Wer im Obereichelried bei Murten zwischen den mächtigen Eichen hindurchspaziert, ist umgeben vom Rohstofflager eines alten Rüstungsbetriebs: 1713 hatte der Schultheiss von Murten grosse Flächen kahlschlagen und Eicheln aussäen lassen – als Holzvorrat für Wehrgänge und Kanonenlafetten. Da Wehrgänge aber bald aus der Mode kamen, verarbeitete man Mitte des 19. Jahrhunderts viele der Eichen zu Eisenbahnschwellen; später zu Weinfässern, Brennholz oder Möbelfurnier.

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Die restlichen Bäume erfüllen 300 Jahre nach der Aussaat neue Zwecke: als lebendige Naturdenkmäler, Naherholungsgebiet, Kathedrale für Gottesdienste und wertvolle ökologische Nische. Die Funktionswandel des Obereichelrieds zeigen, wie vielseitig und bedeutsam der Wald als Ressource ist. Er speichert das klimawirksame CO2, filtert Schadstoffe aus dem Wasser und schützt den Menschen und seine Bauten vor Lawinen, Steinschlag und Murgängen. Weil der Wald selber Teil der Infrastruktur ist, sind seine Schutz-, Nutz- und Wohlfahrtsfunktionen in der Bundesverfassung verankert.

Wer schützt den Wald? Und vor wem?

Leider stehen diese Funktionen einander immer mal wieder im Weg: Ein Nutzwald erlaubt eine lukrative Ernte, bietet aber meist weder ein schönes Naherholungsgebiet noch einen artenreichen Lebensraum. Und der beständigste Schutzwald, mit Bäumen jeden Alters und dichtem Unterwuchs, ist zu pflegeintensiv, um ihn rentabel zu bewirtschaften. Damit steht der Wald im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Interessen und gesellschaftlicher Verantwortung.

In Zeiten, in denen der Holzpreis sinkt und die Lohnkosten steigen, drohen solche Widersprüche dem Wald zum Verhängnis zu werden; das verdeutlichte die mehrstündige Nationalratsdebatte über das neue Waldgesetz im September einmal mehr. Vertreter von Forstwirtschaft und Waldbesitzern forderten Unterstützung zur besseren Erschliessung der Wälder oder gar eine Lockerung des Rodungsverbots – stets in der Hoffnung, mehr Profit aus dem Wald zu schlagen. Das ist ein gefährlicher Weg.

In einer Denkschrift zuhanden der Direktion des Innern warnte der Berner Kantonsforstmeister Xavier Marchand bereits 1849 davor, sich beim Waldbau nur von Marktmechanismen leiten zu lassen: 

«Wo wird sich ein vernünftiger Mensch in süsse Ruhe einlullen lassen durch die schönen Phrasen jener utopischen Oekonomisten, die unaufhörlich und in allen Tonarten predigen und rufen: lasst die Leute gewähren, lasst sie urbarmachen, das Holz ist so gut ein Produkt wie das Korn und die Kartoffel; das Interesse ist es, was den Menschen leitet; der Preis einer Ware ist es, was die Produktion derselben bestimmt; dieses Urbarmachungsfieber, worüber man klagt, beweist gerade, dass wir noch viel zu viele Wälder haben; wenn sie einmal in ihre gebührenden Grenzen zurückgeführt sein werden, so wird der Preis des Holzes dem Preise anderer Erzeugnisse des Bodens gleichstehen und die Holzproduktion regulieren.»  (Xavier Marchand, 1849)

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Nur auf die Vernunft seiner Mitmenschen wollte sich Marchand aber nicht verlassen:

«Nirgends sieht man Privatpersonen, die sich im Interesse einer um ein oder mehrere Jahrhunderte entfernten Nachwelt Entbehrungen auferlegen und wirkliche oder auch nur eingebildete Opfer zu bringen bereit wären.» (Xavier Marchand, 1849)

