Null PS, viel Spass
Seit mehr als 100 Jahren faszinieren Seifenkisten kleine und grosse Kinder. Letztere stecken oft Tausende von Franken und Arbeitsstunden in ihre fahrbaren Untersätze.
Veröffentlicht am 15. März 2013 - 17:26 Uhr
Gut 80 Jahre ist es her, seit in der Schweiz das erste aktenkundige Seifenkistenrennen stattgefunden hat. Die Ursprünge finden sich in Oberursel im deutschen Bundesland Hessen, wo 1904 die ersten Rennwagen aus Holz gebastelt wurden, die in «Kinderautomobilrennen» gegeneinander antraten. Ihren heutigen Namen bekamen die Gefährte aber erst rund 30 Jahre später: Eine US-Seifenfabrik liess die Umrisse eines Kinderautos auf ihre Verpackungskisten drucken, der Name «soap box» war geboren. Schon bald wurden in den USA die ersten Soap Box Derbys ausgetragen. In Deutschland wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Rennen gefahren. Amerikanische Besatzungstruppen hatten die Seifenkisten wieder zum Leben erweckt.
Eine Kiste, zwei Achsen, drei Bretter, vier Räder: die Seifenkiste in ihrer simpelsten Form
Als Kind bastelt man irgendwann einmal eine Seifenkiste, mit Hilfe des Vaters, des grossen Bruders oder ganz allein. Zwar gibt es inzwischen gute und auch relativ günstige fertige Modelle, aber Marke Eigenbau macht am meisten Spass. Auch wenn in der ersten Kurve ein Rad davonrollt – beim nächsten Versuch hält alles besser. Und an den Lachkrampf nach dem Sturz wird man sich noch lange erinnern.
Das Internet ist eine Fundgrube für Seifenkistenbastler: Musste man früher diplomatisch die alternde Nachbarin fragen, ob sie ihr Velo denn wirklich noch benütze, oder eine junge Mutter suggestiv über die Gehfortschritte des Nachwuchses und die Nachfolgeregelung für den Kinderwagen aushorchen, kann man heute auf Online-Plattformen vieles spottbillig erstehen.
Fürs Holz allerdings lohnt sich nach wie vor der Gang in ein Holzlager, zu einem Bauunternehmer oder Tischler. Sägewerkabfall hingegen ist nicht geeignet, da das Holz oft noch sehr jung ist.
Für die einfachste Form der Seifenkiste braucht es wenig: eine Holzkiste als Sitz, drei Bretter, vier gute Reifen und ein dickes Seil für die Steuerung. Für alles Weitere gilt: phantasieren oder abkupfern.
Wer allerdings nicht nur für den Heimgebrauch bastelt, sondern an Rennen teilnehmen will, muss sich um die Vorschriften kümmern, die vor allem der Sicherheit dienen. Die ersten Schweizer Vorschriften und Richtlinien für den Bau von Seifenkisten und die Durchführung von Rennen stammen aus dem Jahr 1970, herausgegeben von Rivella und General Motors. General Motors zog sich bald wieder zurück, doch Rivella hatte für Jahre das Patronat der Schweizer Meisterschaften.
Heute gibt es in der Schweiz mehrere Vereine, die Rennen organisieren. Die beiden wichtigsten sind der Schweizerische Seifenkistenverein (SSK), bei dem schon Kinder ab sieben mitmachen können, und der Schweizerische Speed Down Verein, der sich eher an ambitionierte Fahrer richtet und Ende Juli dieses Jahres die Europameisterschaften im basellandschaftlichen Wittinsburg veranstaltet.
Mitglied in beiden Vereinen ist der Mechaniker Markus Müller aus Allschwil BL. Beim SSK ist er technischer Delegierter; er überprüft die Kisten der Vereinsmitglieder. Bei den SSK-Rennen dürfen alle nach den Sicherheitsregeln gebauten Seifenkisten mit einem Maximalgewicht von 70 Kilo mitfahren. «Heute muss eine Seifenkiste Überrollbügel, Scheibenbremsen und Dreipunktgurte haben», sagt Müller – zur Sicherheit der Fahrer.
Markus Müller ist ein Seifenkistenbauer mit Leib und Seele. Wie viele Stunden Arbeit in seiner einem VW Golf nachempfundenen Seifenkiste stecken, weiss er nicht: «Bei 3000 Stunden habe ich aufgehört, mitzuzählen.»
Es gibt zwar auch die Möglichkeit, für rund 3000 Franken in Tschechien eine absolut renntaugliche Seifenkiste zu bestellen, aber manche Eigenbau-Gefährte sind gut und gern 15000 Franken wert. «Eigentlich ist mein Golf schon lange fertig», sagt Markus Müller, der letztes Jahr an den Schweizer Meisterschaften Zweiter wurde. «Aber ich finde immer wieder irgendetwas, was ich verbessern oder verschönern möchte. Und dann baue ich halt auch immer wieder kleine Unfälle, die Reparaturen nötig machen.» Er selbst hat sich nie mehr als ein paar Prellungen eingefangen. Und das bei mehr als 20 Renneinsätzen pro Jahr. Müller hat sich eigens einen Bus zugelegt, in dem er seinen «Golf» transportiert, aber auch gleich übernachtet, wenn am selben Wochenende Rennen in zwei verschiedenen Ecken der Schweiz stattfinden.
Dort trifft er jeweils auch die Fischers aus Winterthur. Martin Fischer, 24 und Landmaschinenmechaniker, hat auch seine Eltern und Schwestern für sein Hobby begeistert. «Ich war als Achtjähriger mit dem Vater an einer Spielzeugmesse und verguckte mich dort in eine Seifenkiste. Da meinte der Vater trocken: ‹Dann musst du halt anfangen zu sparen.›»
Klein Martin gehorchte – und gehört 16 Jahre später zu den 30 schnellsten Seifenkistenfahrern Europas. Er reist im Sommer dem Europacup nach. Obwohl seine Eltern auch an Rennen teilnehmen, ist dieses Niveau dem Sohn vorbehalten: «Ich bin schon froh, dass die Mutter nicht genau weiss, wo ich überall hinunterfahre.»
Seifenkistenrennen brauchen abschüssige Strecken. Je steiler die Piste, desto wichtiger sind Hindernisse, die den Speed reduzieren, und Strohballen, die bei allfälligen Kollisionen dämpfen. Martin Fischer ist Rennkoordinator beim SSK und weiss, wie viel Aufwand das bedeutet: «Man muss die Strecke aussuchen, alle Gesuche einholen, Anwohner informieren, Strassen sperren und das ganze Material an- und wieder abtransportieren.» Die steilste Rennstrecke hatte ein Gefälle von 18 Grad. Was braucht es, um eine solche Strecke zu meistern? Markus Müller überlegt nicht lang: «Eine Ahnung von der Ideallinie, Fahrtechnik – und vor allem ziemlich viel Mut.»