«Des Schweizers Humor ist eher überschaubar»
Humorfestival-Direktor Frank Baumann über Komik in Zeiten zunehmender Realsatire, über organisierten Massenhumor und Sondereinsätze im Bürocontainer.
Veröffentlicht am 18. Juni 2018 - 17:04 Uhr,
aktualisiert am 21. Juni 2018 - 16:53 Uhr
Beobachter: Im Juni befasst man sich ungern mit dem Dezember. Aber Sie sind sicher voll mit der Planung des diesjährigen Humorfestivals in Arosa beschäftigt.
Frank Baumann: Nein, überhaupt nicht. Im Moment habe ich, ehrlich gesagt, nicht den blassesten Schimmer, wer dieses Jahr überhaupt auftreten wird. (Lacht) Mindestens müsste ich einen Moment lang nachdenken, denn wir arbeiten ja bereits am Humorfestival 2020. Das klingt absurd, aber wenn wir nicht sehr weit vorausplanen, kriegen wir die guten Künstler nicht nach Arosa, denn die planen ja auch nicht von einem Tag auf den anderen.
Beobachter: Was brauchts denn, um Arosa hervorzuheben in einer Zeit, wo Komiker auf TV- und Social Media-Kanälen stets omnipräsent sind?
Baumann: Nur den Schnee, die glasklare Luft, das wunderbare Bergwasser, das aus den Hahnen strömt, im Idealfall die Sonne und die Gelegenheit, dem Alltag zu entfliehen. Die Komiker selber sind ein reines Generikum – leider.
Beobachter: Vor 25 Jahren, als das Humorfestival aus der Taufe gehoben wurde, haben Sie mal gesagt: «Das funktioniert nie.»
Baumann: Ja, ich konnte mir nicht vorstellen, dass organisierter Massenhumor in einem kleinen Ort in den Bergen genügend attraktiv sein könnte, um Menschen ans Ende der Welt zu locken.
Beobachter: Warum nicht? Weil Berge und Humor nicht zusammenpassen?
Baumann: Nein, weil die Aufgabe schwierig ist. Weil der typische Schweizer per se eher mit einem überschaubaren Humor
ausgestattet ist. Er ist jemand, der nach innen lacht – andere lachen nach aussen – und sich dabei erst noch schämt. Jemand, der nach dem Autowaschen auch den Schlauch wäscht – von innen.
Beobachter: Humorfestival klingt aber auch sehr nach Lachpflicht.
Baumann: Ja, ich war nie begeistert von diesem Namen, bin aber von Anfang an eines Besseren belehrt worden. Das Festival kam sofort an. Damals hiess es: Wow, jetzt gibt es ein Humorfestival, da treffen sich die besten Humoristen. Heute ist das zwar anders, weil es überall und immer Kabarett und Komik gibt, aber noch immer weckt die Aussicht auf ein paar heitere Tage in der intakten Bergwelt Vorfreude. Es kommt mir manchmal ein wenig vor, wie wenn Leute auf eine Tanzfläche gehen. Schon beim Aufstehen vom Tisch nehmen ihre Bewegungen die Musik auf. Nach Arosa kommen die Leute bestens gelaunt.
«Unsere Gäste wollen es lustig haben und die Seele baumeln lassen. Und denken ist halt nicht immer lustig.»
Frank Baumann
Beobachter: Heute erscheint die Welt immer öfter als Realsatire. Wie behauptet sich da Komik?
Baumann: Die Realsatire toppt heute tatsächlich sehr oft die inszenierte Satire. Aber die Schmerzempfindung
ändert sich natürlich auch mit zunehmender Beschmerzung. Wenn sich Punker früher einen Nagel durch die Augenbrauen gestossen haben, um ihre Individualität zu betonen, stechen sich heute Normalbürger Nägel durch Zungen, Brüste und Nasen, weiten sich die Ohrläppchen und tätowieren sich den Hals. Die Dosis muss eben ständig erhöht werden.
Beobachter: Und wie funktioniert das auf der Bühne?
Baumann: Da gibt es ja verschiedene Instrumente. Man kann zum Beispiel die Dosis steigern durch noch mehr Frontalität, noch platteren Humor, noch lauter, noch schenkelklopfender. Aber auch indem man präziser wird, ziselierter, schärfer. Die Beobachtungen werden also noch strenger. Serdar Somuncu, ein deutscher Kabarettist mit türkischen Wurzeln, ist ein wunderbares Beispiel dafür. Der ist natürlich Hardcore. Bei seinem Auftritt vor zweieinhalb Jahren verliess die Hälfte der Zuschauer in der Pause die Vorstellung. (Lacht)
Beobachter: Was war das Problem?
