Mami ist ihr eigener Chef
Immer mehr Frauen mit kleinen Kindern machen sich beruflich selbständig. Drei Mütter berichten, weshalb sie finanzielle Engpässe und andere Schwierigkeiten einem sicheren Lohn vorziehen.
Veröffentlicht am 1. Februar 2008 - 16:28 Uhr
Warum habe ich bloss keinen anständigen Job?» Diese Frage stellt sich Kathrin Brülhart Corbat ab und an - zum Beispiel, wenn sie mitten in der Nacht im Zug sitzt, das warme Bett noch in weiter Entfernung. Die meiste Zeit aber ist sie ganz glücklich mit ihrer Berufswahl. Die 38-Jährige ist selbständige Theaterpädagogin und Schauspielerin in einem Ensemble, das Stücke für Kinder und Jugendliche aufführt. Nach zehn Jahren in diesen Berufen schätzt sie die Freiheit, selber zu bestimmen, was sie spielt, wen sie unterrichtet, wann, wo und zu welchen Honoraren. Sie muss nicht jeden Job annehmen und kann ihre Arbeit sogar dem Familienleben anpassen. So war es kein Problem, ihr Pensum nach der Geburt von Tochter Anna vor knapp vier Jahren auf die Hälfte und nach der Geburt von Sohn Yorick vor acht Monaten noch einmal um etwa zehn Prozent zu reduzieren. Sie fragt: «Welcher Betrieb ermöglicht das einer angestellten Mutter schon?» Selbstbestimmt arbeiten zu können, zu Hause und im Beruf, gebe ihr ungeheure Energie, sagt Brülhart, «ich habe ein wunderbares Leben!»
Der Wunsch nach Selbstbestimmtheit verbindet viele der Frauen und Männer, die den beruflichen Alleingang wagen. In der Schweiz waren es letztes Jahr 11'000 Personen. Die Frauen sind in den jährlichen Zuwachsraten immer wieder überproportional vertreten - ihre Erwerbstätigkeit nimmt insgesamt zu. Die meisten stürzen sich nicht zu früh ins Abenteuer: Frauen und Männer sind bei der Aufnahme der Selbständigkeit durchschnittlich etwa 37 Jahre alt und verfügen über das wichtigste Gründungskapital: Berufserfahrung und Netzwerk. Wie in der Welt der Angestellten arbeiten auch bei den Selbständigen viel weniger Frauen als Männer Vollzeit (41 gegenüber 85 Prozent). Und der Anteil der selbständigen Mütter mit Kindern unter 15 Jahren ist leicht höher als bei den Angestellten, nämlich 36 gegenüber 29 Prozent, wie die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung 2007 zeigt. Dass der Wunsch, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, viele Frauen dazu bewegt, sich selbständig zu machen, bestätigt auch eine deutsche Studie: Das dortige Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befragte Frauen und Männer in ganz Europa nach den Beweggründen zur Aufnahme der Selbständigkeit. Unter den Schweizerinnen nannten besonders viele die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das erstaunt nicht: Wer hierzulande fest angestellt ist, kämpft nach wie vor mit einem unzureichenden Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung - und mit Schulzeiten, die davon ausgehen, dass die Frau zu Hause bleibt. Von den befragten Schweizer Männern nannte übrigens keiner die Familie als Motivation für die Selbständigkeit (im Gegensatz zu vielen Männern beispielsweise in Norwegen).
Da scheint Kathrin Brülhart richtig Glück zu haben: Ihr Mann ist zwar festangestellt, aber mit seinem flexiblen 80-Prozent-Pensum und gleitenden Arbeitszeiten kann sich der Internetverantwortliche einer Nichtregierungsorganisation oft nach den Arbeitszeiten seiner Partnerin richten und sie auch mal spontan an einem Nachmittag bei der Kinderbetreuung ablösen. Für die Theaterpädagogin ist das von unschätzbarem Wert, denn regelmässige Arbeitszeiten gibt es in ihrem Beruf nicht.
Katarina Kelso hat es einfacher, sie kann zu Bürozeiten arbeiten und erst noch von zu Hause aus. Das spart Zeit und erhöht die Flexibilität noch zusätzlich. Rund ein Drittel der selbständigen Frauen arbeitet deshalb von daheim aus, bei den Männern sind es nur 14 Prozent. Katarina Kelso hat ihre Firma in der Garage eingerichtet, um da zu sein, wenn ihre 13-jährige Tochter und der 12-jährige Sohn aus der Schule kommen. Abgesehen davon hat sie aber wenig mit der weiblichen Selbständigen gemein. Nicht nur ist die gelernte Elektroingenieurin aus Baar als PC-Supporterin in einer typischen Männerbranche tätig; die 46-Jährige wählte den Weg auch nicht primär aus Gründen der Flexibilität, sondern weil sie nach Jahren bei einem grossen Unternehmen und in einer Zeitungsredaktion nicht mehr länger «Fachidiotin» sein wollte. Jetzt setzt sie ihre eigenen Ideen um. Den Schritt wagte sie, nachdem eine Entlassungswelle auch aus ihr eine Arbeitslose gemacht hatte. Das war vor vier Jahren, in einem Kurs über den Aufbau eines eigenen Betriebs lernte sie dann das Wichtigste für den Start in die Selbständigkeit. Mulmig war ihr schon. Ihr Ehepartner war seit sechs Jahren unfallbedingt von der IV abhängig, und es galt immerhin, zwei schulpflichtige Kinder zu versorgen. Ein plötzliches Jobangebot zu guten Lohnbedingungen liess sie kurz zweifeln - aber Kelso hörte auf ihre innere Stimme und installierte in der Garage Regale, Tisch sowie Computer. Seit da schuftet sie, 50 oder 60 Stunden die Woche. Damit liegt sie ungefähr im Durchschnitt: Selbständige arbeiten pro Woche zehn Stunden mehr als Angestellte.
