Das Vorstellungsgespräch verlief erfreulich. Der Zürcher Gastro-Unternehmer Manuel Wiesner und der Bewerber waren sich einig. Bis zum Moment, als Wiesner die Frage stellte: «Wie sieht es mit dem Lohn aus?» Danach war die Stimmung nicht mehr dieselbe.
Wiesner hatte die Situation satt. Zu oft hatte er erlebt, wie sich auf beiden Seiten ein ungutes Gefühl einstellte. Deshalb wälzte er seit Jahren eine Idee: Wieso nicht alle Löhne offenlegen, komplette Transparenz schaffen? Damit entfiele der mühsame Teil des Vorstellungsgeprächs.
Im März 2021 war es so weit. Ein Jahr zuvor hat er mit seinem Bruder Daniel von seinem Vater, dem Zürcher Gastro-Urgestein Fredy Wiesner, das Ruder übernommen. Zu ihrem Imperium gehören 34 Restaurants mit rund 1000 Mitarbeitenden, darunter Ketten wie das Nooch Asian Kitchen, die Sushibars Negishi und die Burgerläden «The Butcher & his Daughter». Den beiden war klar: jetzt oder nie.
Sie gingen mit gutem Beispiel voran und legten ihre Löhne vor der gesamten Belegschaft offen. 245'000 Franken Jahressalär plus 14'000 Franken Bonus. In einem zweiten Schritt folgten die Löhne der Angestellten. Alle sollten den Lohn der anderen einsehen können.
Ihre Aktion sorgte für Schlagzeilen in verschiedenen Medien. Denn in einem Land, das bis vor wenigen Jahren das Bankgeheimnis als unantastbar ansah, ist es tabu, öffentlich über den Lohn zu reden. Wie die politische Überzeugung oder religiöse Einstellungen sind Löhne traditionell Privatsache. Doch daran wird nun gerüttelt.