«Da ist viel zu viel Geld im Spiel»
Nun strampeln sich die Radprofis wieder am härtesten Velorennen der Welt ab: der Tour de France. Sepp Fuchs, 60, fuhr zweimal mit. Heute hat er keinen Kontakt mehr zur Radsport-Szene.
Veröffentlicht am 4. Juli 2008 - 14:32 Uhr
Zum Glück verletzte ich mich Anfang 1975 an der Sehne und konnte den Giro d’Italia nicht fahren. Als im Juli die Tour de France begann, war ich deshalb noch nicht ausgepumpt.
Die Tour verlief optimal. Gleich am ersten Tag konnte sich unser Mannschaftsleader, Francesco Moser, das Gelbe Trikot überstreifen. Wie immer endete das Rennen in Paris, zum ersten Mal aber auf den Champs-Elysées. Doch während die Fahrer dort heute direkt ins Ziel fahren, wurde damals die ganze letzte Etappe als Rundkurs auf den Champs-Elysées absolviert: 130 Kilometer rauf und runter. Das war brutal, denn da gab es zwei, drei «Ecken», vor denen man abbremsen musste. Das Feld zog sich wegen des Sicherheitsabstandes zwischen den Fahrern jeweils wie eine Handorgel auseinander. Wenn die hinteren Fahrer noch voll am Treten waren, konnten die vorderen ihre Beine bereits wieder hängen lassen. Am Ende der Tour wurde ich Achter.
Mit dieser ersten Teilnahme ging für mich ein Jugendtraum in Erfüllung. Die Tour de France war etwas ganz Besonderes. Es wurde enorm schnell gefahren. Und die Ellbogen wurden härter eingesetzt als bei jedem anderen Rennen. Das zeigte sich zum Beispiel beim Kampf um die sogenannte Fernsehprämie. Der erste Fahrer, der von der Kamera erfasst wurde, erhielt diese Prämie. Denn damals übertrug das Fernsehen nicht das ganze Rennen, sondern nur die letzte Stunde. Sobald das Motorrad mit dem Kameramann auftauchte, fing die Keilerei an. Nach ein paar Etappen hörten wir aber damit auf, weil immer ein Franzose die Prämie gewann. Logisch: Der Kameramann war auch Franzose.
Der gleiche Lohn wie ein Maurer
Überhaupt war die Tour eine gute Gelegenheit, Geld zu verdienen. Wer eine Etappe gewann, konnte nachher 20 weitere Rennen fahren, für die es ein Startgeld gab. Darauf war man angewiesen, denn damals verdiente sich keiner eine goldene Nase. Während meiner zehnjährigen Radprofikarriere verdiente ich nicht mehr, als ich für meine Arbeit als Maurer auf dem Bau bekommen hatte. Heute hingegen ist im Spitzensport viel zu viel Geld im Spiel. Das ist falsch. Sport sollte Sport bleiben. Auf der anderen Seite fehlt es bei der Nachwuchsförderung in der Schweiz an allen Ecken und Enden.
Ob ich schon einmal gedopt habe? Über Doping möchte ich eigentlich nicht viel sagen, sonst wird es wieder so eine Doping-Geschichte. Wer heute Doping einnimmt, soll lebenslänglich gesperrt werden. Da bin ich radikal. Denn ich glaube, dass sich heute jeder Fahrer wehren kann, wenn der Mannschaftsarzt mit der Spritze winkt. Niemand muss gleich um seinen Job fürchten. Das war früher anders. Für einen jungen Fahrer war es schwierig, nein zu sagen, vor allem wenn er in einem Formtief war. Wer dopte, war kein Aussenseiter - die meisten haben «drögelet».
Ich selbst habe nie etwas genommen. Ich wurde auch nie positiv getestet. Einmal beim Giro d’Italia 1979 stand plötzlich der Mannschaftsarzt in meinem Zimmer. Ich erklärte ihm, mir gebe niemand eine Spritze. Bis zum Ende der Rundfahrt sprach er kein Wort mehr mit mir.
Ich bin zuversichtlich, dass der Radsport jetzt sauber wird. Aber es braucht ein entschiedenes Vorgehen gegen Ärzte und Betreuer, die Doping abgeben. Und die Fahrer müssen an der kurzen Leine gehalten werden, sonst fängt alles wieder von vorne an.
Weinende Radprofis im Hotelzimmer
Auf dem Höhepunkt meiner Karriere hörte ich als 33-Jähriger mit dem Radsport auf. In meiner letzten Saison 1981 gewann ich Lüttich-Bastogne-Lüttich, holte den fünften Platz am Giro d’Italia und den zweiten an der Tour de Suisse. Ich wollte das Ende selber bestimmen und nicht plötzlich ohne Vertrag dastehen, wie ich es bei vielen Mannschaftskollegen miterlebt hatte. Die sassen dann weinend bei mir im Zimmer.
Viele ehemalige Radprofis können sich von der Radszene nicht trennen. Sie kehren später als Masseur, Mechaniker oder sportlicher Leiter zurück. Das war für mich kein Thema. Ich hatte genug davon, ständig von meiner Frau und den beiden Töchtern getrennt zu sein. Ich übernahm in Zürich ein Velogeschäft, in dem ich heute noch Velos verkaufe und repariere.
Nach meinem Rücktritt war ich ein paar Jahre lang im Nachwuchsbereich tätig. Doch auf einen 60-Jährigen hören die Jungen nicht. Das war bei mir früher nicht anders: Mit 17 begegnete ich in einem Trainingslager Hans Knecht, der 1946 Radrennweltmeister in Zürich wurde. Ich schlief während seines Vortrags ein.
Begegne ich heute zufällig einem ehemaligen Fahrerkollegen, wechsle ich ein paar Worte mit ihm. Aber sonst habe ich keinen Kontakt mehr zur Radsportszene. Ich verfolge nur noch die Resultate, was nicht einfach ist, weil über den Radsport in den Schweizer Zeitungen wenig berichtet wird, über Rennen im Nachwuchsbereich schon gar nicht. Das finde ich schade. Mich spornte es als junger Fahrer an, in die ersten zehn Ränge zu fahren, damit ich nachher meinen Namen in der Zeitung lesen konnte.
An der Tour de France bin ich nach meinem Rücktritt noch nie am Strassenrand gestanden. Ich schaue sie mir auch nicht im Fernsehen an. Dazu fehlt mir die Zeit. An einem freien Tag setze ich mich lieber selbst auf mein Rennvelo.