Design verbindet Generationen
Die jungen Kreativen Debora Biffi und Benjamin Moser entwickeln zusammen mit Seniorinnen und Senioren innovative Produkte. Und eröffnen demnächst einen Treffpunkt für Jung und Alt: die Senior Design Factory.
Veröffentlicht am 14. März 2011 - 17:03 Uhr
Altersheime sind nicht gerade bekannt als Quell von Kreativität und Inspiration. Umso erstaunlicher, dass zwei junge Kreative just dort ein unentdecktes Designpotential vermuteten – und auch fanden. Für ihre Diplomarbeit an der Hochschule der Künste in Zürich waren Benjamin Moser und Debora Biffi vor drei Jahren auf der Suche «nach einem Ort, an dem Design noch nicht alltäglich ist». Und so kamen sie auf die Idee, die Altersheime nach kreativen und motivierten Seniorinnen und Senioren zu durchforsten.
Was die beiden antrafen, waren «viele ältere Leute, die ein Handwerk beherrschen, das die Jungen nicht mehr kennen», sagt Benjamin Moser. Menschen mit einem enormen Erfahrungsschatz. Menschen, die viele jener Lebensabschnitte schon durchlebt hatten, die den beiden Jungdesignern noch bevorstehen.
Erst gab es nur einzelne gemeinsame Aktionen wie die Riesensocke, die anlässlich der Diplomarbeit zusammen mit zehn Seniorinnen und Senioren gestrickt wurde. Oder den Einfall, einen Smart «einzulismen». Dann kamen Workshops, Basare und schliesslich die Idee der Senior Design Factory dazu. Der Name spielt auf die Factory des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol an. Die «Fabrik» soll ein Begegnungsort für Jung und Alt sein, an dem man gemeinsam Ideen umsetzt. Unter anderem werden Strick-Accessoires, bedruckte T-Shirts und Rezeptbücher produziert und verkauft. Dinge, die die Fähigkeiten der älteren Generation mit den Ideen der jungen Designer kombinieren.
«Ich habe schon gestrickt, da war ich noch nicht in der Schule», sagt Rita Gubler. Ein Leben lang hat sich die 76-Jährige einen eigenen Strickwarenladen gewünscht. «Doch dafür hat das Geld nie gereicht», sagt die Witwe, die heute mit ihrem Hund in einem Haus in Buch am Irchel ZH lebt. Als im Sommer 2009 auch noch das Lokal der Frauenzentrale Winterthur dichtmachte, wo sie ihre Handarbeiten verkaufen konnte, war Rita Gubler «schon ab und zu etwas langweilig», wie sie sagt. Bis sie in einer Broschüre der Pro Senectute das Projekt Senior Design entdeckte. Jetzt macht sie bei den verrücktesten Sachen mit; zum Beispiel beim «Smart-Einlismen».
Als gelernte Grafikerin ist es Trudi Rössler gewohnt, kreativ zu arbeiten. Ihre Ausbildung hat sie schon in Städte wie New York, London oder Paris verschlagen. Seit sie wieder in der Schweiz ist, betreibt sie ein eigenes Atelier im Raum Zürich. Zum Projekt Senior Design war es deshalb nur noch ein kleiner Schritt. «Ich sah, dass ein Schreibwettbewerb ausgeschrieben war.» Sie meldete sich. Der Wettbewerb fand schliesslich nicht statt, dafür zeigten sich die Verantwortlichen umso interessierter an Rösslers Zeichnungen. Senior Design veröffentlichte ihre Illustrationen bisher auf einer Suppenrezeptsammlung und auf der Verpackung von Konfitüregläsern.
Ein harmonisches Miteinander also? «Nun», meint Biffi, «manchmal geht es schon eher langsam voran.» Doch das sei auch entspannend. «Wir Jungen sind immer so gehetzt, dauernd kommt eine SMS oder ein Anruf. Bei den Alten sind solche Dinge kein Thema.»
Die Generation 75 plus sieht sich aber auch mit dem Vorurteil konfrontiert, umständlich und nicht mehr belastbar zu sein. «Manche haben tatsächlich Mühe, sich auf Neues einzulassen», sagt Benjamin Moser. Einmal etwa habe eine Dame die Runde verlassen, weil sie eine experimentelle Strickübung nicht mit sich und ihrem Handwerk vereinbaren konnte. Die Jungdesigner hatten sie aufgefordert, immer mal wieder eine Masche fallen zu lassen – da hörte für die Frau der Spass auf. «Wenn man 90 Jahre lang gestrickt hat, ohne eine Masche fallen zu lassen, ist es halt schwierig, das plötzlich zu tun und auch noch gut zu finden», zeigt sich Moser verständnisvoll. Biffi fügt an: «Wir wollen die Leute nicht überfordern, sondern ihre Fähigkeiten auf eine sinnvolle Art integrieren.» Schliesslich kehrte die Dame nach einer Pause wieder zur Gruppe zurück.
Auch die Kommunikation stellt zuweilen eine Hürde dar. Englische Wörter etwa müssen konsequent erklärt werden. «Was wir unter Design verstehen, kennen sie zum Beispiel unter dem Begriff ‹Gestalten›», schmunzelt Debora Biffi.
Die Senior Design Factory hat Modellcharakter. Denn der Einbezug von alten Menschen in die Arbeitswelt sei ein hochaktuelles Thema. «Es ist fraglich, wie lange es sich eine Gesellschaft leisten kann, einen Teil der Bevölkerung für 20 bis 30 Jahre in den Ruhestand zu schicken», sagt Urs Kalbermatten, Studienleiter Gerontologie an der Berner Fachhochschule. Während die jüngere Generation durch Arbeit oder Schule in die Gesellschaft integriert ist, bleiben ältere Menschen immer häufiger aussen vor. Von Senioren wird nichts mehr erwartet ausser dass sie niemandem zur Last fallen sollen. Es gibt kaum noch Schnittstellen zwischen Jung und Alt.
«Senioren glauben oft, es gebe keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen und den Jungen mehr. Dabei gibt es immer mehr Junge, die wieder stricken oder backen», sagt Biffi. Gerontologe Kalbermatten stimmt zu: «Soziale Beziehungen ergeben sich am ehesten über gemeinsame Interessen wie Sport, Hobbys, Reisen oder Bildung.» Die entsprechenden Anbieter müssten bewusst die Generationenbeziehungen fördern und nicht getrennte Angebote für verschiedene Altersgruppen machen.
Das ist genau das Konzept von Senior Design. Junge und Alte sollen zusammenarbeiten, dann ergibt sich auf ganz natürliche Weise ein Zugang zueinander. «Jetzt, da ich weiss, wie Senioren ticken, finde ich, die Jungen sollten mehr auf die Alten zugehen – das wäre viel einfacher als umgekehrt», resümiert Debora Biffi. Denn: «Die Alten sind uns voraus.»
Gesucht werden rüstige Seniorinnen und Senioren, die Lust haben, bei Senior Design mitzuwirken: ob im Atelier, im Ladenverkauf oder künftig in der Küche oder im Service der Senior Design Factory; Eröffnung der Senior Design Factory: 23. März, Josefstrasse 48, 8005 Zürich. Kontakt: info@senior-design.ch
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