«Ich möchte mein Wissen im Kosovo weitergeben»
Altersheime leisten Entwicklungshilfe – mitten in Zürich: Acht junge Frauen aus dem Kosovo haben hier mehr über Pflege gelernt. Auch die Schweizer Teams profitierten.
Veröffentlicht am 16. Dezember 2015 - 14:28 Uhr
Blendine Leci spricht wunderschönes Hochdeutsch, fast akzentfrei. Die 23-Jährige lacht oft, wenn sie erzählt. Zwei Jahre lang studierte die gelernte Krankenschwester Deutsch – in ihrem Heimatort Drenas, 30 Kilometer westlich von Pristina. Bis Mitte Dezember hat sie im Pflegezentrum Bombach in Zürich-Höngg gearbeitet.
Wo Leci herkommt, gibt es keine Altersheime. Eine einzige Langzeitinstitution existiert im Kosovo. Derzeit werden zwar weitere Altersheime geplant, aber das allein löst das Problem nicht: Es braucht auch Fachkräfte. Deshalb baten der kosovarische Konsul Salih Sefa und der Zürcher Heimarzt Christoph Held die Pflegezentren der Stadt Zürich um Unterstützung.
Das Interesse im Kosovo war gross. 90 Frauen bewarben sich auf die acht Zürcher Praktikumsplätze. Entscheidendes Kriterium dabei waren die Deutschkenntnisse. «Die Sprache war natürlich zentral. In der Pflege können Missverständnisse fatale Folgen haben», sagt Sabrina Gan, Personalverantwortliche im Pflegezentrum Bombach. Anfänglich arbeiteten die Praktikantinnen immer im Team mit einer erfahreneren Pflegefachperson. «Die Frauen haben ungefähr das Ausbildungsniveau einer ‹Fachfrau Gesundheit›», sagt Sabrina Gan.
«Im Kosovo müssen wir viel mehr improvisieren.»
Blendine Leci
Schnell merkten Lecis Vorgesetzte, dass sie die Medikamentenausgabe, das Blutdruckmessen und das Blutabnehmen im Griff hat – und dass die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegezentrums die junge Frau ins Herz geschlossen haben. Bald war sie allein für drei Bewohnende zuständig. «Wenn ich daran denke, dass ich bald nach Hause gehe und diese Menschen nicht mehr betreuen kann, macht mich das traurig», erzählt sie. René Zaugg, oberster Personalchef der zehn Zürcher Pflegezentren, bestätigt: «Auch später, bei der Arbeit, waren wir oft berührt vom Einsatz und vom Pflichtbewusstsein dieser Frauen. Heim-intern habe ich ausschliesslich gutes Feedback bekommen.»
«Technisch ist die Schweiz viel weiter als wir», sagt Leci. Es gebe immer genügend Material. «Im Kosovo müssen wir viel mehr improvisieren. Wenn wir zum Beispiel jemandem Blut abnehmen müssen, fehlen uns Abbindschleifen. Wir behelfen uns dann, indem wir zwei dieser dünnen medizinischen Handschuhe zusammenknüpfen.»
Doch es gibt auch einiges an Wissen, das den Kosovarinnen fehlte. Deshalb besuchten sie verschiedene Weiterbildungskurse. «Wir lernen zum Beispiel die Grundsätze der Kinästhetik – eine moderne Technik, mit der wir auch schwere Personen bewegen, ohne uns den Rücken kaputt zu machen», sagt Blendine Leci. Doch auch im Pflegealltag habe sie profitiert: «Die Schweizer sind unglaublich geduldige Leute. Alle helfen mir, wenn ich Fragen habe.»
Wissensvermittlung ist das oberste Ziel des viermonatigen Praktikums, das Pflegedienstleiter René Zaugg explizit als Entwicklungshilfeprojekt verstanden haben will – auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit im Kosovo ist daran beteiligt. «Wir möchten Wissen vermitteln, damit es dort angewendet werden kann, wo es am dringendsten gebraucht wird.» Bei einer Praktikumsdauer von nur vier Monaten handle es sich primär um eine Investition, sagt Zaugg. Aber eine, die sich auf jeden Fall lohne: «Auch unsere Mitarbeitenden profitieren, weil sie erfahren, wie Berufskolleginnen in weniger privilegierten Ländern arbeiten.»
Blendine Lecis grösster Wunsch ist, zu Hause im Kosovo ihr eigenes Geld zu verdienen. «Hier in der Schweiz hat man alle Möglichkeiten, man muss nur motiviert sein. Daheim findet man keine Stelle, da kann man noch so viel Motivation mitbringen.» Der Aufenthalt in der Schweiz macht ihr trotzdem Mut: «Ich hoffe, dass neue Pflegezentren gebaut werden, wo ich mein Wissen dann anwenden und mittelfristig auch weitergeben kann.»