Es wird eng auf dem See
Immer mehr Wassersportarten finden ihren Weg auf die Schweizer Gewässer, auch Kitesurfen. Ruderer und Fischer sind wenig begeistert. Doch ist der Konflikt mit einfachen Regeln lösbar.
Veröffentlicht am 15. März 2013 - 17:26 Uhr
Kitesurfen soll auf Schweizer Seen nicht länger verboten sein. Das Parlament will die Drachensegelbretter den anderen Wassersportarten gleichstellen. Eine gute Sache, aber auch ein Verkehrsteilnehmer mehr, der seinen Raum einfordert – neben Kursschiffen, Schwimmern, Schlauchbooten, Ruderbooten, Seglern, Motorbooten, Wasserski- und Wakeboardfahrern, Surfern, Stand-up-Paddlern und Anglern.
Damit dieses Nebeneinander möglichst reibungslos funktioniert, gibt es nationale, kantonale und kommunale Gesetze, dazu die Charta der Wassersportverbände (siehe nachfolgende Box: «Der Knigge fürs Wasser») sowie eine Reihe von lokalen Abmachungen und Gentlemen’s Agreements.
Diese Absprachen unter Wassersportlern haben ihre Vorbilder dort, wo Wassersport eine noch viel grössere Bedeutung hat als bei uns: Auf Hawaii sind zum Beispiel gewisse Tageszeiten für Windsurfer oder Wellenreiter reserviert – und manche Wellen gehören grundsätzlich den Einheimischen. Wer sich nicht erkundigt oder die Spielregeln verletzt, riskiert Prügel oder aufgeschlitzte Autopneus.
Auch in der Schweiz gibt es immer wieder Konflikte. Angler befürchten, dass Surfer und Kiter in ihrem Silch hängenbleiben, und Schwimmer denken, der See gehöre ihnen allein. «Es gibt zum Beispiel immer wieder Schwimmer, die der festen Überzeugung sind, sie würden von weitem gesehen und die Kursschiffe hätten ihnen grossräumig auszuweichen», sagt André Graf von der Zürcher Seepolizei. «Aber es ist eine klare Minderheit, die Probleme und gefährliche Situationen verursacht; die meisten Wassersportler verhalten sich durchaus vernünftig.»
Nicht nur neuere Erscheinungen wie Kiten oder Wakeboarden sorgen für mehr Sportler pro Quadratkilometer Wasser; auch das gute alte Rudern wird immer populärer. «Es hat sich herumgesprochen, dass Rudern eine der gesündesten Sportarten überhaupt ist», sagt Ursula Wehrli vom Schweizerischen Ruderverband. «Auf allen Schweizer Seen hat die Frequenz der Ruderboote in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen.»
Die letzte Änderung der Binnenschifffahrtsverordnung schreibt vor, dass ab 300 Metern Entfernung vom Land ein sogenanntes Einzelrettungsmittel mitgeführt werden muss – also eine Rettungsweste oder ein Rettungsring. Das ärgert vor allem die Stand-up-Paddler, deren riesengrosse Bretter ohnehin schon viel Auftrieb haben: An vielen Meeresstränden mit hohem Wellengang werden Surfbretter als Lebensrettungshilfen eingesetzt, die Fernsehserie «Baywatch» lässt grüssen.
Auch die Leistungssport-Ruderer haben wenig Freude daran, eine Schwimmweste tragen zu müssen, weil diese sie beim Training eher behindert. Die Breitensportler sind da weniger heikel: «Die Fitnesssportler hingegen haben sich gut und schnell an die neuen Vorschriften gewöhnt», sagt Ursula Wehrli. Natürlich lässt sich die Schwimmwestenvorschrift recht leicht umschiffen: Paddelt oder rudert man dort, wo der See nicht breiter ist als 600 Meter, darf man ohne Weste aufs Wasser.
Christian Müller, ein Schweizer Wassersportler der ersten Stunde, hat ein gewisses Verständnis für diese Vorschriften. Vor 35 Jahren war er einer der ersten Windsurfer auf dem Zugersee. «Damals war ich ein Exot, und es kam niemandem in den Sinn, Vorschriften zu erfinden. Aber heute, wo so viele Leute auf ein Brett steigen, die keine Ahnung vom See und vom Wetter haben und vielleicht nicht einmal schwimmen können, braucht es das sicher. Natürlich kommt einem Windsurfer, der jahrzehntelang ohne Schwimmweste unterwegs war, die Schwimmwestenpflicht absurd vor. Aber man kann ja nicht kontrollieren, dass sich nur Leute Surfbretter ausleihen, die schwimmen können.» Müller lebt heute im Baselbiet, surft auch auf dem Rhein und ist Organisator der Veranstaltung «Engadinwind Best of 3» auf dem Silvaplanersee: Kiter, Windsurfer und Segler treten gegeneinander an. Das weltweit einzigartige Rennen dieser Art zeigt, dass die Wassersportprofis nichts gegeneinander haben, sondern den direkten Vergleich äusserst reizvoll finden und auch von den Entwicklungen in den verwandten Sportarten profitieren, um so ihr eigenes Gerät weiterzuentwickeln.
