Brauer sitzen auf dem Trockenen
Harte Zeiten fürs Schweizer Bier: Der Konsum sinkt, und die ausländische Konkurrenz ist gross. Doch für die Brauer sind Hopfen und Malz noch nicht verloren.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Matt glänzen die vier grossen Kupferbottiche im Kesselhaus, über den gepflasterten Innenhof zieht ein Arbeiter im blauen Ubergewand einen klappernden Gabelstapler. Beim Maschinenhaus ragt ein stolzer Kamin aus Backstein in den Himmel, und von der Schlosserei führt der Weg an der Spedition vorbei zum Büro des Braumeisters, wo rote Geranien die Fenstersimse zieren.
Die Brauerei Müller in Baden ist eine Bierfabrik wie aus dem Bilderbuch. Laut Eigenwerbung stellt die Firma «seit 1897» am selben Ort ihr Müller-Bräu her, «das frische Bier aus Baden». Heute zwar mit modernisierten Anlagen, aber noch immer «nach alter Väter Sitte», wie Geschäftsführer Rolf Betschart erklärt: «Hopfen, Malz, Hefe, Wasser unser Bier wird wie früher ohne Hilfsstoffe gemacht.»
Neun Sorten führt Müller im Angebot, vom Lager- übers Weizen- bis zum Zwickelbier; viele davon tragen den traditionellen Bügelverschluss. «Das ist unsere Chance», kommentiert Betschart, «wir bieten ein gutes Nischenprodukt an, mit dem wir auf dem lokalen Markt bestehen können.»
Nur noch 59 Liter pro Kopf
Alles weitere eine Expansion in andere Regionen der Schweiz oder gar ein Export ins Ausland sei angesichts der aktuellen Marktlage «völlig illusorisch: Wir sind froh, wenn wir halten können, was wir haben. Im Schweizer Braugewerbe gibt es zurzeit eine irrsinnige Uberkapazität.»
Tatsächlich ist der Schweizer Biermarkt in den letzten Jahren arg ins Wanken geraten. So ist der Pro-Kopf-Konsum konstant rückläufig: Tranken Schweizerinnen und Schweizer 1989 fast 70 Liter an Gerstensäften, waren es 1999 noch knapp 59. In diesen zehn Jahren nahm der Gesamtverbrauch um fast neun Prozent ab von 4,7 Millionen auf 4,3 Millionen Hektoliter. Die Produktion inländischer Biere verzeichnet seit 1989 gar einen Rückgang von 13 Prozent: Heute werden in der Schweiz von den unabhängigen Betrieben noch 3,6 Millionen Hektoliter gebraut (ohne Exporte und alkoholfreie Biere).
Grössere schlucken Grosse
Zugenommen haben hingegen die Importe von ausländischen Bieren; ihr Marktanteil hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt auf heute rund 15 Prozent. Den Markt stark beeinflusst haben auch die Billigbiere, die Grossverteiler wie Coop, Denner oder Pick Pay in immer grösseren Mengen absetzen. Diese Konkurrenz blieb nicht ohne Folgen: Von den 39 Betrieben, die 1980 gezählt wurden, existieren heute nur noch 25. Viele sind ganz verschwunden, andere (wie Hürlimann oder Cardinal) wurden von Grossfirmen (Feldschlösschen) übernommen. Und die Grossen werden bereits von den noch Grösseren geschluckt: Feldschlösschen steht zum Verkauf, Calanda und Haldengut sind heute im Besitz von Heineken.
«Das Bier hat in der Schweiz an Bedeutung verloren», bedauert Rolf Betschart. Dass der Pro-Kopf-Konsum abnehme, habe gesellschaftliche und politische Ursachen. Einerseits würden sich viele Leute heute «gesundheitsbewusster ernähren», andererseits würden politische Entscheide den Brauern das Wasser abgraben: «Wenn die Alkoholgrenze im Strassenverkehr im nächsten Jahr auf 0,5 Promille sinkt, werden wir einen weiteren Rückgang hinnehmen müssen. Die Brauer in Österreich etwa, wo die 0,5-Promille-Grenze bereits seit vier Jahren gilt, klagen über happige Einbussen von bis zu 15 Prozent.» Auch die Alkoholbesteuerung und die Energiepolitik «nützen den Grossen und schaden den Kleinen», sagt Betschart.
