Beobachter: Sabine Fischer hat sich über 1500 Meter für die Olympischen Spiele qualifiziert. Welche Chance hat sie in Sydney?
Cornelia Bürki:
Sabine Fischer muss erst einmal die Vorläufe überstehen. Sie steht trotz ihren 27 Jahren erst am Anfang ihrer Karriere. Die internationale Erfahrung fehlt ihr noch; einen Finalplatz darf man nicht erwarten.

Beobachter: Und wenn man mit Chemie ein bisschen nachhelfen würde?
Bürki:
Nein, niemals. Sabine ist total sauber. Sie hat dieses Jahr zum ersten Mal einen Sportarzt gesehen. Sabines Spitzenzeit über 1500 Meter beträgt 4,05, der Weltrekord liegt bei 3,49. Diesen wird sie wohl nicht brechen, den Europarekord auch nicht. Selbst ein Schweizer Rekord ist fraglich. Aber man kann sich an ihren Leistungen freuen, weil man weiss, dass sie sauber ist.

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Beobachter: Warum hatte sie denn einen Termin beim Sportarzt?
Bürki:
Wegen ihres Eisenmangels. Rotes Fleisch – bester Eisenlieferant – isst sie nicht. Nun kriegt sie Eisentabletten. Wenn es ganz heiss ist, wirft sie auch einmal eine Magnesiumtablette ein. Das ist nicht leicht für sie, denn sie hält Tabletten für etwas Unnatürliches. Sie hat nun einen Kompromiss gemacht: Ab und zu isst sie ein Straussenfilet, um eine Tablette weniger zu schlucken.

Beobachter: Olympische Spiele haben einen hohen Stellenwert bei den Athletinnen und Athleten.
Bürki:
Richtig. Von der olympischen Idee des Amateursports ist allerdings nichts mehr übrig. Sport hat sich auch bei uns zum finanziell einträglichen Beruf entwickelt. Der Anreiz, unerlaubte Mittel einzusetzen, ist damit grösser geworden.

Beobachter: Der finanzielle Anreiz wird immer stärker. Der Einsatz von Doping ist damit auch in Sydney ein Thema.
Bürki:
Ein Olympiasieg bringt sehr viel Geld ein. Die Verlockung für die Athleten ist gross. Trotzdem bin ich überzeugt, dass der überwiegende Teil der Athleten nicht zu Doping greift. Hätte ich diese Überzeugung nicht, wäre es für mich schwer, meine Athleten zu motivieren.

Beobachter: Sie nahmen an der WM 1987 teil, als Sandra Gasser wegen Doping ausgeschlossen wurde. Hat das auf Sie abgefärbt?
Bürki:
Ja, das war für mich besonders hart, weil Sandra eine Kollegin war. Der Vorfall war der Anfang vom Ende meiner Karriere. Damals verlor ich die Freude am Sport. Trotzdem bin ich später als Trainerin eingestiegen.

Beobachter: Sie hatten doch stets Konkurrentinnen aus dem Ostblock, die höchstwahrscheinlich gedopt waren. Wie gingen Sie damit um?
Bürki:
Eine rumänische Kollegin hat sich täglich rasieren müssen. Ich habe mir einfach immer eingeredet, solche Läuferinnen seien sauber, solange sie nicht erwischt werden. Mit einer anderen Haltung hätte ich gar nicht an den Start gehen können.

Beobachter: Heute gibt es Trainingskontrollen. Wurde Sabine Fischer auch schon überprüft?
Bürki:
Ja, da standen plötzlich mal zwei Dopingfahnder vor der Tür. Das ist gut so. So lässt sich Doping wenigstens einschränken. Produkte wie Epo lassen sich nun auch im Urin nachweisen. Aber schon ist die Rede von anderen Produkten, die noch gefährlicher sind. Ich frage mich, wohin dies noch führt. Trotz allem: Die Fortschritte in der Dopingbekämpfung sind da.

Beobachter: Sind Sie sicher? In der Schweiz erhielt die Diskuswerferin Karin Hagmann eine Dopingsperre. Merlene Ottey schlüpfte nur wegen eines Verfahrensfehlers durch die Maschen. Bei Dieter Baumann gingen die Fahnder von der Annahme aus, Epo sei ihm von fremder Hand in die Zahnpasta gespritzt worden. Die Dopingsünder beteuern ihre Unschuld und rufen die Juristen zu Hilfe.
Bürki:
Das ist ein Problem. Ich kenne die Leute, die bei Merlene Ottey die Kontrolle durchführten. Ich weiss, dass sie seriös arbeiten. Wenn solche Athletinnen freigesprochen werden, glauben immer mehr Leute, man könne Doping auch gleich freigeben. Das wäre das Ende des Sports.

