Ist privates Surfen am Arbeitsplatz ein Entlassungsgrund?
Eine Entlassung wegen privater Internet-Nutzung ist illegal. Das ist aber kein Freipass für stundenlanges Surfen am Arbeitsplatz.
Veröffentlicht am 13. September 2017 - 12:04 Uhr,
aktualisiert am 14. September 2017 - 11:57 Uhr
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Entlassung eines Rumänen wegen privater Internet-Nutzung am Arbeitsplatz für nicht rechtens erklärt. Die Überwachung der privaten elektronischen Kommunikation bedeute eine Verletzung seiner Privatsphäre, urteilten die Richter.
Dem Ingenieur war gekündigt worden, weil er über den Internetzugang des Arbeitgebers Nachrichten an seinen Bruder und seine Verlobte verschickt hatte. Es ging darin um seine Gesundheit und sein Sexualleben. Das Unternehmen hatte die Unterhaltung aufgezeichnet, ohne den Mitarbeiter darüber zu informieren. Über das Ausmass der Kontrollen müsse vorab immer informiert werden, legten die Richter fest – zudem brauche es «einen legitimen Grund» für die Überwachung.
Der Entscheid des EGMR deckt sich mit einem Leiturteil des Schweizer Bundesgerichts vom 17. August 2013 (Urteil 8C_448/2012): Auch in diesem Fall verdächtigte ein Arbeitgeber seinen Angestellten, den Geschäftscomputer missbräuchlich für private Zwecke zu verwenden. Um die Vorwürfe zu beweisen, installierte er heimlich ein Überwachungsprogramm, welches über drei Monate im Geheimen alle Operationen (aufgerufene Webseiten, E-Mail-Verkehr) aufzeichnete.
So konnte nachgewiesen werden, dass der Angestellte tatsächlich einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit für Privates verwendete: Er sah sich Filme an, erledigte Zahlungen, buchte Reisen und besuchte Social-Media-Seiten. In der Folge wurde der Mann fristlos entlassen. Das Bundesgericht erachtete den verdeckten Einsatz eines Überwachungsprogramms aber als unrechtmässig und daher im Prozess nicht verwertbar – womit eine Grundlage für die fristlose Kündigung nicht mehr gegeben war.
Beobachter-Beraterin Irmtraud Bräunlich hat im Live-Talk die Fragen der Leser beantwortet:
Denn in der Schweiz verbietet es das Arbeitsgesetz, Mitarbeiter permanent und ohne konkreten Grund zu überwachen. Erlaubt ist es dem Arbeitgeber, gelegentlich zu überprüfen, was Angestellte während der Arbeitszeit im Internet treiben – sofern die Belegschaft darüber informiert ist. Sollte sich dabei herausstellen, dass jemand seine Arbeitszeit grösstenteils mit surfen, shoppen oder chatten verbringt, müssen Vorgesetzte zuerst eine Warnung aussprechen, ehe eine Entlassung zum Thema wird.
Allerdings bedeuten diese Vorgaben keinen Freipass für Arbeitnehmer: Es gibt zwar kein Gesetz, das privates Surfen am Arbeitsplatz verbietet – allerdings gilt der Grundsatz, die Arbeitszeit im Interesse des Arbeitgebers zu verbringen. Wichtig sei wie so oft im Leben gesundes Mass, sagt Daniella Lützelschwab vom Arbeitgeberverband: «Es ist in Ordnung, am Arbeitsplatz mal etwas Privates zu erledigen. Umgekehrt kommt es ja auch vor, dass am Abend gelegentlich geschäftliche Mails bearbeitet werden.»
In der Schweiz können Arbeitsverträge beiderseitig zu jeder Zeit aufgelöst werden. Einen Grund für die Kündigung braucht es nicht, doch es gibt Ausnahmen. Beobachter-Mitglieder erfahren, welche das sind, ob sie rechtlich gesehen unter Kündigungsschutz stehen und wie sie mittels einer Briefvorlage schriftlich gegen eine fristlose Entlassung protestieren können.