Den Computer fährt sie hoch, sobald die Kinder aus dem Haus gegangen sind - und wieder runter, wenn sie nach Hause kommen. Nach dem Gutenachtkuss geht die Mutter noch einmal ins Büro, oft arbeitet sie bis tief in die Nacht. Ihr Mann, der noch immer arbeitslos ist, erledigt zwar einen Teil des Haushalts, vieles bleibt dennoch an der Mutter hängen. «Als Angestellte wäre ich wohl eine reiche Frau», sagt Kelso und weist auf die handgezeichnete Bilanz aus dem Jahr 2007 an der Garagenwand: eine abenteuerliche Berg- und Talfahrt mit einigen Monatshonoraren unter 2000 Franken. «Dank Ersparnissen und den IV-Beträgen war das nicht existenzbedrohend», sagt sie. «Aber auch nicht angenehm.» Wie viele der frischgebackenen Selbständigen bietet auch Kelso ihre Arbeit nach dem Motto «Lieber günstig als gar nicht» an. Zudem wendet sie viel Zeit für die Weiterbildung auf - ein Muss in der Welt der Informatik. Und taucht ein Problem in den Programmen auf, sucht sie selbst nach der Lösung. Jeder andere Supporter ist Konkurrenz. Kelso sagt: «Es ist ein verdammt anstrengendes Leben, aber ich arbeite leidenschaftlich gern. Ich lerne ständig neue Leute kennen, die mich auf Ideen bringen.» Nun möchte sie, endlich, ihre eigene Homepage fertigstellen. Dann will sie in Frauennetzwerke eintreten, neue Kunden suchen und vielleicht eines Tages jemanden einstellen.
Laut dem Bundesamt für Statistik beschäftigt nur etwa ein Drittel der selbständigerwerbenden Frauen Angestellte. Bei den Männern ist es hingegen mehr als jeder Zweite. Andrea Theunert, Geschäftsführungsmitglied des Netzwerks Einfrau-Unternehmerinnen, kennt viele Firmengeschichten wie die von Katarina Kelso. «Männer beginnen öfter mit einer Belegschaft, während Frauen den Ein-Frau-Betrieb vorziehen und auch später weniger Angestellte haben», sagt sie. Nur so könnten sie flexibel bleiben. Umso wichtiger sei aber der Austausch mit anderen Frauen in vergleichbaren Situationen: «Zu erfahren, dass man gewisse Herausforderungen nicht als Einzige zu meistern hat, gibt ein unterstützendes Gefühl.»
Miriam Küng, seit 2000 selbständige Rechtsanwältin, hat diesen Austausch in ihrer Bürogemeinschaft. Die gegenseitige Beratung - auch die anderen sind Anwälte - sei hilfreich, sagt die 42-Jährige. Aber oft fänden die Gespräche nur zwischen Tür und Angel statt, und für ein gemütliches Mittagessen in der Gruppe fehle meistens erst recht die Zeit. Ihr Zielpensum von 60 Prozent überschreitet Küng regelmässig; die Überstunden leistet sie dann, wenn die zweieinhalb Jahre alte Tochter Chiara schläft oder wenn ihr Ehemann mit ihr unterwegs ist. Er arbeitet 80 Prozent als Anwalt in einer Bank. Als Belohnung für die Überstunden gönnt sich Miriam Küng viele Ferienwochen, «sicher zehn» im Jahr - und weicht diesbezüglich weit vom Selbständigendurchschnitt von nur 19 Tagen Ferien ab.
Eine Ausnahme ist die Anwältin in einem weiteren Punkt: Sie hat ihre berufliche Vorsorge gut geregelt, auch wenn das bei Selbständigen «gehörig einschenkt». Aus Kostengründen verzichten im Gegensatz zu ihr sehr viele Selbständige darauf: Einer von vier Vollzeit-Erwerbstätigen zahlt weder in eine zweite noch in eine dritte Säule ein. Und einer von fünf hat auch keine Krankentaggeldversicherung. Küngs Sicherheitsdenken kommt nicht zuletzt von ihren Erfahrungen als Anwältin für Scheidungen. Dort erlebt sie, wie hart der Boden der finanziellen Realität werden kann, gerade für Frauen, die auf ein Erwerbsleben zugunsten der Kinder verzichten. Sie ist deshalb überzeugt: «Frauen sollten unbedingt beruflich unabhängig bleiben.» Ein zweites Kind kommt für Miriam Küng denn auch nicht in Frage. Aus Altersgründen, aber auch, weil für sie die Grenze der Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit einem Kind erreicht ist.
Netzwerke für Unternehmerinnen
- «frauen.unternehmen»: www.frauen-unternehmen.ch
- Nefu: Netzwerk der Einfrau-Unternehmerinnen, www.nefu.ch
- BPW: Business and Professional Women ist schweiz- und weltweit der grösste Verband berufstätiger Frauen in verantwortungsvollen Positionen. BPW Switzerland gehören rund 2500 Frauen aus verschiedenen Berufen, Positionen, Branchen an, die in 38 lokalen Clubs in allen Regionen der Schweiz vertreten sind; www.bpw.ch
- Adlatus: Vereinigung von Fachexperten mit kostengünstiger Beratung für KMU und Jungunternehmer/-innen; www.adlatus.ch
- Wefa: Verein Wiedereinstieg für Frauen in die Arbeitswelt. Bietet Kurse und Beratung an; www.wefa.ch