Beobachter: Wäre das wirklich das Ende? Bei einer Freigabe wüssten doch die Athleten, dass sie für ihre Gesundheit selbst verantwortlich sind und die Folgen tragen müssen.
Bürki:
Viele junge Sportlerinnen und Sportler können nicht abschätzen, was Doping für Konsequenzen hat. Bleibt es verboten, müssen sie den Betrug immerhin noch mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Bei einer Freigabe könnte ein 16-Jähriger mit Doping beginnen. Leider gibt es Trainer, denen dies egal wäre, solange der Sportler Erfolg hat. Bei einem Dopingverbot kann ich immer noch hoffen, dass wir das Problem in den Griff kriegen.

Beobachter: Sie sind also trotz den Beispielen von Ottey und Baumann zuversichtlich?
Bürki:
Wenn die Kontrollen noch genauer werden, ist auch die Chance grösser, Doping zu verhindern. Erste Erfolge sind schon da. Im Kugelstossen und in anderen Wurfdisziplinen sind die Leistungen jedenfalls zurückgegangen, und auch die Mittelstreckler schaffen nicht mehr dieselben Topresultate wie zu den Doping-Blütezeiten. Medien und Zuschauer müssen aber auch umdenken: Sie können nicht immer mehr Rekorde fordern.

Beobachter: IOK-Präsident Juan Antonio Samaranch hat sich zum Dopingproblem widersprüchlich geäussert. Einmal erklärt er, Doping sei für ihn kein Thema, wenn es die Gesundheit der Athleten nicht schädige. Ein andermal will er in Sydney zu «100 Prozent saubere Spiele». Stösst das Ihrer Athletin nicht sauer auf?
Bürki:
Sabine ignoriert solche Dinge mehr oder weniger. Zu viel an Doping herumstudieren bringt nichts. Sonst taucht plötzlich die Frage auf: Warum trainiere ich so hart, wenn andere einfach Chemie schlucken?

Beobachter: Dieses Sauberbleiben wäre einfacher, wenn die Öffentlichkeit Doping ächten würde?
Bürki:
Ganz sicher. Doch das tut sie leider nicht.

Bürki: Genau. Da herrscht zum Beispiel eitel Freude, dass Laurant Dufaux die Züri-Metzgete gewinnt. Dass er 1998 gedopt hat, ist vergessen.
Beobachter:
Das ärgert mich schon. Aber die Zuschauer haben es auch nicht leicht. Der Athlet beteuert seine Unschuld, und seine Anwälte versuchen, die Unschuld zu beweisen. Wenn dann der Sportler vom eigenen Land ist und eine Topleistung erbringt, fragen die Zuschauer nicht mehr lange. Ich habe dieses Jahr in Deutschland erlebt, wie Dieter Baumann bejubelt wurde. Jedes Land hält seine Sportler für unschuldig. Die Athleten riskieren deshalb wenig. Sie wissen: Unsere Landsleute jubeln uns trotzdem zu.

Beobachter: Haben wir nicht ein seltsames Verhältnis zu unseren Sportlern? Mit einer guten Leistung ist einer fast ein Übermensch. Da wird nichts mehr kritisch hinterfragt.
Bürki:
Jedes Land will sein sauberes Sportidol haben. Die Leistungen der Läuferstars André Bucher und Marcel Schelbert motivieren auch meine Athleten. Sie zeigen, dass man auf einem sauberen Weg den Anschluss an die Spitze schaffen kann. Diese Talente sind kein Mythos, die gibt es wirklich. Man muss nicht bei jeder guten Leistung fragen, ob da Doping im Spiel gewesen ist.

Beobachter: Im Sport sind die Resultate eindeutig. Alles lässt sich messen. Im Berufsleben ist dies weniger klar. Könnte dies ein Grund sein, dass man die sportlichen Leistungen so hochstilisiert?
Bürki:
Die Leute sehen die Leistungen und schätzen sie. Viele wissen, dass es dafür jahrelanges, hartes Training braucht. Wer als Hobbysportler den Marathon unter fünf Stunden läuft, kann die Leistung von Franziska Rochat würdigen, die die Strecke in zwei Stunden und 25 Minuten schafft.

Beobachter: In der Schweiz haben wir nun mit Sabine Fischer und Anita Weyermann zwei gute 1500-Meter-Läuferinnen. Wie ist denn das Verhältnis zwischen den beiden?
Bürki:
Sehr gut. Sabine ist erst seit kurzem auf dieses Niveau gekommen. Ihr macht es nichts aus, im Schatten von Anita zu stehen.