«Happiger Job, wenn man mit jedem Mitleid hat»
Ein RAV-Berater der ersten Stunde über seine Arbeit – und den persönlichen Preis, den er dafür zahlt.
Veröffentlicht am 12. Oktober 2004 - 17:09 Uhr
«Momentan betreue ich etwa 120 Dossiers von Stellensuchenden gleichzeitig. Das ist gerade noch machbar, aber nur unter der Bedingung, dass sonst keine anderen Arbeiten anfallen. In Zeiten grosser Arbeitslosigkeit waren es auch schon 180 Dossiers – zu viel.
Pro Monat sehe ich jeden von mir betreuten Arbeitslosen während einer halben Stunde. Das ist wenig Zeit und damit einer der grössten Stress- und Unsicherheitsfaktoren. Schliesslich muss ich mir in dieser halben Stunde ein Bild von der Person machen und wichtige und für die Betroffenen oft folgenschwere Entscheide treffen.
Dabei habe ich es mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen zu tun. Viele dieser Klienten wirken sehr unsicher. Das wirft bei mir Fragen auf: Ist die Person unsicher, weil sie uns hintergeht? Oder weil ihr etwas fehlt? Soll ich mit verstärkter Kontrolle oder mit mehr Förderung reagieren? Dabei muss ich ständig auch meinen eigenen Rassismus hinterfragen, denn schnell ist der Gedanke da, dass diese Afrikanerin typischerweise langsam sei oder dieser Balkani halt einfach frech. Wir RAV-Berater werden selber auch kontrolliert, mit so genannten Wirkungsindikatoren. Dabei wird gemessen, wie viele Taggelder unsere Klienten bezogen haben, wie viele Arbeitslose länger als ein Jahr da sind, wie viele ausgesteuert werden und wie viele nach weniger als vier Monaten erneut arbeitslos sind. Ob ein RAV-Berater psychologisch gute Gespräche führt, wird dabei allerdings nicht untersucht.
Was mit den Ergebnissen dieser Wirkungsanalyse gemacht wird, hängt stark von der Kultur und der Führung des RAV ab. Man kann damit einen Berater ‹abschiessen›, oder man kann ihm aufzeigen, wo er seine Stärken und Schwächen hat. Im ersten Fall kann schon die Gefahr bestehen, dass man zum Erbsenzähler wird und in einen Stress gerät, wenn die eigenen Zahlen schlechter sind als die der Kollegen.
Anderseits helfen die Indikatoren, dass man sich als Berater vermehrt am Arbeitsmarkt orientiert und versucht, die Stellensuchenden schnell wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
In welche Rolle man als RAV-Berater schlüpfen will, ob man also gegenüber dem Klienten eher der ‹Seelsorger› oder der ‹Polizist› ist, das muss jeder selber herausfinden. Dabei muss man sich bewusst sein, dass bei uns viel Unangenehmes gesagt wird: dass der eine mit 55 wohl keine oder nur noch eine wesentlich schlechter bezahlte Stelle finden wird oder dass der andere nur noch drei Monate Geld erhält und danach ausgesteuert wird. Das RAV ist vielleicht auch der erste Ort, wo jemand damit konfrontiert wird, dass er ein Alkoholproblem hat.
Wenn sich einer da als Seelsorger versteht und mit jedem Mitleid hat, so ist das ein happiger Job. Dann nimmt man all das mit nach Hause und macht die Probleme anderer zu seinen eigenen.
Wenn mich etwas sehr belastet, kann ich das mit meinen Kollegen besprechen. Wir haben ein gutes Team, das ist mir sehr wichtig. Am Abend bin ich oft müde und fühle mich ausgebrannt. Nach nunmehr sieben Jahren in diesem Job weiss ich: Als RAV-Berater bezahlt man einen persönlichen Preis für die Arbeit, die man macht.»
1 Kommentar
Dieser Schulaufsatz ist eines Beobachters nicht würdig. Das Niveau enttäuscht mich tatsächlich sehr. Wo bleiben die seriösen Recherchen, welche ich von einem Beobachter erwarte?