Der gespaltene Rapper
Knackeboul verhält sich auf der Bühne weitgehend so, wie er es auch als Privatperson tut. Dieses Erfolgsgeheimnis bereitet ihm auch Probleme.
Veröffentlicht am 20. Januar 2014 - 16:53 Uhr
Knackeboul und David Kohler strahlen dieselbe Lockerheit aus, wenn sie reden. Sie lachen genau gleich. Und auch sonst sind sie weitgehend identisch: David Kohler ist die private Seite des Rappers und Moderators Knackeboul. Die Überschneidung beträgt etwa 90 Prozent, schätzt er selber.
«Sali, ich bin Dävu. Oder Knackeboul», stellt er sich vor. Es ist ein Mittwochabend im November, die Tour zu Knackebouls aktuellem Album macht halt in Baden. Der Rapper auf der Bühne wirkt jugendlich. Er trägt Jeans und Baseballmütze, sein Loopgerät, mit dem er Töne aufnehmen und in einer Endlosschleife abspielen kann, hat er «Gudrun» getauft. Er hüpft hin und her, albert herum.
Auch von einer jungen Frau, die ihn in ihrer Euphorie mit Gegenständen bewirft und das Konzert mit Zwischenrufen stört, lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Erst nimmt er sie mit improvisierten Reimen auf die Schippe. Als er merkt, dass die Frau ein psychisches Problem hat, organisiert er einen der Veranstalter, der sich um sie kümmert. Knackeboul ist immer selbstbewusst. Nie wütend oder genervt. «Knackeboul darf nicht schlecht gelaunt sein», sagt Kohler.
Die schlechte Laune ist das Einzige, was Kohler noch für sich allein hat. «Heute bin ich für alle bloss Knackeboul, sobald ich aus dem Haus gehe. Selbst wenn ich mich viel mehr wie David fühle, sehen die Leute Knackeboul.»
Diese Entwicklung begann Ende 2010, nachdem Knackeboul bei «Giacobbo/Müller» im Schweizer Fernsehen aufgetreten war. Plötzlich war er nicht mehr nur für junge Rapliebhaber interessant, sondern auch deren Eltern fanden Gefallen am Berner. Mittlerweile fährt Kohler im Zug regelmässig in der ersten Klasse, um wenigstens am Morgen ein bisschen Ruhe zu haben. «Dass ich das mal machen würde, hätte ich nie gedacht.»
Sein aktuelles Album handelt hauptsächlich von Vorurteilen, Gegensätzen oder Knackebouls Karriere. Im Titelsong «Picasso» beschreibt er die Gemeinsamkeit zwischen ihm und dem spanischen Maler: «Vili hei es fausches Biud vo mir.» Mit Knackeboul durchläuft Kohler eine zweite Pubertät.
Nach Allüren sucht man bei ihm trotz dem Erfolg lange. Nur bei Konzerten, da bestehe er darauf, dass backstage ein Single-Malt-Whisky für ihn und sein Team bereitsteht. An jenem Novemberabend in Baden steht ein Blend auf dem Tisch, kein Single Malt. Knackeboul lacht.
«Knäck motzt nie. Wenn etwas nicht stimmt, muss ich auf den Tisch hauen», sagt Chocolococolo alias Hans-Jakob Mühlethaler, ein guter Freund Kohlers und Bühnenpartner seit mehr als zehn Jahren.
Montagnachmittag im Studio des Jugendsenders Joiz in Zürich-Oerlikon. Noch eine gute Stunde bis zu Knackebouls Livesendung «Knack Attack», in der es ein bisschen um seine Gäste, vor allem aber um Knackeboul selber geht. Die letzte Regiesitzung steht an, die Verantwortlichen treffen sich im Studio. Knackeboul sitzt in der Mitte und erklärt den Ablauf der Sendung. Aus der Redaktion gleich dahinter stört laute Rapmusik die Diskussion. Knackeboul bittet darum, die Musik leiser zu stellen. Auch auf seine zweite Bitte hin passiert nichts. Knackeboul fährt mit seinen Ausführungen fort. «Wenn es nur um Kleinigkeiten geht, sitzt man besser aufs Maul», sagt er.
Die Leute bei Joiz arbeiten gern mit ihm zusammen. «Er weiss genau, was er will – allerdings kann sich das jeden Moment ändern», sagt «Knack Attack»-Produzentin Lya Saxer. Wie andere Joiz-Mitarbeiter auch erlebt ihn Saxer als «etwas chaotisch». Das sei aber nichts Negatives. «Ein Künstler eben», sagt sie.
In der Rapszene ist Knackeboul nicht bei allen so beliebt. Erst kürzlich kritisierte ihn ein anderer Rapper heftig. Knackeboul verdiene Geld, indem er sich vor einem breiten Publikum zum Affen mache. Das schade anderen Rappern, die ernsthafte Inhalte vermitteln möchten. Doch Knackeboul verstellt sich nicht, um Geld zu verdienen. Er ist authentisch. Sein Problem, die Vermischung von Bühnenfigur und Privatperson, ist zugleich sein Erfolgsrezept.
Vom Zeitaufwand her ist Knackeboul zu etwa 30 Prozent Musiker. Emotional ist die Musik für ihn jedoch mit Abstand das Wichtigste. «Bei jeder Anfrage wäge ich ab, ob sie mir als Musiker etwas bringt», sagt er. Eine berechnende Karriereplanung streitet er ab. «Vielleicht ein Drittel davon war geplant. Der Rest ist ein Treibenlassen. In einem definierten Rahmen.»
