«Mitunter furchtbar weltfremd»
Marianne Corti unterstützt Hochschulabgänger, die sich mit dem Eintritt in die Arbeitswelt schwer tun. Dabei stellt sie fest: Viele von ihnen sind an ihrer Situation nicht ganz unschuldig.
Veröffentlicht am 9. Oktober 2006 - 10:07 Uhr
Beobachter: Bei privaten Fernsehstationen rackern sich Hochschulabgänger für monatlich 1500 Franken ab. Ist beispielsweise ein Kommunikationsstudium so wenig wert?
Marianne Corti: Nein, natürlich nicht. Die Leute, die frisch an der Uni abgeschlossen haben, wollen einfach unbedingt einen Fuss in den Arbeitsbereich bekommenbekommen, in den es sie zieht. Dass sie das für so wenig Geld zu tun bereit sind, zeigt, wie gross ihre Angst ist, vergessen zu gehen.
Beobachter: Ist das nicht Selbstausbeutung, solche Praktika anzunehmen?
Corti: Ich stelle immer wieder fest, dass die vormaligen Studierenden fast alles tun, um bloss nicht arbeitslos zu werden. An sich ist das ja eine positive Einstellung. Aber die Gegenleistung bei derartigen Billigjobs muss schon stimmen. Man sollte eine solche Arbeit nur annehmen, wenn sie einem in beruflicher Hinsicht etwas bringt, was sich als Referenz verwerten lässt. Und es muss eine Lösung auf Zeit sein.
Beobachter: Wer nach oben will, muss erst untendurch, heisst es. Wie lange denn?
Corti: Wenn Hochschulabsolventen länger als ein Jahr in der Warteschleife hängen, beginnt die Stimmung zu kippen. Das Gefühl, trotz einem anspruchsvollen Studium nicht gebraucht zu werden, ist überaus frustrierend. Und wer dann schon ein gewisses Alter erreicht hat, beginnt sich verständlicherweise um seinen Lebensplan zu sorgen.
Beobachter: Studium hin oder her: Ist es nicht naiv, zu glauben, dass einen die heutige Arbeitswelt mit offenen Armen erwartet?
Corti: Das stimmt schon: Es gibt besonders in den Geistes- und Sozialwissenschaften Jungakademiker, die in diesem Bereich mitunter furchtbar weltfremd sind. Sie absolvieren ihr Studium, ohne sich Gedanken über die weitere Karriereplanung zu machen und praktische Erfahrungen in einem konkreten Berufsfeld zu sammeln. Sie machen ihren Abschluss und sagen sich: «Die Wirtschaft soll mich so nehmen, wie ich bin.» Doch das funktioniert einfach nicht mehr. Und es kann sehr schmerzhaft sein, erst nach Studienabschluss mit diesen Realitäten konfrontiert zu werden.
Beobachter: Gilt die Losung «Bildung zahlt sich aus» noch?
Corti: Ja. Allenfalls braucht es den Zusatz, dass Bildung kein Selbstläufer ist: Wer während des Studiums zu wenig tut, wird Schwierigkeiten bekommen, im Berufsleben Fuss zu fassen.