Wie das Leben so spielt
Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt: Fünf Männer, deren Lebensweg eine unerwartete Wende nahm, erzählen. Finden Sie heraus, welcher Kopf zu welcher Biographie passt?
Veröffentlicht am 5. Januar 2009 - 08:39 Uhr
Von links nach rechts: Markus Studer, 62, ist als Lastwagenchauffeur quer durch Europa unterwegs; Gölä, 40, ist Berner Mundartmusiker - hiess früher Marco Pfeuti; Bruder Magnus, 67, ist seit 1989 Benediktinermönch - hiess früher Marcel Bosshard; Jo Scharwächter, 64, arbeitet für die Heilsarmee und leitet eine Lebensberatung; Guy Morin, 53, ist Regierungspräsident des Kantons Basel-Stadt.
1. Der Sinnsuchende: Auf Anraten guter Freunde sandte mich meine Mutter in die Klosterschule nach Disentis. Die religiöse Umgebung war aber nichts für mich. Mit 16 verliess ich die Kirche voller Verdruss. Ich wollte Grafiker werden wie mein Vater, dessen früher Tod mich stark geprägt hatte. Also besuchte ich die Kunstgewerbeschule in St. Gallen.
Ich wurde schliesslich Geschäftsführer und Creative Director bei Young & Rubicam, der weltweit grössten Werbeagentur, und betreute berühmte Marken auf der ganzen Welt wie Pampers, Meister Proper, Shell, Johnnie Walker oder Camel. Die lila Milka-Kuh ist auch eine meiner Kreationen.
Als ich mal in Zürich einen ehemaligen Schulkollegen, den Journalisten und Schriftsteller Niklaus Meienberg, traf, warf er mir vor, ich verschwende mein Talent für Lächerlichkeiten. Ich solle etwas Nützliches tun, statt Werbung für Waschmittel und Zigaretten zu machen.
Das gab mir zu denken: In meine Karriere hatte ich viel Herzblut investiert. Glücklich hatte mich mein Job aber nicht gemacht. Schwere Depressionen prägten damals mein Leben. Nach aussen war ich ein Topshot. Innerlich hingegen leer und erschöpft.
2. Der Revoluzzer: Die Verfolgung humanitärer Ziele und das persönliche Engagement für unsere Umwelt bereichern mein Leben seit je. Politische Ideologien sind mir jedoch fremd. Als junger Mann habe ich den Militärdienst verweigert – aus religiösen und ethischen Gründen. Es war die Zeit des Kalten Krieges und der atomaren Aufrüstung. Zivilen Ersatzdienst gab es damals noch nicht, also habe ich drei Monate Halbgefangenschaft abgesessen: im Basler Lohnhof. Heute ist das ein Hotel.
Später habe ich mich zusammen mit anderen Ärzten gegen das atomare Säbelrasseln der Grossmächte eingesetzt. 1985 demonstrierten wir mit unseren weissen Arztkitteln gegen die Atomtests der USA. 1990 ketteten wir uns an Platanen im Schützengraben in Basel, um gegen das Fällen einer ganzen Allee zu protestieren. Zur Rechenschaft gezogen wurden wir für die Aktion indes nicht: Es lag keine Bewilligung zum Abholzen der Bäume vor – was uns vor einem Strafverfahren bewahrte.
3. Der Träumer: Ursprünglich wollte ich Autoingenieur werden und in Deutschland arbeiten. Ich entschied mich dann aber doch für Medizin, als mir bewusst wurde, wie wichtig mir die Arbeit mit Menschen ist. Mir schwebte eine Praxis als Landarzt vor – ich landete aber in der Herzchirurgie.
1987 gründete ich das Herz-Zentrum Hirslanden Zürich, wo ich dann lange als selbständiger Herzchirurg arbeitete. An die 4000 Herzen habe ich operiert. Um 6.30 Uhr fuhr ich jeweils in die Klinik, bis acht Uhr Visiten, dann Operationen bis 16 Uhr. Nach weiteren Visiten, Gesprächen und Büroarbeiten konnte es spät werden; ich war kaum je vor 22 Uhr auf dem Heimweg.
Ich liebte meinen Beruf, besonders die Arbeit im Team. Dennoch: Als ich 40 wurde, war mir klar: Die Karriere als Herzchirurg will ich auf dem Höhepunkt beenden – nicht erst mit 65. Und von seinen Träumen soll man sich nie trennen.
4. Der Exzessive: Als ich 16 war, wollte ich Musiker werden. Mein Vater hatte mir jedoch verboten, die Lehre abzubrechen. So habe ich Baumaler gelernt. Die Gitarre blieb mein Hobby und Polo Hofer mein Idol. Ich lebte ziemlich exzessiv damals.
Mit 18 war ich überheblich und dachte, ich sei der Grösste. Ich war «der Elefant im Porzellanladen». Das wurde mir mit 25 fast zum Verhängnis: Als ich eines Morgens aufstehen wollte, stürzte ich immer wieder auf die rechte Seite. Ich dachte, das sei die Folge des vielen Alkohols am Vorabend. Allerdings fand ich es schon seltsam, dass ich mich überhaupt nicht auf den Beinen halten konnte. Die Diagnose im Spital lautete: Schlaganfall.
Ich hatte Glück. Es war «nur» eine Streifung. Nach einer Woche konnte ich das Spital «auf eigenes Risiko» verlassen.
5. Der Reuige: Die Liebe habe ich immer gesucht – aber früher nie erlebt. Mein Vater starb kurz nach meiner Geburt in Stalingrad. Die Alliierten wiesen unsere Familie von den Niederlanden nach Deutschland aus. Ich war ein Problemkind, flog als Zehnjähriger von der Schule. Mit 15 geriet ich auf die schiefe Bahn: Mit zwei anderen Jungs haute ich aus dem Heim ab. Wir hatten Hunger und baten eine Frau um Geld. Sie gab uns ihr Portemonnaie – mit 2 Mark 98. Die Polizei schnappte uns, und ich wurde wegen räuberischer Erpressung verurteilt.
Ich war immer der Sündenbock. Weil mir niemand eine Chance gab, entschied ich mich, Berufsverbrecher zu werden. Ich war noch keine 18, als ich in Frankfurt in Zuhälter- und Entführerkreisen verkehrte. Wegen meiner Brutalität und meiner Skrupellosigkeit war ich gefürchtet. Um meine Hände ruhig zu halten, habe ich täglich zwei Flaschen Wodka getrunken.
Eines Tages kam ich wieder besoffen aus einer Bar und setzte mich ins Auto, obwohl ich nie einen Führerausweis gemacht hatte. Auf einmal stand ein Polizist vor mir – ich drückte aufs Gaspedal: er oder ich. Ich hörte einen dumpfen Aufprall. Der Beamte überlebte schwer verletzt. Als 22-Jähriger wurde ich dafür wegen versuchten Mordes zu neuneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt – acht Jahre Knast habe ich abgesessen.
Auflösung
1. Bruder Magnus
2. Guy Morin
3. Markus Studer
4. Gölä
5. Jo Scharwächter