Am Ende ein Fiasko
Bei der letztjährigen KV-Abschlussprüfung fiel die Hälfte der Absolventen der Privatschule Academia Euregio Bodensee in Romanshorn TG durch. Kein Wunder: Bund und Kantone lassen private Anbieter an der langen Leine.
Veröffentlicht am 5. April 2007 - 10:28 Uhr
Die 24 Absolventen des Touristik-Colleges der Academia Euregio Bodensee (AEB) in Romanshorn erlebten an der letztjährigen Thurgauer KV-Lehrabschlussprüfung ein Fiasko: Die Hälfte fiel durch. Reto Ammann, Co-Leiter der AEB, spricht von einem Schock. Es war eine miserable Quote - im Kantonsdurchschnitt erhielten 95 Prozent der Prüflinge ihr Diplom als Kauffrau/Kaufmann.
Die verzweigte Privatschulgruppe, aufgebaut vom Ex-Reallehrer Peter Fratton, hatte bisher einen guten Ruf genossen. Allerdings gab es auch Warnsignale. Weil die Schule mit dem eidgenössischen Fähigkeitsausweis zum Touristikkaufmann warb, intervenierte das kantonale Amt für Berufsbildung mehrfach. Eine solche Ausbildung existiert offiziell nicht. Trotzdem liess man die AEB gewähren - beaufsichtigt werden nur nach kantonalem Berufsbildungsgesetz anerkannte Schulen. Eine Akkreditierung wurde im Sommer 2005 abgelehnt, aber der AEB für später in Aussicht gestellt: «Wenn die Ergebnisse der Lehrabschlussprüfungen 2006 und 2007 ausgewertet sind und mit den schulinternen Noten verglichen werden können.»
Als Hauptgrund für das Fiasko nennt Ammann die Prüfungsbedingungen. Man habe bei den AEB-Kandidaten - anders als bei den Absolventen der öffentlichen Berufsschule - die Erfahrungsnote nicht berücksichtigt. Zudem sei nur von seinen Lernenden eine siebenstündige Fallstudie verlangt worden. Die Prüfungskommission habe «wenig Interesse für eine wie auch immer geartete Konkurrenz aufgebracht».
Wurde die Privatschule bei der Lehrabschlussprüfung unfair behandelt? «Ganz klar nein», sagt Franz Knupp vom Thurgauer Amt für Berufsbildung. Tatsächlich war es lange Zeit mangels Unterlagen ungewiss, ob man die Lernenden der AEB überhaupt zur Lehrabschlussprüfung zulassen konnte. Ein Jahr vor Abschluss gab der Kanton dann grünes Licht, vorerst für die Prüfungen 2006 bis 2008. Im Entscheid dazu hiess es aber, man werde «keine schulinternen Prüfungselemente oder Erfahrungsnoten zur Berechnung der Prüfungsresultate berücksichtigen». Die Spielregeln waren also klar. Ausbaden müssen den Reinfall nun die zwölf AEB-Lernenden, die ein zweites Mal zur Abschlussprüfung antreten. Alle Rekurse wurden abgelehnt.
«Ärgerbonus» für frustrierte Eltern
Warum nehmen die Eltern die AEB nicht in die Verantwortung? Die Ausbildung ist mit Kosten von 3'900 bis 4'100 Franken pro Quartal nicht billig. Hauptgrund fürs Stillhalten dürfte sein, was Co-Leiter Ammann so formuliert: «Wir haben allen Eltern, die dies wünschten, einen Ärgerbonus rückerstattet. Damit wollten wir uns für die Führungsschwierigkeiten entschuldigen, die wir anfänglich mit der Umsetzung des Konzepts hatten.» So wurde etwa der Lehrkörper am Touristik-College innert zweier Jahre zweimal ausgewechselt.
Die Lernenden waren dabei Versuchskaninchen. So begann eine AEB-Schülerin ein Hotelpraktikum im chinesischen Changchun, das sich zum Horrortrip entwickelte. Die 20-Jährige sollte als Anfängerin das Personal schulen, wurde von liebeshungrigen Gästen bedrängt, und in der Hotelbar prostituierten sich Minderjährige. «Das Praktikum war in diesem Fall ein Fehler und ist auch äusserst ungünstig verlaufen», räumt Ammann ein.
Vertrauen ist gut, Kontrolle gibts nicht
Privatschulen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Gewerbefreiheit und staatlicher Kontrolle. Wie der Ende 2006 verabschiedete Bericht des Bundesrats zur Akkreditierung von Privatschulen zeigt, wird dabei die Gewerbefreiheit höher gewertet: «Für eine spezielle Regelung zur Anerkennung von Privatschulen besteht aus Sicht des Bundesrats kein Bedarf.»
Dies, obwohl der Bericht für die letzten elf Jahre total 108 Problemfälle an 32 Privatschulen dokumentiert. Es geht um mangelnde Unterrichtsqualität, betrügerisches Geschäftsgebaren und unlautere Werbung, etwa für international wertlose Diplome im Hotelfach. In elf Fällen kam es zu Schliessungsverfügungen und Konkursen.
Die Landesregierung spielt den Ball den Kantonen zu. Diese sollten ihren Handlungsspielraum bei Aufsicht und Genehmigung von Privatschulen «koordiniert ausnutzen». Beim bestehenden Bildungsföderalismus ein frommer Wunsch: Einige wenige Kantone stellen alle Schulen unter staatliche Aufsicht, andere beschränken die Aufsicht über private Ausbildungsstätten auf Angebote für die obligatorische Schulzeit. Kontrolliert wird bei weiterführenden Schulen nur, ob die Räumlichkeiten geeignet sind. Schulleiter und Lehrer müssen ihre Qualifikation nicht nachweisen.
Gemäss Bundesamt für Statistik besuchen 5,2 Prozent aller Lernenden eine nicht subventionierte Privatschule. Das sind rund 77'000 Schüler, Lehrlinge und Studierende. Besorgt ums Image, haben der Verband schweizerischer Privatschulen (VSP), einige Partnerorganisationen und Wirtschaftsverbände letzten Sommer die Stiftung Privatschulregister Schweiz lanciert. Erst 16 Schulen sind dabei; der VSP vertritt 260. Wer ins Register will, muss ein anerkanntes Qualitätssicherungssystem haben, eine Bewilligung des Standortkantons besitzen sowie Ausbildungsverträge und Werbeunterlagen einreichen. Das Controlling basiert allerdings grösstenteils auf dem Vertrauensprinzip. «Jede unseriöse Schule ist eine zu viel», steht auf der Homepage des Schulregisters. Wie wahr.
Buchtipp
Irmtraud Bräunlich Keller: «So klappts mit der Lehre». Lehrstellensuche, Rechte am Arbeitsplatz, 136 Seiten, 2006, Fr. 20.00 (für Abonnenten Fr. 16.-)