Für kleinere und mittlere Brauereien gibts tatsächlich keinen grossen Handlungsspielraum: Entweder sie setzen mit Marken- und Spezialbieren bewusst auf ein lokales Publikum oder sie kooperieren mit den Grossverteilern und stellen deren Hausmarken her.
Geliefert wird rund um die Uhr
Die Brauerei Müller zum Beispiel, deren Pferdefuhrwerke noch bis 1993 das Stadtbild von Baden prägten, ist in rund 200 örtlichen Vereinen als Mitglied oder Gönner aktiv. Zu den ungefähr 200 Restaurants, die 60 Prozent des Ausstosses übernehmen, pflegt man gute Beziehungen. «Einige Beizen sind uns seit 100 Jahren treu», sagt Rolf Betschart; erst kürzlich habe man «eine 75-jährige Kundentreue gefeiert».
Genau hier liege die Chance der lokal verankerten Brauerei: Weil die Wege zum Kunden kurz seien, könne man einen 24-Stunden-Service anbieten, der sowohl umweltfreundlich als auch persönlich sei. Ein lokales Bier bringe zudem eine heimatliche Identifikation mit sich, sagt Rolf Betschart: «Viele Leute schätzen die Bügelverschlüsse, andere sammeln unsere Bierdeckel.» Diese Tradition gelte es angesichts der angespannten Marktsituation zu bewahren: «Lieber der Erste im Dorf sein als der Letzte in Rom. In Baden sind wir der Platzhirsch, dazu müssen wir Sorge tragen.»
Belegschaft beinahe halbiert
Auch eine traditionsreiche Brauerei wie Müller spürt den rauen Wind, der in der Branche weht: Beschäftigte die Brauerei in ihrer Blütezeit bis zu 80 Angestellte, sind es heute noch 45. In den letzten zehn Jahren sank die Produktion um rund 20 Prozent. Ergänzt wurde das Sortiment mit alkoholfreien Getränken, Weinen und Spirituosen, die im firmeneigenen Laden verkauft oder ins Haus geliefert werden. Dieser Sektor macht heute rund 40 Prozent des Umsatzes aus.
Der gesamtschweizerische Marktanteil von Müller-Bräu, den man «mit grössten Anstrengungen gehalten» habe, beziffert Geschäftsführer Betschart mit «0,95 Prozent». Die Firma figuriert mit ihren 70000 Hektolitern pro Jahr in der Rangliste des Schweizerischen Bierbrauervereins denn auch im Mittelfeld klar hinter der Feldschlösschen-Gruppe in Rheinfelden mit einem Ausstoss von zwei Millionen Hektolitern, der Calanda Haldengut Chur mit 810000 und Eichhof Luzern mit 290000 Hektolitern.
Leere Lager beim Spezialbrauer
Mit einem jährlichen Ausstoss von 4000 Hektolitern noch ein gutes Stück kleiner ist die Brauerei Turbinenbräu, die 1997 in Zürich gegründet wurde. Der 37-jährige Geschäftsführer Adrien Weber empfängt Besucher «lieber erst am Feierabend», weil während des Tages «ständig das Telefon klingelt». Tatsächlich herrscht bei Turbinenbräu in diesen Tagen Hochbetrieb: Die vielen Sommerfeste und Open-Air-Bars, die Weber mit Bier versorgt, haben die Bestellungen in die Höhe getrieben: «Unser Lager ist leer.»
Weber führt durch die Räumlichkeiten seiner Brauerei im Zürcher Industriequartier, zeigt stolz die stählernen Braukessel und Lagertanks, erklärt aus dem Stegreif kompetent die komplizierten Brauvorgänge. Weber ist diplomierter Lebensmittelingenieur und wurde nach dem ETH-Studium aus Uberzeugung Brauer: «Bier ist ein emotionales Produkt, über das man diskutiert und das in der Freizeit überall präsent ist.» Den Auslöser zur Gründung seiner Firma gab der Schliessungsentscheid von Hürlimann Ende 1996: «Da habe ich gewusst: Jetzt lanciere ich in Zürich ein neues Bier.»
