Das Rüstzeug zum Spitzenkoch
Schluss mit haushälterischem Drill: In modernen Kochschulen wird gebrutzelt, was gut ist, was einfach ist, was schmeckt. Bereits an einem Abend lernt man genug, um später zu Hause eine Freundesrunde kulinarisch zu beglücken.
Veröffentlicht am 23. Mai 2005 - 12:07 Uhr
Das Messer sitzt locker in der Hand, die frischen Kräuter fliegen durch die Küche, die Gäste am grossen Tisch sind glücklich: Spätestens seit Jamie Oliver in den TV-Küchen Einzug gehalten hat, wissen wir, dass Kochen für Freunde hip ist. Doch was, wenn man sogar Spaghetti nur knapp hinbringt? Kochmuffel finden immer wieder neue Ausreden, um sich vor dem Herd zu drücken. Zumindest folgende Ausrede gilt aber nicht mehr: keine Zeit.
Moderne Kochschulen haben sich auf gestresste Berufsleute eingestellt: So genannte Kochabende in kleinen, aber feinen Kurslokalen sind im Trend und eine beliebte Alternative zu Kino, Theater oder auswärts essen. Die Abendkurse sind nicht nur Lern-Events, sondern auch gut gewürzt mit einer Prise Lust: Was gekocht wird, wird auch verzehrt. Nicht im kalten Neonlicht wie früher in der Haushaltungsschule, sondern in gemütlichen und weinseligen Runden am langen Holztisch.
Der widerspenstige Thymian
Aarau, Industriequartier Schachen: Kurz nach Arbeitsschluss versammeln sich in einem gestylten Loft ein Dutzend Erwachsene. Sie sind zwischen 30 und 70 – die Marketingmanagerin, die Hausfrau, der Lehrer. Nach einer Einführung, begleitet von Wein und Häppchen, bilden sich um die angerichteten Zutaten für die einzelnen Gänge – von Gewürznüssen über Muschelsuppe, Gemüsesalat und Ente mit Rhabarberchutney bis zum Amaretti-Semifreddo – kleine Grüppchen. Hack-, Mix- und Blubbergeräusche erfüllen den Raum. Susanne Vögeli, «Cookuk»-Inhaberin, wechselt von Rüstplatz zu Rüstplatz, ruft alle zusammen, wenn irgendwo etwas Spannendes passiert. Und gibt ihr Know-how weiter. «Muss ich eigentlich beim Thymian wirklich jedes Blättchen separat abzupfen?», fragt eine Teilnehmerin. «Nein», sagt Susanne Vögeli. «Das ist sogar mir viel zu mühsam. Einfach den holzigen unteren Teil abschneiden, den Rest mitsamt Stiel verhacken.» Der pensionierte Lehrer Joachim Fausch sagt, was wohl viele denken: «Das höre ich gern. Da hab ich mir doch immer diese Arbeit gemacht mit Abzupfen. Das kann ich mir künftig sparen.»
«Am Herd braucht es noch Handwerk»
Fachsimpeln über Gewürze, über die Art, wie man Karotten schneidet, über Steamer und Glacemaschine. Wie uncool, hätte man noch vor einigen Jahren gedacht. Auch Kursleiterin Vögeli hat zwar immer gerne gekocht, wollte aber beruflich nicht ins Metier einsteigen – «weil es damals so verstaubt war, so typisch weiblich und hausmütterlich». Über Umwege landete sie trotzdem am Herd – und findet sich heute in einer Domäne wieder, die trendiger fast nicht sein könnte. Wieso ist Kochen plötzlich auf allen TV-Kanälen und sogar am Stammtisch Gesprächsstoff? Susanne Vögeli glaubt, dass die Faszination in der Gegenwelt zum unsinnlichen, immateriellen Alltag vieler Menschen liegt: «Am Herd braucht es noch Handwerk. Die Sinne werden belebt, man riecht, man schmeckt.»
Die Frankfurter Kochprofessorin Onno Faller erklärt die Essenszubereitung gar zur Kunst und sagt: «Kochen gibt die Möglichkeit, sich in einem eigenen Werk zum Ausdruck zu bringen.» Dass allerdings seine Kursteilnehmer in erster Linie an Kunst denken, glaubt Thomas Spycher nicht. Er ist Chef von «Chuchiart» in Zürich-Oerlikon. Er glaubt, dass die Kochinteressierten auch einen Ausgleich zum Fastfood sehen: «Viele wollen sich bewusst wieder frischer ernähren, mehr geniessen.»
Auf dem Vormarsch sind aber auch so genannte Convenience-Produkte, also vorgekochte Menüs, die man im Supermarktregal findet. Steht das nicht in einem Widerspruch zum viel gepriesenen Revival des Selberkochens? Nein, meint Susanne Vögeli: «Unter der Woche ist der Hunger vielleicht manchmal stärker als das Bedürfnis, Frischkost selber zuzubereiten. Das Selberkochen wird dann zum Beispiel am Wochenende zelebriert. Es ist für viele mehr Freizeitbeschäftigung denn Überlebensmassnahme.» In modernen Kochkursen geht es denn auch kaum um Nährstoffgehalt und Vitamine. «Das hat sich in den zwölf Jahren, in denen ich das ‹Cookuk› habe, klar gewandelt», sagt Susanne Vögeli. «Auch ich selber habe gemerkt: Genussfähigkeit ist ein grosser Bestandteil des Wohlbefindens. Darum sind meine Kurse viel weniger didaktisch und viel lustvoller geworden.»