Musik macht er zu einem grossen Teil mit denselben Leuten, mit denen er angefangen hat. Mit der Agentur, die für ihn Promo und Projektanfragen übernahm, arbeitet er nicht mehr zusammen. «Eigentlich war die Agentur schon easy, aber ich wollte etwas Familiäreres.» Jetzt teilt sich ein Kollege mit Kohlers Bruder den 100-Prozent-Job. Facebook betreut Kohler wenn möglich selber. Weil er sehr viele Nachrichten bekomme, helfe ihm der Kollege manchmal. «Leider kann ich nicht alles allein machen. Aber ich mache immer noch mehr selber als andere», sagt Kohler.
Kohler will sicher sein, dass er richtig verstanden wird, er will es allen recht machen. Meistens zumindest.
Anfang September des letzten Jahres äusserte er sich in einem Video kritisch zur Schweizer Asylpolitik. «Wir sollten Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen», meinte er etwa. Das Video veröffentlichte er auf seinem Youtube-Kanal. Genauer: auf Knackebouls Youtube-Kanal.
Die Reaktionen waren heftig, positiv wie negativ. Doch das kümmerte ihn nicht. «Gewisse Positionen sind für mich einfach nicht diskutierbar. Toleranz gegenüber Mitmenschen gehört dazu.» Oder Lohngerechtigkeit. In einem zweiten Video kurze Zeit später legte Knackeboul Argumente für die 1:12-Initiative dar: Bei einem Mindestlohn von 4000 Franken pro Monat dürfte ein Chef 48'000 Franken im Monat verdienen. «What the fuck? Ja und? Isch doch mir gliich», kommentierte er. «Über 550'000 Franken im Jahr sind mehr als genug Geld.»
Natürlich habe er sich vor dem Video überlegt, was er machen würde, wenn er plötzlich mehr als das Zwölffache seiner Angestellten verdiente, sagt Kohler. «Man sollte die Leute, die einem helfen, am Erfolg beteiligen. Ich würde allen mehr bezahlen», sagt er.
Noch ist das nicht nötig. Die Gage für einen Auftritt Knackebouls bewegt sich im tiefen bis mittleren vierstelligen Bereich. Für sich behält er im Schnitt rund 50 Prozent davon. Kohler gibt offen Auskunft, will aber nicht, dass genaue Zahlen veröffentlicht werden. Er begründet das mit Absprachen mit Veranstaltern.
«Immer wieder fragen mich Leute, ob ich für 500 Franken an ihrer Hochzeit auftrete. Ich muss dann sagen, für diesen Betrag kann ich nicht mehr arbeiten», sagt Kohler. Und dann sofort: «Wir reden hier ja nicht von einem Stundenlohn. Für einen Auftritt bin ich etwa zwölf Stunden unterwegs. Ich fahre hin, stelle auf, mache den Soundcheck, räume ab. Es geht auch darum: Was ist deine Musik wert? Wenn die Qualität nach vielen Jahren stimmt, finde ich eine gute Gage angemessen.»
Für Firmenanlässe verlangt er etwas mehr. Damit subventioniere er kleinere Auftritte wie etwa denjenigen in Baden vor rund 70 Leuten.
Doch nicht nur zwischen Knackeboul und Kohler gibt es Unterschiede, sondern auch Knackeboul als Kunstfigur ist bisweilen gespalten.
Einerseits liegt ihm soziale Gerechtigkeit sehr am Herzen. Das sagt er nicht bloss in den Videos: Vor kurzem versprach er auf Facebook, für jeden «Gefällt mir»-Klick innerhalb der nächsten Stunde einen Franken zu spenden. Er rundete den Betrag auf und veröffentlichte am nächsten Tag die Spendebestätigung: 3333 Franken. Im September reiste er gar als Botschafter für die Organisation Viva con Agua, die sich für bessere Trinkwasserversorgung einsetzt, für gut zwei Wochen nach Mosambik. Er musizierte mit lokalen Künstlern, gab Interviews oder beteiligte sich an Workshops.
Anderseits trägt er Markenturnschuhe oder lässt sich Konzerte von Firmen sponsern, zuletzt von einem Getränkekonzern. «Das ist nicht einfach inkonsequent. Man darf auch ein System kritisieren, von dem man profitiert», sagt Knackeboul. «Ich kann für einen grösseren Konzern ein nicht öffentliches Konzert spielen und die Gage für ein Kunstprojekt einsetzen. Aber ich sollte nicht für etwas werben, hinter dem ich nicht stehen kann.»
Im Dezember hat Knackeboul die Schweiz-Tour mit seinem Album abgeschlossen. Kurz darauf begab er sich auf die nächste Tour. Diesmal jedoch im kleinen Rahmen: Mit seiner langjährigen Freundin reist er drei Monate durch die USA. Genaueres will er nicht öffentlich machen. Auch so fragten bereits Medien an, ob sie ihn begleiten dürften. Kohler will sich auch überlegen, wohin Knackebouls Reise noch führen soll. «Dazu brauche ich etwas Abstand von all dem Rummel. Und Zeit für mich.» Zeit für David Kohler.