Stefan Müller* traute seinen Augen nicht, als er den Brief des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) Eggbühl in Zürich öffnete: Er solle sich als Hauswart bewerben, wurde dem gelernten Grafiker mitgeteilt. «Erst dachte ich, es handle sich um einen schlechten Scherz», sagt der 43-Jährige. «Ich bin erst drei Monate arbeitslos und sollte mich um einen Job bewerben, der überhaupt nichts mit meinen Berufserfahrungen zu tun hat.»

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In der Tat: Seit über 20 Jahren arbeitet der Familienvater in der Werbung und will das auch in Zukunft tun. «Als Hauswart arbeiten? Kommt nicht in Frage!» In der Folge brummte ihm das RAV kurzerhand einen zehntägigen Standortbestimmungskurs auf. «Besuche ich den nicht, wird mir das Arbeitslosengeld gekürzt», ärgert sich Stefan Müller. «Nicht einmal gefragt haben die mich, es wird einfach über mich entschieden!»

Nicht nur bei Stefan Müller macht sich Unmut breit. Zahlreiche Arbeitslose beschweren sich über das forsche Vorgehen der RAV. «Ich habe Publizistik studiert und fünf Jahre als Redaktorin gearbeitet», erzählt Monika Berger*, die seit drei Monaten ohne Stelle ist. «Mir wurde geraten, mich doch im Service zu bewerben.»

Kursleiter am Anschlag

Marcel Zehnder*, seit 13 Jahren Journalist und jetzt sieben Monate arbeitslos, soll sich auf Anraten seiner Beraterin künftig um eine Stelle als Bürosachbearbeiter bemühen. «Die RAV wollen so wenig Arbeitslose wie möglich in ihrer Statistik», sagt er. «Deshalb gehen sie nicht mehr auf die Bedürfnisse ihrer Klienten ein.»

Wer nicht sofort einen Job findet, wird in Weiterbildungen geschickt, die speziell für Stellensuchende konzipiert worden sind. «Solche Kurse machen Erwerbslose attraktiver auf dem Arbeitsmarkt», glaubt Edith Gitermann vom kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit in Zürich. Und umso schneller komme eine Stellenvermittlung zustande, hofft sie.

Abklärungs- und Bewerbungskurse sowie persönlichkeitsorientierte Veranstaltungen stehen unter anderem auf dem Programm, das die RAV anbieten. Doch oft sind die Teilnehmer unzufrieden: «Unser Kursleiter war überfordert, weil er mit der Zusammensetzung der heterogenen Gruppe nicht klargekommen ist», erzählt Marcel Zehnder über einen Pilotkurs in Bewerbungsstrategie. «Ich sass neben einer Kleinkindererzieherin und einem Konstruktionsschlosser, der nur gebrochen Deutsch sprach.» Andererseits sei ein Geschäftsmann dabei gewesen, der zuletzt mehr als 300 Mitarbeiter geführt habe. Zehnder: «Wir mussten in Rollenspielen lernen, wie wir uns richtig bewerben.» Zehnders Fazit ist vernichtend: «Die Veranstaltung hat nichts gebracht. Und dafür wird noch Geld ausgegeben.»

Rasche Vermittlung zählt

«Wir stehen unter grösserem Druck als früher», rechtfertigt sich Claude Wirz, Leiter des Zürcher RAV Eggbühl. «Und zudem sind die Ansprüche der Stellensuchenden enorm hoch.» Es sei schwierig, jedem Arbeitslosen die perfekte Stelle zu vermitteln. Einem Grafiker einen Job als Hauswart zu empfehlen, sei zumutbar – und zwar auch dann, wenn er erst drei Monate arbeitslos ist. «Falls er den heutigen Ansprüchen auf dem Markt nicht mehr entspricht, muss er sich neu orientieren», so Wirz. «Ziel ist es, Erwerbslose sofort wieder auf den Arbeitsmarkt zu bringen.» Und da sollen die Weiterbildungskurse helfen.

Manchmal schaden sie aber mehr, als sie nützen. Lilo Graber*, die bis zum Zeitpunkt ihrer Entlassung in der medizinischen Forschung gearbeitet hatte, wurde im vierten Monat ihrer Arbeitslosigkeit zu einem einwöchigen Kurs in Münchenstein BL aufgeboten. «Umgang mit der Arbeitslosigkeit» lautete das Thema. Zweimal sei eine Teilnehmerin «nach gruppendynamischen Übungen» in Tränen ausgebrochen, erzählt Graber. Mit Sätzen wie «Sie stehen sich doch selber im Weg» habe die Kursleiterin alles noch schlimmer gemacht. Dafür blieb Profanes ungeklärt: «Wie das Arbeitslosengeld berechnet wird oder wie sich die Gelder zusammensetzen, das weiss ich bis heute nicht», sagt Lilo Graber.

Derartige Vorwürfe lässt Madeleine Weisskopf, Abteilungsleiterin des Amts für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland, nur bedingt gelten: «Der Umgangston in den Kursen ist korrekt, höflich und bestimmt.» Vielleicht müsse hin und wieder eine unbequeme Frage gestellt werden, die zu einer Auseinandersetzung führen könne. «Doch so kann sich eine Person weiterentwickeln.» Zudem spiele auch die individuelle Wahrnehmung der Kursteilnehmer eine Rolle, erklärt Weisskopf. «Die kann manchmal von der Realität abweichen.»

Für Lilo Graber steht allerdings fest: «Die Kursleitung war dilettantisch, und die Schulung brachte nichts.» Im Gegenteil: Am Abend sei sie jeweils frustriert nach Hause gefahren. «Ich glaube nicht, dass jemand nach einem solchen Erlebnis motiviert ist, sich um eine Stelle zu bewerben.»

Ernüchternde Studie

Zu ähnlichen Resultaten kam eine Studie, die das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) vor zwei Jahren in Auftrag gegeben hatte. Die beiden Autoren, die Volkswirtschaftler Michael Lechner und Michael Gerfin, gingen mit den Arbeitslosenkursen hart ins Gericht: «Eine Verbesserung der kurzfristigen Beschäftigungschancen wurde durch eine Teilnahme an den Schulungen nicht erreicht», sagt Lechner, Professor an der Universität St. Gallen.

In der Studie wurde festgehalten, dass sich die Kursteilnahme sogar negativ auf die Erwerbslosen auswirke, da sie sich weniger intensiv auf die Stellensuche konzentrieren könnten. Für die Teilnehmer von Informatik- oder von Weiterbildungskursen waren zudem keine besseren Beschäftigungschancen erkennbar. Auch bei Basisprogrammen und Sprachkursen seien die Effekte negativ gewesen. Doch bewirkt hat die Studie nichts: «Soviel ich weiss, gab es als Reaktion auf die Ergebnisse keine konkrete Änderung der Politik bezüglich arbeitsmarktlicher Massnahmen», sagt Michael Lechner.

Doch selbst für die RAV ist schnell nicht immer gleich besser. So riet kürzlich eine Mitarbeiterin des Zürcher Arbeitsvermittlungszentrums an der Flössergasse einem Angestellten, er solle mit der Jobsuche noch warten – obwohl dieser wusste, dass er in zwei Monaten seine Stelle verlieren würde. Der Informatiker erinnert sich: «Sie sagte, wenn mich das RAV vermitteln könne, sei das besser für ihr Image.»

*Name geändert