Baumann: Die Leute kommen nach Arosa, weil sie lachen wollen. Sie wollen nicht grössere Denkanstrengungen leisten müssen. Aber Somuncu trat auf die Bühne und fragte: «Kennt ihr mich?» Dann sagte er: «Aha, ihr kennt mich nicht. Ich werde nun eine Rolle spielen. Ich möchte euch zum Nachdenken bringen. Haben das alle verstanden?» Darauf gings los, und er sagte Sachen wie: «Was seid ihr alles für impertinente Arschlöcher! In einer Zeit, in der die Menschen in Syrien sterben, pilgert ihr nach Arosa, gebt 800 Franken für ein Hotelzimmer aus und lasst euch von mir bespassen? Schämt ihr euch nicht?»
Beobachter: Somuncu sagte auch, Deutschland sei zu weich geworden, da sei man mittlerweile sogar freundlich zu Flüchtlingen. Da lobe er sich die Schweizer. Die seien wenigstens aufrichtige Nazis.
Baumann: Ja, das war schon sehr krass – selbst für Satire.
Beobachter: Schaden solche Skandalauftritte der Popularität des Festivals, oder sind sie willkommene Werbung?
Baumann: Weder noch. Aber das Spezielle hat auch immer etwas Reizvolles. Es ist aber auch verständlich, dass nicht jeder so einen Beitrag sehen will. Arosa steht für Ferien und Entspannung. Und das Humorfestival für Humor. Unsere Gäste wollen es lustig haben und die Seele baumeln lassen. Und denken ist halt nicht immer lustig.
Beobachter: Es ist aber auch nicht alles lustig, was provokativ ist.
Baumann: Ja. Der grösste Fehler, den man als Veranstalter machen kann, ist, etwas zu bringen, was zu sehr aneckt. Die Leute geben viel Geld aus, um sich eine Auszeit zu gönnen. Deshalb ringen wir um gute Inhalte. Das gelingt uns leider nicht immer. Vor Jahren hatten wir zum Beispiel einen Künstler, der sich tatsächlich einen Knallkörper in den Hintern steckte und ihn anzündete. Tags darauf sass ich im Bürocontainer und beantwortete 65 Reklamations-Mails. (Lacht) Der Ernst von heute ist der Humor von morgen. Leider kann man diesen Satz nie brauchen, wenn er passend wäre.
Beobachter: Worauf achten Sie bei der Auswahl der Künstler?
Baumann: Ich versuche, in den elf Tagen, die das Humorfestival dauert, eine unterhaltsame Mischung mit mehr Dur- als Molltönen zu präsentieren: messerscharfe Wortintellektuelle neben mehrheitsfähigen Schenkelklopfern, schrille Spassarbeiter neben musikalischen Stars.
Beobachter: Stellen Sie das Programm allein zusammen?
Baumann: Ich entwickle es allein, aber für die Umsetzung arbeitet ein ganzes Team zusammen. So ein Humorfestival zu stemmen ist ja fast ein bisschen wie Hochsee-Segeln, eine faszinierende Mannschaftssportart.
Beobachter: Die Komiker präsentieren sich an Künstlerbörsen. Wie muss man sich das vorstellen?
Baumann: Das ist wie eine dieser grossen Publikumsmessen. Da gibts riesige Hallen, in denen jeder Komiker einen Stand hat, an dem er sich mit seinem Agenten und mit Videos präsentiert. Dann gibt es zusätzlich Bühnen, auf denen die Künstler auftreten. Von morgens früh bis tief in die Nacht hinein. Pro Künstler 20 Minuten, dann ist der nächste dran. Da sitzt du dann dort, eine Woche lang, und schaust dir alles an. Und danach weisst du kaum mehr, was du alles gesehen hast.
Beobachter: Zu viel Humor kann einen überfordern.
Baumann: Ja, das ist so. Am dritten Humorfestivaltag wissen wir vom Team kaum mehr, worüber wir am ersten eigentlich gelacht haben. Das Hirn ist immer aktiv, permanent im Suchlauf nach einer Pointe. Aber am Ende gehst du dennoch mit einem guten Gefühl nach Hause. Erschöpft, aber happy.
Beobachter: Ist der Humor etwas, was einen durchs Leben zieht und jung erhält?
Baumann: Ohne Humor gehts nicht. Das haben die Amerikaner sehr gut erkannt. Die haben ja einen Humoristen als Präsidenten gewählt, den wir bereits 2016 zum Schneemann des Jahres kürten. Stephen Colbert, der amerikanische Nachrichtensatiriker, säbelt jeden Tag mit dem Zweihänder auf ihn herunter. Die Leute haben Freude daran, können lachen, können twittern. Lachen ist ein Moment, in dem man sich gehenlässt. Das hat etwas Befreiendes, und deshalb tut es so gut.
Der Beobachter ist neu Medienpartner des Arosa Humorfestivals, das es seit 25 Jahren gibt.
Beobachter-Mitglieder profitieren von Leserangeboten mit Skipass und Hotelübernachtungen. Die Angebote werden demnächst im Beobachter publiziert.
zum Festivalprogramm: humorfestival.ch