenige als Geschäftsführer des DKV abgegeben. «Damit will ich nichts mehr zu tun haben», sagt er heute.
Auch Robert Mädlers Gastspiel dauerte nicht lange. Im Sommer 1998 kümmerte sich der Mongolei-Kenner um Medienkontakte und Auftrittsbewilligungen für die Truppe. «Als ich nach zwei Monaten sah, was lief, zog ich mich zurück», sagt er. Auch Mädler berichtet von Klagen der Künstler über unvollständige oder verspätete Lohnzahlungen.
Gegenüber dem Beobachter mochte sich Dava Hollenstein nicht im Detail äussern. Selbst simple Fragen zur Anzahl der Zirkusangestellten liess sie unbeantwortet. Man solle doch jenen Schweizer fragen, der sich um ihre Buchhaltung kümmere. Doch dieser spielt den Ball zurück: «Die Verhältnisse im DKV kenne ich nicht aus eigener Erfahrung.»
Fehlende Bewilligungen
Das ist auch besser so. Beobachter-Recherchen ergaben nämlich, dass Hollenstein in der vergangenen Saison Mongolen in zwei Schweizer Zirkusse vermittelte – ohne die nötigen Bewilligungen zu besitzen. Auch dazu will die Zirkusdirektorin nicht Stellung nehmen. Uberhaupt lassen sie die Vorwürfe von einstigen Geschäftspartnern und Artisten kalt: «Die wollen mir schaden, weil sie mich hassen. Beim DKV gibt’s keine Probleme.»
Das sieht die Zürcher Fremdenpolizei anders. Sie will die DKV-Lohnunterlagen sehen. Auslöser ist die Anzeige eines Schweizers, der Dava Hollenstein beschuldigt, für die Angestellten keine Krankenversicherungen und zu tiefe Löhne zu zahlen. Doch mit den Unterlagen eilt es der Zirkusdirektorin nicht. Der Fremdenpolizei teilte Dava Hollenstein mit, sie gehe zuerst mal nach Frankreich – auf eine Tournee.