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So lautet Marchands Schlussfolgerung:

«Daraus ergibt sich, dass, wenn nicht eine umsichtige Gesetzgebung, eine besonnene und tätige Verwaltung den Wäldern ihren Schutz verleihen, die Zerstörung derselben das gewöhnliche Resultat der Zunahme der Bevölkerung und der Fortschritte des Luxus und der Zivilisation ist.» (Xavier Marchand, 1849)

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Erst Gesetze stoppten die Zerstörung

Als Marchand diese Zeilen schrieb, gab es in der Schweiz nur noch rund 700'000 Hektaren Wald – halb so viel wie heute. Der Rest war bereits abgeholzt; in den verbliebenen Forststücken schlugen die Bauern Brennholz oder liessen ihr Vieh weiden, was eine natürliche Verjüngung verhinderte. Vernunft und Aufklärung konnten niemanden davon abbringen; erst griffige Gesetze stoppten die Zerstörung.

Dank Generationen von Förstern, die ihr Werk in Marchands Geiste verrichteten, geht es dem Wald heute viel besser als damals – sogar «verhältnismässig gut», wie der aktuelle Waldbericht des Bundesamts für Umwelt festhält. Trotzdem gibt es neue Schwierigkeiten. Während geeignetes Bauholz knapp zu werden droht, hat in den Berggebieten die bewaldete Fläche seit 1995 um sieben Prozent zugenommen. Letzteres klingt besser, als es ist. Denn der Zuwachs kommt vor allem durch Unternutzung und durch die Vergandung aufgegebener Bergweiden zustande. Als Erholungsraum dienen diese neuen Waldflächen kaum, so weit weg von den urbanen Zentren. Und in abgelegenen Alpentälern sind sie meist auch nicht rentabel zu bewirtschaften.

Um den Wald langfristig zu schützen, muss aber auch eine lukrative Holzwirtschaft möglich sein. Denn Unternutzung kann einen Wald schwächen, weil er überaltert.

Man muss früh zum Wald schauen

Durch die Klimaerwärmung werden «Extremereignisse» wie Dürre, Stürme und Regen häufiger. Ein gesunder Wald kann helfen, die Wucht solcher Wetterlaunen abzufedern. Einem bereits geschwächten Wald setzen diese Einflüsse schwerer zu. Überdies wird er anfälliger für eingeschleppte Schädlinge.

Daher braucht der «beste» Wald vor allem langfristiges Denken und Pflege. Im Waldbau kann man sich nicht erst mit Problemen auseinandersetzen, wenn sie handfest sind. Dann ist es je nach Baumart 50 bis 100 Jahre zu spät.

Es ist darum kein Zufall, dass der Begriff der Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft kommt. Diese kann nur funktionieren, wenn sie mit Weitsicht arbeitet und konsumiert – also nur von den Zinsen lebt, ohne das Kapital anzutasten. Und wie Kantonsförster Marchand schrieb:

«Eine Sparkasse, die erst nach Verlauf eines Jahrhunderts die Einlagen zurückgäbe, würde unter der Klasse, welche die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht, wenig Anklang finden, selbst wenn sie alle wünschbaren Garantien darböte und nach hundert Jahren nicht bloss das Kapital, sondern auch zehn Prozent Zinsen zu zahlen verspräche.» (Xavier Marchand, 1849)

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Deshalb braucht es die von ihm geforderte «umsichtige Gesetzgebung».  Die haben wir heute – sie beizubehalten wird eine Herausforderung bleiben.

Das Zeitdokument zum Download

Die komplette Denkschrift von Xavier Marchand aus dem Jahre 1849 können Sie hier herunterladen:
Über die Entwaldung der Gebirge – Denkschrift an die Direktion des Innern des Kantons Bern

Quelle: Bayrische Staatsbibliothek München

Text: Balz Ruchti
Bild: Revierkörperschaft Galm
Infografik: Andrea Klaiber