Fernsehen tue ich oft. Ich mag Quizsendungen und Musikshows. Krimis hingegen sehe ich nie. Eine bleibende Bildschirm-Erinnerung? Jesses. Da muss ich weit zurückblenden. Ich glaube, das war eine Highway-Serie, die in meiner Kindheit lief.

Jetzt bin ich selber am Fernsehen gekommen. Ich denke, meine Kinder werden sich bestimmt daran erinnern.

Die Frage ist halt, wer sonst noch.

Ich war von Anfang an wild darauf, bei «Music-Star» mitzumachen. Etwa sechs Mails mit der Frage «Wann kann ich mich anmelden?» wurden mit «Demnächst» plus Merkblatt beantwortet.

Ich bin gelernter Koch und leite ein Personalrestaurant in Zürich. Ich habe die Sendungen «Starmania», «Popstars» und «Deutschland sucht den Superstar» verfolgt. Ich mag Menschen zuschauen, die Freude am Singen haben. Ich selbst habe ein raues Timbre in meiner Stimme, und wenn ich einen hohen Ton lange halte, ist dies «Naef pur».

Meine Frau kriegt dann meistens Gänsehaut. That’s it.

Es ging mit Leib und Seele zur Sache
Am denkwürdigen Samstag, dem 11. Oktober, wurde ich um neun Uhr morgens für das Casting aufgeboten. In vier anderen Schweizer Städten traten in diesen Wochen 3000 weitere Personen an. Ich sang Bon Jovis «Bed of roses» und «Can’t buy me love» von den Beatles. Ich hatte ruhig geschlafen und ging mit Leib und Seele ran. Ob ich mir eine Chance ausrechnete? Ich will einen Fernsehauftritt haben, sagte ich mir jedenfalls. Einmal der ganzen Schweiz zeigen, was ich kann.

Ich trug an diesem Abend ein rotes Sweatshirt und braune Lederhosen. Der Filmkamera, die in der Ecke des Raumes stand, schaute ich sozusagen tief ins Auge. Ich versuchte, total locker zu sein. Die Jury musterte mich real und am Monitor. Irgendwie kam ich an.

Das zweite Casting ging total in die Hosen. Beim dritten war ich extrem nervös. Ich sang: «Tausendmal berührt und nichts passiert». Als ich sechs Stunden später erfuhr, dass ich den Sprung zum Live-Auftritt geschafft hatte, musste ich mein Glück erst einmal rausheulen. Ich weinte wie ein Kind.

Ich bin kein typischer Schweizer. Ich bin in Nigeria aufgewachsen. Ich habe Tote am Strassenrand gesehen und Hinrichtungen am Fernsehen. In Nigeria herrschte ein Diktator. Ein Jahr lang lebte ich auch im Irak. Mein Vater war im Flughafenbau tätig. In den Ferien flog ich immer zu Grossmutter nach Wallisellen.

Dort wohne ich auch heute.

21. Dezember: Mein erster Fernsehauftritt. Puder hier und Puder dort – und dann das Zeichen. Ich sagte mir: Naef, das ist deine Chance. Das ist dein Gig. Ich sang «Broken wings». Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich in einer anderen Welt. Das Herz hat zwei Beine, und du rennst los. Manchmal fragen die Leute: Welche Droge nimmt der wohl? Irrtum! Dieser Rausch ist anders. That’s it.

Die Kassenfrau im Denner wusste schon lange, dass ich bei «Music-Star» mitmache. Nach dem Auftritt gratulierte mir aber die ganze Welt. In der Migros, in der Apotheke, auf der Post, nirgends konnte ich mehr hin, ohne dass ich hörte: «Hey! Super gsunge!»

An Heiligabend holte ich morgens den Christbaum. Zu Hause klingelten drei Natels und der Festnetzanschluss. Journalisten, Bekannte, Verwandte, alle wollten alles wissen. Natürlich freute mich das. Aber um zwei Uhr machte ich alle Geräte aus. Ich kochte ein Kartoffelgratin mit Filet im Teig für meine Familie.

Beim Casting hatte ich die Codenummer 9011 getragen. Jetzt war ich wieder zum Claudio geworden. Ich erhielt eine Autogrammkarte, ein Handy für Pressekontakte und Kleider zur Auswahl für weitere Fernsehauftritte. «Wenn es dir zu viel wird, breche ich ab», sagte ich meiner Frau. Und zu meinen Angestellten: «Jetzt darf keiner von euch krank werden.»

«Du singst perfekt wie das Original, aber: Wo bleibt Claudio?», hörte ich zweimal von der Jury. «Wo ist der eigene Touch?» Im Mail eines Freundes stand: «Du bist mir zu schnulzig.» Ich sagte mir: Wartet nur.

Jury und Publikum bringen das Aus
Am 11. Januar machte ich aus «Ängu», einer Schnulze, einen fetzigen Rocksong. Rock ist mein Leben. Ich weiss nicht, wie ich «Ängu» hätte besser singen können. Und was sagt der Juror? «Das gewisse Nichts.» Mein Herr – das war Claudio!

Die Abstimmung am Telefon lief gegen mich. Ich bin ausgeschieden.

Gesanglich war das bestimmt keine Niederlage. Ich verlor wegen der Interpretation. Oder weil ich nicht dem Ideal der Nachwuchsförderung entspreche. Mit meinen 34 Jahren bin ich 18 Jahre älter als die jüngste Finalistin. Jetzt stehe ich wieder als Koch im Personalrestaurant.

Dreimal zwei Minuten war ich auf SF 1 zu sehen. Die CD von «Music-Star» liegt in den hiesigen Charts auf Platz zwei. Tele Züri hat mich mit Nella Martinetti bekannt gemacht. Ich bin im Gespräch mit verschiedenen Produzenten.

Ich schätze, ich habe jetzt zwei Monate Zeit, um von meiner plötzlichen Bekanntheit zu profitieren.

Für «Music-Star» habe ich immerhin einen reservierten Platz als Zuschauer, und zwar bis zum Schluss. Ich sage mir: Im Leben steht man immer am Anfang. Keep on rockin’. That’s it.

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