Weber gründete im August 1997 mit einem Kapital von 250000 Franken eine Aktiengesellschaft, trieb bei der Alternativen Bank und im Freundeskreis noch einmal 800000 Franken auf, spannte mit einem Biologen und einem Brauer zusammen und im Februar 1998 floss das erste Turbinenbräu aus dem Zapfhahn einer lokalen Beiz.
Inzwischen zählt das Unternehmen immerhin sechs Mitarbeiter, hat den Ausstoss seit Beginn vervierfacht, ist heute in 25 Restaurants und bei einem alternativen Getränkehandel präsent. Die Gesamtinvestitionen belaufen sich bis jetzt auf 1,5 Millionen Franken; für dieses Jahr budgetiert Weber eine Produktionssteigerung von nochmals 30 Prozent.
Was ist das Rezept, das Turbinenbräu im gesättigten Biergeschäft nach kurzer Zeit zu einem «lokalen Marktanteil von 1,5 Prozent» (Weber) verholfen hat? Der Geschäftsführer bezeichnet die Präsenz seines Biers in der örtlichen Gastroszene als «Stilfrage: Wir haben ein Nischenprodukt, das lokal hergestellt und vertrieben wird. Weil unser Bier ohne Hilfsstoffe, aber mit modernster Technologie hergestellt wird, hat es mehr Charakter als die grossen Marken, die sehr einheitlich schmecken.»
Heisst das, dass die fusionierten Biermarken, die ein Grosskonzern anbietet, zu einem «Einheitsbier» gepanscht werden? Feldschlösschen, das neben seiner Hausmarke auch Cardinal, Gurten, Hürlimann, Löwenbräu, Walliser Bier und Warteck verkauft, bestreitet dies: «Das sind nach wie vor Marken, die bei uns nach regionalen Originalrezepten hergestellt werden», sagt Mediensprecher Stefan Kaspar. Gleiches behauptet auch die zu Heineken gehörende Calanda von ihren Marken Calanda, Haldengut oder Ittiger Klosterbräu.
Denner hütet sein Rezept
Selbst die «Billigbiere» von Coop, Denner und Pick Pay werden bei Schweizer Brauern hergestellt. Diese Biere seien jedoch, so Adrien Weber, «konserviert und enthalten Hilfsstoffe». Coop, der sein Bier grösstenteils bei Heineken/ Calanda herstellen lässt, streitet das ab: «Wir sind billiger, weil wir in grossen Mengen produzieren. Aber deshalb ist unser Bier nicht schlechter», wehrt sich Firmensprecher Karl Weisskopf. Denner wiederum lässt sich nicht in den Braukessel schauen: Die Firma gibt über Herkunft, Quantität und Herstellung der Hausmarke «prinzipiell keine Auskunft». Pick-Pay-Sprecher Peter Zürcher informiert offener: «Unser Bier wird bei der Brauerei Löwengarten in Rorschach gemacht, und zwar ohne Konservierungsstoffe.»
Für einen Kleinbrauer wie Adrien Weber steht trotz diesen Dementis ausser Zweifel: «Die grossen Biere haben sich geschmacklich sehr angeglichen und sind charakterlos geworden.» Zudem würden die vielen Fusionen und Ubernahmen «dem Bier insgesamt eine schlechte Imagewerbung» bescheren.
Weber hingegen wen wunderts ist von seinem «emotionalen Produkt» begeistert: Er geniesst es, nach Feierabend in einer der Beizen zu hocken, die sein Bier ausschenken, um mit den Abnehmern und Konsumenten zu fachsimpeln. «So bin ich mit meinem Bier an jenen Orten präsent, wo ich selber gern ausgehe und Leute treffe. Und das», sinniert der Jungbrauer, «hat für mich etwas mit Kultur zu tun.»