Nach einem Wettkampf schlafe ich in der Nacht meistens schlecht. Nach meinem Sieg in Lensahn, wo ich mir mit einer Zeit von 33,5 Stunden den Weltmeistertitel im dreifachen Ironman geholt habe, habe ich vielleicht vier Stunden geschlafen. Am nächsten Morgen bin ich als Erstes für einen Augenschein zurück zur Laufstrecke gegangen – der letzte Teil des Triathlons wird in Runden absolviert, und da ich so schnell im Ziel war, waren viele meiner Konkurrenten zu diesem Zeitpunkt noch unterwegs. Dabei ist «Konkurrenten» eigentlich eine falsche Bezeichnung: Natürlich treten wir gegeneinander an, und natürlich möchte jeder schneller sein als der andere. Doch wir feuern uns gegenseitig an, sprechen uns Mut zu, wenn jemand einen Durchhänger hat. Ein Wettkampf über diese Länge wird zu 80, 90 Prozent im Kopf entschieden. Von mir sagt man, dass ich gut leiden kann. Schmerzen haben sowieso alle.

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Wie auf fremden Füssen

Es sind vor allem die Waden, die ich am Tag nach dem Wettkampf spüre. Wenn ich herumgehe, in Bewegung bleibe, merke ich wenig. Auch die Treppen zu unserer Wohnung hinauf habe ich ganz gut bewältigt. Bloss wenn ich eine Stunde lang irgendwo sitze, macht es mir danach Mühe, aufzustehen und in die Gänge zu kommen. Ausserdem habe ich aufgedunsene Füsse, obwohl es nicht mehr so schlimm ist wie früher, als wir noch keine Kompressionsstrümpfe trugen für die Wettkämpfe. In ein schönes Paar Lederschuhe käme ich im Moment nicht hinein. Ich trage einfach Flipflops oder gehe barfuss. Die Wölbung meiner Fusssohlen ist völlig zugeschwollen. Das ist ein seltsames Gefühl, als ginge man auf fremden Füssen. Der Nagel der kleinen Zehe wird wohl abfallen; der hängt nur noch an der Blase, die sich drüberwölbt.

Alles in allem bin ich aber sehr zufrieden mit meinem körperlichen Zustand. Ich hatte einige Tage vor dem Wettkampf üble Magenbeschwerden. Das ist etwas vom Schlimmsten für einen Ausdauerathleten: Wenn man nichts zu sich nehmen kann, kann man auch nichts leisten. Auch mit Energydrinks, Riegeln und Gels bekommt der Körper zu wenig. Er verbraucht zuerst alle verfügbaren Kohlehydrate, und irgendwann fängt er dann an, die Eiweissreserven anzuzapfen. Das bedeutet Muskelabbau. Wegen der Magenprobleme befürchtete ich erst, gar nicht starten zu können. Dabei war der Triple in Lensahn als Saisonhöhepunkt geplant. Im Vorfeld dachte ich, ein Rang in den Top Five könnte drinliegen; als der Wettkampf näherrückte, realisierte ich, dass sogar ein Podestplatz in Reichweite lag. Dass ich schliesslich gewonnen habe, hat mich dann doch überrascht, noch dazu mit zwei Stunden Vorsprung auf den Zweiten. Das wäre mit Magenproblemen nie und nimmer möglich gewesen. Nach dem Sieg habe ich auch sofort den Arzt angerufen, der mir die richtigen Medikamente gegeben hat, und mich bei ihm bedankt. Man muss aufpassen, viele Arzneimittel stehen auf der Dopingliste.

Getrunken habe ich am Tag nach dem Rennen sicher fünf oder sechs Liter, dabei musste ich kaum aufs WC. Der Körper hat alles gebraucht. Ich habe auch ziemlich viel gegessen. Unmittelbar nach dem Rennen eine Currywurst mit Pommes, am nächsten Tag dann Würstli und Speck mit Spiegelei und Rösti, danach einen Salatteller und zum Abschluss noch einen Hamburger. Nach 33 Stunden mit Flüssignahrung und Energygels freut man sich unglaublich auf etwas zum Beissen. Mein Körper hat Salz und Fett eingefordert, und ich weiss aus Erfahrung, dass es schon in Ordnung ist, dem nachzugeben. Salat ist etwas, worauf ich mich immer unglaublich freue. Pasta ist in dem Moment das Letzte, was man auf dem Teller haben möchte.

Es gibt 99 Gründe, um aufzugeben

Wenn ich wüsste, dass bald ein nächster so langer Wettkampf anstünde, hätte ich vielleicht keine Currywurst gegessen, sondern stattdessen spezielle Drinks getrunken, die die Regeneration fördern. Aber da ich schon vor einer Weile beschlossen habe, nach diesem Triple Ironman kürzerzutreten, habe ich es nicht so genau genommen. Diese Sinnfrage stellt man sich natürlich nicht am Tag nach dem Wettkampf, da ist man einfach nur euphorisch und auch sehr beschäftigt, weil es so viel Material zu transportieren, Kollegen zu informieren, Dankes-SMS zu schreiben gilt. Während des Rennens hat man ja genug Zeit, sich über Sinn und Unsinn Gedanken zu machen. Ich sage immer, es gibt 99 Gründe, aufzugeben, aber nur einen zum Weitermachen.

Ich arbeite als Schreiner, normalerweise 80 Prozent, vor dem Triple Ironman habe ich auf 70 Prozent reduziert. In meiner Freizeit mache ich seit etwa vier, fünf Jahren nichts anderes als trainieren. In letzter Zeit ist es mir immer wieder passiert, dass ich vom Velo aus Leute in Cafés sitzen sah, Familien, die zusammen spazieren gingen. Da ist mir klargeworden, dass ich zwar unglaublich gerne Sport treibe – ich glaube, ich könnte ohne Sport nicht leben –, dass mir aber die viele Zeit, die ich ins Training investiere, irgendwo anders fehlt. Ich möchte auch wieder einmal mit meiner Freundin Andrea in einem Gartenbeizli sitzen und einen Kaffee trinken. Deshalb haben wir gemeinsam beschlossen, dass ich vorläufig nur noch kürzere Wettkämpfe absolvieren werde. Für einen Ultrasportler bin ich mit meinen 35 Jahren ja noch jung, ich habe noch viel Zeit.