Diesen Respekt spürt man im Alltag auf dem relativ kleinen Silvaplanersee, der wegen des Malojawinds das Eldorado der Surfer und Kiter ist. Hier gilt die Abmachung, dass der untere Teil des Sees die Kite-Zone ist, der obere den Surfern vorbehalten – und sich die Segler vor allem ganz oben aufhalten. «Natürlich gibt es immer wieder Überschneidungen. Wenn einer seinen Sport beherrscht und Respekt für die anderen hat, ist das kein Problem, man kann einander ausweichen», sagt Surfer Müller. «Lästig sind Anfänger, die sich nicht an die Spielregeln halten und so für sich selber und andere zum Risiko werden.»
«Klar, als das Kiten aufkam, hatten wir Windsurfer Angst, man würde uns den Kopf abreissen», sagt Mario Ballabio, der sieben Jahre lang als Profisurfer um die Welt reiste und seit kurzem eine kleine Surfschule in Thalwil ZH betreibt. Früher habe es unter Wassersportlern viel Konkurrenz gegeben, nicht nur in der Schweiz: «Es gab viele böse Buben in der Szene, Streitigkeiten und Handgreiflichkeiten.» Doch inzwischen geht der Trend in die Gegenrichtung: Junge Sportler wie der 20-jährige Hawaiianer Kai Lenny nennen sich nicht mehr Surfer oder Kiter, sondern einfach «Watermen» – je nach Wind und Wellen sind sie mit Surfbrett, Kite-Segel oder Stand-up-Brett unterwegs. Mario Ballabio sieht in diesem Trend nur Positives: «Mit ein bisschen Kopf und Vernunft haben wir alle Platz auf dem Wasser.»
Björn Dunkerbeck, 41-facher Weltmeister im Windsurfen und mit einer Geschwindigkeit von 98,91 Kilometern pro Stunde einer der schnellsten Windsurfer aller Zeiten, kam in Dänemark zur Welt, wuchs auf Gran Canaria auf und lebt heute zeitweise in Silvaplana. «Seit ich 1978 angefangen habe, hat sich vieles verändert», sagt er. «Es gibt viel mehr Wassersportarten und viel mehr Wassersportler. Natürlich entstehen daraus auch Platzprobleme.»
Auch Dunkerbeck betont, dass es vor allem die Anfänger sind, die ein erhöhtes Unfallrisiko haben: «Wenn 10 oder 20 Leute auf dem Wasser sind, ist es kein Problem. Aber sobald es viele sind und vor allem sobald es Anfänger darunter hat, wird es oft gefährlich.» Er begrüsst die Tatsache, dass man sich auf dem Silvaplanersee an die Zoneneinteilung hält: «Wenn zwei Sportler mit Tempo 30, 40, 50 in einen Unfall verwickelt werden, wird es rasch schmerzhaft. Deshalb ist es sinnvoll, Zonen einzuteilen, damit möglichst keine gefährlichen Situationen entstehen.»
Philipp Knecht, Präsident des Kitesurfclubs Kitegenossen, geht einen Schritt weiter: «Natürlich haben sich Material und Sicherheit massiv verbessert, seit die ersten Kiter vor zehn, zwölf Jahren auf Schweizer Seen auftauchten.» Trotzdem ist für das sichere Ausüben der Sportart eine solide Grundausbildung nötig, wie sie die International Kiteboarding Association oder der Wassersportverband VDWS anbieten. Wer die Prüfung besteht, erhält eine Lizenz, «die sinnvollerweise Voraussetzung sein sollte fürs Kiten auf Schweizer Seen, ähnlich wie beim Tauchen oder Gleitschirmfliegen», sagt Knecht.
Im Übrigen ist der Kitegenosse Knecht aber der Meinung, dass vieles, was gegenwärtig heftig diskutiert wird, ein Sturm im Wasserglas sei: «In den Köpfen vieler Leute hält sich hartnäckig das Bild, auf dem See seien Kursschiffe, Ruderboote, Fischer, Schwimmer, Kinder und dann noch die Surfer und Kiter», sagt er. «Das ist ein Irrglaube. Kiter brauchen mindestens vier Beaufort Wind – und bei meterhohen Wellen schwimmen keine Kinder mehr im See, und Angler sind dann auch keine draussen. Eigentlich kommen wir alle problemlos aneinander vorbei.»
Nach dem Unglück auf dem Bielersee im Sommer 2010, bei dem eine Schlauchbootfahrerin zu Tode kam, rief der Schweizer Bootbauer-Verband acht Wassersportverbände an Bord, damit solche Unfälle in Zukunft vermieden werden können. Gemeinsam erarbeitete man die Charta der Wassersportverbände, die auf Anstand, Toleranz und Respekt setzt. In einzelnen Punkten richtet sich die Charta spezifisch an alle Gruppen von Wassersportlern, die traditionellen, die trendigen und die exotischen: Schwimmer, Badegerätbenutzer, Segler, Ruderer, Motorbootfahrer, Wasserski- und Wakeboard-Piloten, Schleppangelfischer, Surfer und Kiter, aber auch an die Bootswerften, Segel- und Motorbootschulen.
Die wichtigsten Punkte, die für alle Wassersportler gelten
- Gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber allen anderen Gewässerbenutzern.
- Selbst- und Mitverantwortung durch sinnvolle Aus- und Weiterbildung.
- Der Verzicht auf Alkohol und Drogen.
- Die Einhaltung von Regeln, auch wenn zum Führen des Wasserfahrzeugs kein Führerausweis notwendig ist.
- Einwandfreier Zustand und regelmässige Wartung der Sportgeräte.
- Das Sauberhalten von Gewässern.
Die Charta der Wassersportverbände zum Downloaden:
www.motorboot-schweiz.ch (PDF)