Was ist ein Vertrag wert?
Runter mit dem Salär, mehr Gratis-Überstunden, weniger Spesen: Firmen haben viele Möglichkeiten, auf Kosten der Angestellten zu sparen. Ganz machtlos sind diese aber nicht.
Veröffentlicht am 23. November 2004 - 16:01 Uhr
Arbeitnehmer, die sich nach dem Jahresend-Ritual des «Lohngesprächs» unvermittelt mit einer Verschlechterung ihrer Anstellungsbedingungen konfrontiert sehen, gehören zur regelmässigen Kundschaft der Beobachter-Hotline. Mal geht es um Lohnkürzungen, mal um die Streichung des 13. Monatslohns, um die Abschaffung von Dienstaltersgeschenken oder um eine «Anpassung des Spesenreglements an die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen». Für die Betroffenen stellt sich jeweils die bange Frage: Kann ich mich überhaupt zur Wehr setzen? Darf der Arbeitgeber geltende Verträge einfach so ändern?
Als Antwort gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Arbeitnehmende können auf Einhaltung ihres geltenden Vertrags pochen. Verbindlich sind dabei nicht nur schriftliche, sondern auch mündliche oder sogar stillschweigende Abmachungen, die sich im Lauf der Zeit eingespielt haben. Etwa die jahrelange Ausrichtung eines nicht vertraglich vereinbarten 13. Monatslohns. Eine Änderung von heute auf morgen ist nur im gegenseitigen Einverständnis möglich.
Die schlechte Nachricht: Arbeitsverträge sind kündbar und können damit auch verändert werden. Allerdings darf der Arbeitgeber Vertragsänderungen nicht per sofort in Kraft setzen, wenn der Arbeitnehmer nicht einverstanden ist. Er muss vielmehr die Kündigungsfrist des geltenden Vertrags einhalten, bevor die Änderungen wirksam werden können; man nennt dies eine Änderungskündigung.
Laut Bundesgericht sind Änderungskündigungen grundsätzlich zulässig, denn Arbeitgeber sollen die Möglichkeit haben, geltende Arbeitsbedingungen an veränderte Gegebenheiten anzupassen. In der Regel ist gegen Vertragsänderungen also nichts zu machen.
Missbräuchliche Änderungskündigung?
In Ausnahmefällen kann eine Änderungskündigung aber auch missbräuchlich sein – laut Bundesgericht dann, wenn die angestrebte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für den Arbeitnehmer «unbillig ist und sich weder durch betriebliche noch durch marktbedingte Gründe rechtfertigen lässt». Unzulässig ist eine Änderungskündigung auch, wenn die beabsichtigte Vertragsänderung gegen zwingende gesetzliche oder gesamtarbeitsvertragliche Bestimmungen verstösst.
Fast drei Monatslöhne Entschädigung
Als missbräuchlich erachtete ein St. Galler Gericht eine Änderungskündigung in folgendem Fall: Einem Handelsreisenden, dessen Lohn zu einem grossen Teil aus Provisionen bestand, wurde ein neuer Vertrag unterbreitet, der sein gesetzliches Recht auf Lohnfortzahlung bei Krankheit einschränkte. Ausserdem sollte ihm während seiner Ferien lediglich das feste Gehalt, nicht aber eine zusätzliche Entschädigung für ausfallende Provisionen zustehen.
Dies verstiess gegen die zwingende gesetzliche Bestimmung, wonach Arbeitnehmer während der Ferien Anrecht «auf den gesamten darauf entfallenden Lohn» haben. Damit, so das Gericht, habe der Arbeitnehmer ausreichende Gründe gehabt, die Vertragsänderung nicht zu unterzeichnen. Dem Handelsreisenden wurde schliesslich eine Entschädigung wegen missbräuchlicher Kündigung in Höhe von fast drei Monatslöhnen zugesprochen.
- Falls Sie am Monatsende weniger als den vereinbarten Lohn erhalten, sollten Sie den Grund sofort abklären. Protestieren Sie aus Beweisgründen schriftlich gegen eine sofortige oder gar rückwirkende Lohnkürzung beziehungsweise andere Vertragsänderungen. Pochen Sie auf Einhaltung der Kündigungsfrist.
- Kündigt der Arbeitgeber, weil Sie einer sofortigen Vertragsänderung nicht zustimmen, handelt es sich um eine missbräuchliche Rachekündigung, gegen die man sich wehren kann. Das Gleiche gilt, wenn es für die Vertragsänderung keine sachliche Rechtfertigung gibt oder wenn durch den neuen Vertrag gesetzliche oder gesamtarbeitsvertragliche Mindestbestimmungen verletzt werden. Holen Sie sich in diesen Fällen juristischen Rat.
- Bei Krankheit, Militärdienst und Schwangerschaft gibt es einen Kündigungsschutz. Dieser gilt auch bei Änderungskündigungen.
- Auch für den Fall, dass die Firma Ihres Arbeitgebers verkauft wird oder mit einem anderen Unternehmen fusioniert, ist dies kein Grund, Arbeitsverträge per sofort abzuändern. Denn mit dem Verkauf eines Unternehmens gehen die bestehenden Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über. Der neue Besitzer muss die geltenden Kündigungsfristen einhalten, falls er die Verträge anpassen will.
- Achtung: Wenn Sie eine Vertragsänderung längere Zeit kommentarlos hinnehmen, kann dies als stillschweigende Zustimmung gewertet werden.