Da kann jeder mitreden
Diese Lockerheit zeigt sich bereits an der Art, wie heutige Kochschulen eingerichtet sind. Viele locken mit Garten und natürlich mit gestylten Küchen, von denen viele Hobbyköche nur träumen können. Das «Cookuk» wurde vor kurzen umgestaltet, vergrössert und bietet bis zu 60 Köchen und Essern Platz. Sogar ganze Hochzeitsgesellschaften verlegen ihre Tafelrunden ins Aarauer Industriequartier, wie Susanne Vögeli ihren Kochschülern erzählt, die mittlerweile am grossen Tisch die durchwegs gelungenen Speisen geniessen. Viele aus der Runde sind Stammgäste. So auch Renate Göldi, 40, die heute Abend zwei Freundinnen eingeladen hat – als Geburtstagsgeschenk zum Vierzigsten. Die drei Hausfrauen sind gerade rege in ein Gespräch über Rezepte und Kochtricks verwickelt – mit Marketing-Managerin Manuela Reik, die vor ein paar Stunden allein angereist ist. «Allein in so einen Kochkurs zu gehen ist überhaupt kein Problem», sagt sie. «Ich kann es nur empfehlen.»
Das frische Image der frischen Küche hinterlässt nicht nur im Privaten Spuren. Salonfähig ist es auch geworden, Firmenessen vom Restaurant in die Kursküche zu verlagern. Sogar in Manager- und Teambildungsseminaren wird neuerdings der Kochlöffel geschwungen. Was passiert, wenn der Chef Karotten schnippelt und der Stift die Kochmütze trägt? «Die Leute reden plötzlich über Gott und die Welt», sagt Thomas Spycher. Beim Kochen könne halt jeder mitreden. In den letzten Jahren haben sich bei «Chuchiart» vor allem Anfragen aus Unternehmen gehäuft, die Umstrukturierungen hatten und Abteilungen neu zusammenwürfelten. Der Kursleiter: «Da geht es dann vor allem ums Kennenlernen innerhalb eines neuen Teams.»
Doch zurück an den heimischen Herd – ehemals die weibliche Domäne. Hat sich da etwas geändert? Schon, wie mehrere Kochlehrer bestätigen. Aber die Mehrheit der Schulungswilligen sind noch immer Frauen. «Männer», weiss Sämi Räss von der renommierten Zürcher Kochschule «La Cuisine», «lassen sich nicht so gern anleiten, haben Mühe, etwas zu lernen von einem Lehrer.» Frauen seien für neue Erkenntnisse viel offener. Allerdings hat sich das Kochen auch bei den Männern zum beliebten Gesprächsthema gemausert. «Das hat heute fast den Stellenwert des Fachsimpelns über Weine», sagt Susanne Vögeli. Auch Kultfiguren wie ein Jamie Oliver hätten dazu einiges beigetragen.
Wohl mit ein Grund, dass im Anfängerkurs von «Chuchiart» das Geschlechterverhältnis etwa ausgeglichen ist. Eine Blösse geben muss sich an diesem Abend mit dem sinnigen Namen «Hilfe, meine Wohnung hat eine Küche» niemand – trotz anspruchsvollem Menü: lauwarmer Bohnensalat, Pangasiusfilet an Orangensauce, Poulardenbrüstchen an Balsamicosauce, Tarte au vin. Geschickt streut Küchenprofi Thomas Spycher Tipps in seine Ausführungen: Den Ofen, den man für das Garen der Poulardenbrüstchen auf 130 Grad heizt, «den nutzt ihr natürlich grad, um die Teller zu wärmen. Denn kalte Teller sind ein Graus.» Aber, fügt Spycher an, «das würdet ihr ja nie machen, ein gutes Essen auf kalten Tellern servieren. Oder?» Das verschmitzte Lachen aus der Kochkursrunde bestätigt: Ein Grossteil würde es natürlich genau so machen.
Die drei goldenen Gastgeberregeln
Doch kalte Teller sind nicht das Schlimmste, was man Gästen auftischen kann. Thomas Spycher zu den goldenen Regeln für eine gelungene Einladung: niemals ein Menü wählen, das zu kompliziert ist. Und natürlich eine gute Mise-en-place – zu Deutsch: alles so weit vorbereiten, wie es geht. Die «goldenste» Gastgeberregel fassen Susanne Vögeli und Thomas Spycher quasi in dieselben Worte: «Gelassenheit. Denn ein gutes Essen, das von einem gestressten Koch, einer gestressten Köchin serviert wird, verdirbt jedem den Appetit.»
Konkret heisst das auch, besser mal ein Fertigdessert zu kaufen, als eine halbe Stunde in der Küche zu stehen und die Gäste allein sitzen zu lassen, lernen die Kursteilnehmer im «Cookuk». An einem Kochabend erfährt man also auch, wann es angesagt ist, nicht selber zu kochen.